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Allgäu: Trifft der Nestlé-Boykott auch das Werk in Biessenhofen?

Allgäu

Trifft der Nestlé-Boykott auch das Werk in Biessenhofen?

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    Im Nestlé-Werk in Biessenhofen im Ostallgäu wird hauptsächlich Babynahrung hergestellt. 
    Im Nestlé-Werk in Biessenhofen im Ostallgäu wird hauptsächlich Babynahrung hergestellt.  Foto: Ralf Lienert (Archiv)

    Diese Geschichte erzählt vom Kampf des vermeintlich Guten gegen den vermeintlich Bösen. Über scheinbare Moral. Und natürlich geht es auch ums Geld. Denn darum geht es letztlich immer, wenn sich zwei große Konzerne streiten.

    Gut zwei Wochen ist es her, da ließ folgende Meldung aufhorchen: Edeka schmeißt Nestlé aus den Läden. Der größte deutsche Lebensmittelhändler boykottiert den weltgrößten Nahrungsmittelkonzern und will den Verkauf von über 160 Produkten stoppen. Betroffen sind unter anderem Nescafé, Wagner-Pizza, Vittel-Mineralwasser, Thomy-Mayonnaise und Maggi. In den sozialen Medien bekam die Aktion zunächst einmal viel Beifall. Nestlé hat viele Kritiker. Der Konzern unterstütze Tierversuche, beute Wasserreserven aus, sei für Kinderarbeit in Afrika verantwortlich, so lauten manche Vorwürfe. Klare Rollenverteilung also. Oder nicht?

    Biessenhofen im Ostallgäu. Hier besitzt der Nestlé-Konzern ein Werk. Nestlé ist größter Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler in der Gemeinde. In Biessenhofen stellt Nestlé zum allergrößten Teil hypoallergene Babynahrung her. Aber auch Produkte der Marke Thomy. Die fallen unter den Boykott. Frage also an die Werksleitung: Wie beeinflusst eine solche Situation die Stimmung? Wie geht man hier mit den Vorwürfen um? Alexander Schleif ist der Vize-Chef des Werks. Freundlich, aber bestimmt sagt er: „Als Werk können und dürfen wir zu Geschäftsbeziehungen des Konzerns keine Aussage treffen.“ Und dann ergänzt er noch: „Das Thema ist hier nicht groß. Das schafft keine große Unruhe im Werk.“

    Die Nestlé-Mitarbeiter wollen sich offiziell nicht äußern

    Vor dem Werk an einem Wochentagmorgen. Von den Mitarbeitern, die vom Parkplatz zum Drehkreuz am Eingang laufen, mag zum Edeka-Boykott keiner ein Wort sagen. Offiziell jedenfalls. Hinter vorgehaltener Hand ist jedoch zu hören, dass der Streit der zwei Lebensmittel-Riesen durchaus Thema im Pausenraum ist. Aber Sorge und Betroffenheit? „Nö, das kann man wirklich nicht sagen. Das liegt vor allem daran, dass der Boykott wirklich nur einen Bruchteil unserer Produkte in Biessenhofen angeht“, sagt einer, der schon lange für Nestlé im Ostallgäu arbeitet. Ein anderer Mitarbeiter sagt: „Generell ist ein solcher Preiskampf aber auch überhaupt nichts Ungewöhnliches. Und Edeka hat das mit anderen Herstellern ja auch schon durchgezogen.“

    Im Streit der Giganten geht es also nicht um Moral und Nachhaltigkeit, sondern um günstige Einkaufspreise. Hinter der Boykott-Aktion stehen neben Deutschlands größtem Lebensmittelhändler Edeka weitere Partner wie Intermarché, Coop Schweiz oder Conad, die in der europäischen Einkaufsgemeinschaft Agecore zusammengeschlossen sind. Mit der Macht eines gemeinsamen Bruttoumsatzes von 140 Milliarden Euro fordert die Einkaufsallianz günstigere Preise von Nestlé, die der Konzern angeblich anderen Konkurrenten gewährt.

    Wie es in der Lebensmittelbranche zugeht, weiß die Kaufbeurer Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl (Die Linke) ganz genau. Sie hat im Nestlé-Werk in Biessenhofen als Chemielaborantin gearbeitet. Seit dem Jahr 2006 bis zu zu ihrem Einzug in den Bundestag 2017 vertrat sie als Nestlé-Gesamtbetriebsratsvorsitzende rund 10000 Mitarbeiter in Deutschland. Noch heute arbeitet die Abgeordnete in Teilzeit als freigestelltes Betriebsratsmitglied.

    Die Auseinandersetzung zwischen Edeka und Nestlé packt Ferschl in ein Bild. „Es geht nicht um Edeka als David, der sich jetzt gegen den Konzern Nestlé als Goliath stellt, um dessen Profitgier zu stoppen.“ Vielmehr gehe es darum, wer wem die Preise diktieren kann, sagt Ferschl. Wer kann mehr Druck aufbauen? Ferschl sieht die Händler da durchaus im Vorteil. „Der Lebensmitteleinzelhandel entscheidet letztendlich, welche Produkte zu welchen Bedingungen in die Regale kommen,und damit sindNahrungsmittelhersteller leicht erpressbar.“

    Preiskämpfe sind keine Seltenheit

    Für Ferschl ist der Ausgang des Machtkampfs klar: „Zwei Giganten streiten sich, und die Beschäftigten werden die Leidtragenden sein.“ Denn wenn der Händler weniger für ein bestimmtes Produkt im Sortiment zahlen will, werde in der Regel im Herstellerbetrieb bei den Beschäftigten gespart. Um dann trotz steigender Kosten das Gewinnziel realisieren zu können. „Die Mitarbeiter sind das schwächste Glied und müssen die Konsequenzen solcher Streitereien ausbaden.“

    Allerdings sind derartige Preiskämpfe bei weitem keine Seltenheit. „So etwas gibt es doch oft“, sagt der Leiter eines Discountmarktes im Ostallgäu. Auch der Boykott von Produkten als Druckmittel ist eher die Regel als die Ausnahme, sagt der Filialleiter. Bei nahezu jedem Anbieter in der Region fehlen immer wieder mal bekannte Marken, wenn sich Hersteller und Händler gerade nicht über Konditionen einigen können.

    Auch wenn dies möglicherweise zur Normalität gehört, lässt ein solches Gebaren zumindest bei Betriebsräten sämtliche Alarmglocken schrillen, sagt die Abgeordnete Ferschl. Weil sie um die Beschäftigten fürchten, auf deren Rücken solch ein Konflikt letztendlich ausgetragen werde. Einen Ausweg aus dem Dilemma gäbe es unter Umständen. Es wäre die ganz große Lösung. „Es wäre nötig, die Marktmacht von Konzernen zu beschränken und Monopolstellungen zu verhindern – sowohl in der Produktion als auch im Einzelhandel“, sagt Ferschl.

    Bis das vielleicht irgendwann passiert, gehen die Menschen einfach weiter zum Supermarkt ihrer Wahl – und in den Regalen liegen eine Zeit lang eben ein paar Produkte weniger als gewohnt.

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