Der aus der Mark Brandenburg stammende Werner Otto war gerade mit einer eigenen Schuhproduktion pleitegegangen, bevor er mit seiner Familie 1948 nach Hamburg flüchtete. Getreu seinem Motto „Natürlich darf man auch mal hinfallen im Leben. Aber niemals liegen bleiben“ orderte er die Schuhe nun von anderen Herstellern und konzentrierte sich auf den Versand.
Der erste 14 Seiten dünne, mit Kordeln zusammengehaltene Katalog vom „Otto Versand“ erschien 1950. In die 300 Exemplare der Startauflage hatte der Firmengründer Fotos von 28 Paar Schuhen von Hand eingeklebt. Erster Verkaufsschlager war der Damenschuh „California“ zum Preis von 30 Mark. In seinem Geschäft bot der gelernte Kaufmann gleich zwei Neuerungen: Das zunächst schmale Sortiment konnte bequem von zu Hause aus bestellt werden und die Kundinnen und Kunden durften nach der Devise „Vertrauen gegen Vertrauen“ per Rechnung einkaufen. Das gab es bei keinem Konkurrenten. Zunächst wurde nur der linke Schuh verschickt, nach endgültigem Kaufentscheid folgte der rechte.
Der erste gedruckte Otto-Katalog zählte 1500 Exemplare
Der erste gedruckte Katalog mit 1500 Exemplaren kam ein Jahr später heraus. Auf 28 Seiten hatte Otto das Angebot um Aktentaschen, Regenmäntel und „Marineklapphosen“ erweitert. Während die ersten Kataloge noch den Mangel der Nachkriegszeit illustrierten, wurden sie schon bald zum Schaufenster des deutschen Wirtschaftswunders. Der Otto Versand wuchs rasant, ab 1956 gab es auch Fahrräder und Elektrogeräte, zwei Jahre später erwirtschafteten 1000 Mitarbeiter einen Umsatz von 100 Millionen D-Mark.
Und Otto blieb innovativ: Ab 1963 waren Bestellungen telefonisch möglich. Doch das hohe Arbeitspensum forderte seinen Tribut. Nach einem Herzinfarkt zog sich Werner Otto 1966 zurück und übergab die Leitung an den externen Manager Günter Nawrath. Erst 1971 stieg mit Michael der Sohn des Firmengründers ins Unternehmen ein.
Über die hauseigene Hanseatic Bank ließen sich ab 1969 Käufe finanzieren. 1972 gründete der Otto Versand den Zustelldienst „Hermes“, 1974 begann die internationale Expansion.
Versuche mit Kaufhäusern und Autowaschanlagen scheiterten
Werner Otto scheute sich nicht, stets Neues auszuprobieren. Um seine Waren vor Ort abzusetzen, eröffnete er in den 1970er Jahren fünf Kaufhäuser. Aber schnell musste er erkennen, dass die Einkaufstempel unrentabel arbeiteten. Ebenso scheiterten seine Versuche, mit Autowaschanlagen Kasse zu machen.
Mitte der 1980er Jahre war Otto der größte Versandhändler der Welt. Im Rahmen einer neuen Werbekampagne wurde 1986 der Werbeslogan „Otto … find’ ich gut“ aufgesetzt. 1990 kamen schadstoffgeprüfte Textilien ins Angebot. Unter „otto.de“ gehörten die Hamburger bereits 1995 zu den Pionieren des Internethandels.
Otto übernahm die Rechte an Quelle und Neckermann
Im November 2009 sicherte sich Otto für einen zweistelligen Millionenbetrag die europäischen Rechte des insolventen Quelle-Versands, inklusive der Marke Privileg. Auf der Internetseite „quelle.de“ entstand 2011 ein Marktplatz für Online-Händler aus den Bereichen Technik und Haushalt. Außerdem übernahm Otto 2012 die Markenrechte der insolventen Neckermann GmbH.
Durch ihren geschäftlichen Erfolg gehören die Ottos seit Jahren zu den reichsten Deutschen. Am 21. Dezember 2011 starb Firmengründer Prof. Dr. h.c. Werner Otto im Alter von 102 Jahren in Berlin. Zu den Altersweisheiten des Wirtschaftspioniers zählte der Satz: „Wir brauchen eine neue Philosophie, eine neue Besessenheit. Im Konsum liegt nicht alles, wir müssen auch an andere Dinge denken.“
Otto-Katalog mit Bildern von Claudia Schiffer, Heidi Klum, Nena
Am 4. Dezember 2018 endete ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte, nach 68 Jahren verabschiedete sich der Otto-Katalog. Der über zwei Kilo schwere Brocken war jahrzehntelang verschickt worden. Die Titel zierten Stars wie Claudia Schiffer, Heidi Klum und Nena. Auf dem Cover des letzten Katalogs prangte ein Smartphone mit dem Satz „Ich bin dann mal App“. Das Motiv sollte den Wandel vom Kataloghändler zum (mobilen) Onlineshop symbolisieren.
Heute agiert die „Otto Group“ global, hat in über 20 Ländern knapp 40.000 Mitarbeiter. Zu den mehr als 100 Tochterunternehmen gehören der Baur Versand, Bonprix, oder Heine. 2023 wurden etwa 60 Prozent aller Online-Verkäufe in Deutschland über das amerikanische Unternehmen Amazon getätigt, mit deutlichem Abstand folgte die „Otto Group“ auf Platz 2.
Im Geschäftsjahr 2021/22 erwirtschaftete die „Otto Group“ noch einen Überschuss von gut 1,8 Milliarden Euro. Doch durch den Ukraine-Krieg sowie drastischen Preissteigerungen für Gas und Strom trübte sich der Handel ein. Gemäß Unternehmensangaben belief sich der Verlust im vergangenen Geschäftsjahr auf 426 Millionen Euro. Konzernchef Alexander Birken erwartet aber für das kommende Jahr eine Rückkehr zum Gewinnniveau des Geschäftsjahres 2021/22.
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