Luisa Neubauer: "Wir alle fahren da mit gemischten Gefühlen hin"
Exklusiv Fünf Tage reist die Aktivistin zur UN-Klimakonferenz nach Ägypten. In Bus, Bahn und Flugzeug. Ist das sinnvoll? Ein Gespräch über Umwege und die Tragik dieses Gipfels.
Frau Neubauer, wir erreichen Sie gerade in Belgrad – auf dem Weg zur UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheik. Sie reisen per Bus und Bahn von Berlin nach Istanbul, von dort dann per Flugzeug zum Ziel. Ist das den Aufwand wirklich wert?
Luisa Neubauer: Sie sagen es: Sehr aufwendig! Und es dauert natürlich lange. Wir haben entschieden, dass wir das in Kauf nehmen wollen. Die Idee, dass Menschen zu jeder Gelegenheit durch die Welt fliegen, ohne nach rechts und nach links zu gucken, geht nicht auf. Und das sage ich als eine Person, die früher mehrmals im Jahr geflogen ist und der auch einmal erzählt wurde: Das Klima würde es verstehen, wenn wir ein bisschen mehr fliegen, denn wenn es wichtig ist, dann haben die Gletscher Verständnis und schmelzen etwas langsamer.
Aber wie viel sparen Sie denn tatsächlich im Vergleich zu einem Direktflug?
Neubauer: Wir haben das durchgerechnet. Wir können bis zur Hälfte des CO² einsparen, wenn wir die Flugzeit halbieren. Es gibt keine klimaschädlichere Art und Weise voranzukommen als zu fliegen. Es ist so wichtig, dass wir als Gesellschaft unsere Mobilitätsgewohnheiten hinterfragen. Dafür ist es nie zu spät. Ich bin jetzt vier Jahre gar nicht mehr geflogen und nehme jetzt erstmals wieder ein Flugzeug, um zur Klimakonferenz zu kommen.
Nicht jeder kann es sich leisten, fünf Tage zu seinem Ziel zu reisen.
Neubauer: Es geht uns auch darum zu zeigen, dass es bis heute nicht oder nur sehr aufwendig möglich ist, sich wirklich klimagerecht zusammenzutun, um überhaupt durch den europäischen Kontinent zu reisen. Wir sind von Berlin mit dem Zug nach Warschau, von dort mit dem Zug nach Budapest, dann in einen Bus nach Belgrad, von hier mit dem Bus nach Sofia und dann wieder mit dem Zug nach Istanbul.
Mit dem Orient-Express wären Sie damals vermutlich schneller gewesen.
Neubauer: Ja. Der Rückbau der Nachtzug-Verbindungen durch Europa hat Konsequenzen. Es ist so wichtig – auch aus einer demokratischen Logik heraus – dass sich Menschen treffen und begegnen können. In einer klimagerechten Welt sollen Menschen ja auch reisen. Wenn aber alles an einer Verkehrsinfrastruktur sagt: – "Steigt bitte schnell in ein Flugzeug!" –, dann stimmt da etwas nicht.
Ein großer Kritikpunkt an der Klimakonferenz ist: Alle Staatschefs steigen eben ins Flugzeug und verpesten die Umwelt. Beim vorjährigen Gipfel in Glasgow wurden, vorwiegend durch Flugreisen, 102.500 Tonnen CO² ausgestoßen. So viel verbrauchen gut 8800 Deutsche im Jahr.
Neubauer: Wir werfen anderen Menschen nicht vor, wie sie zur Klimakonferenz kommen. Wir reflektieren, wie wir es selbst tun. Und wir haben zumindest die Möglichkeit, das aufzuzeigen und auf dem Weg sehr viele Organisationen zu treffen. Klimaaktivisten aus Osteuropa, in Belgrad, in Sofia, in Istanbul. Das ist auch wichtig für unsere Arbeit.
Greta Thunberg boykottiert den Gipfel. Auch Sie sagten unserer Redaktion im Vorjahr, diese Veranstaltung lasse einen echten Erfolg nicht zu. Es gebe leere Worte, leere Reden und eine Vermarktung von Klimazielen, ohne echte Pfade aufzuzeigen. Wieso nehmen Sie den Weg dann überhaupt auf sich?
Neubauer: Ich glaube nicht, dass wir in der Position sind, kategorisch irgendwelche Wege auszuschlagen. Aber Greta trifft einen Punkt. Wir fahren alle mit gemischten Gefühlen hin. Und wir wissen auch: Den Wandel müssen wir schon selbst gestalten, vor Ort, in den Ländern, den Kommunen, den Gemeinden, auf den Straßen, wo sich Menschen zusammentun. Da machen wir uns keine Illusionen. Nur wenn wir in irgendeiner Weise dafür sorgen wollen, dass der sogenannte Globale Süden, die primär betroffenen Regionen, Gerechtigkeit erfahren – zum Beispiel in Form von Geldern, die ihnen zustehen – dann muss es irgendwo diese Besprechungsräume geben. Und aktuell ist der prominenteste und erfolgversprechendste Verhandlungsraum – so tragisch es ist – die Klimakonferenz.
Haben auch Sie mit dem Gedanken gespielt, nicht hinzufahren?
Neubauer: Ja klar. Wir haben uns das lange und gut überlegt, wie wir uns dazu verhalten, und uns in Deutschland zum Beispiel dazu entschieden, nur mit einer kleinen Delegation zu fahren, damit Menschen aus den Ländern des Globalen Südens genügend Akkreditierungen bereitgestellt werden. Gleichzeitig stellen wir fest: Die Bundesregierung muss richtig liefern. Sie beweist gerade, vor allem international, wie man es nicht tun sollte, mit immer mehr Investitionen in Kohle, Öl und Gas, mit immer mehr Ausbeutung. Wir sehen als Aktivisten auch ganz klar, dass es auch eine Stimme Deutschlands braucht, die das artikuliert und den Druck aufrechterhält.
Mit wem treffen Sie sich in Sharm el-Sheik? Wie wird Ihr Alltag dort aussehen?
Neubauer: Ich werde auf Podien sprechen, an Treffen teilnehmen und viele Aktivisten treffen. Aber ehrlicherweise kann ich mir den Alltag auch noch nicht so richtig vorstellen. Wir waren noch nie in einer Diktatur bei einer Klimakonferenz. Wir wissen, dass es von der ägyptischen Seite aus überhaupt kein Interesse an einer wichtigen zivilgesellschaftlichen Teilhabe gibt. Das Konzept dieses Staates ist, Menschen, die sich regierungskritisch für Menschenrechte und Freiheiten einsetzen, zu inhaftieren. 65.000 politische Gefangene sitzen in Ägypten im Gefängnis, während wir da Klimagerechtigkeit verhandeln. Wir werden sehen, was wir tun können und vor allem auch, wie wir darauf hinwirken können, dass immer und immer wieder die Menschenrechtslage vor Ort thematisiert wird.
Einem neuen UN-Bericht zufolge wird das 1,5-Grad-Ziel mit den aktuellen Vereinbarungen nicht zu halten sein. Was erwarten Sie sich vom Gipfel?
Neubauer: Wir können einmal vorwegnehmen: Selbst, wenn diese Konferenz überraschenderweise extrem erfolgreich werden sollte, werden die Zusagen nicht ausreichen für das, was notwendig ist. Denn es bleibt dabei: Die Klimakonferenz kann im besten Fall einen kleinen Teil leisten. Aber der Großteil der Arbeit wird vor Ort gemacht, von den Menschen. Wofür wir auf dieser Klimakonferenz kämpfen, ist, dass die Frage der Gerechtigkeit ins Zentrum gerückt wird. Aktuell ist es so, dass die betroffenen Länder der Welt die Klimakatastrophe voll abbekommen, sie aber überhaupt nicht verursacht haben. Das waren die reichen Länder wie Deutschland, die dadurch auch noch ein Heidengeld verdient haben. Das geht nicht. Da muss ein Ausgleich geschaffen werden.
Wie kommen Sie von Ägypten eigentlich wieder zurück? Auf demselben Weg?
Neubauer: Den Rückweg haben wir noch nicht fertig organisiert. Wir werden aber wahrscheinlich versuchen, zumindest die Strecke zwischen Sharm el-Sheikh und Kairo im Zug oder Bus zurückzulegen. Aber das ist auch noch offen.
Zur Person: Luisa Neubauer, 26, ist das deutsche Gesicht der Klimaschutzbewegung. Sie ist Mitglied der Grünen, Hauptorganisatorin von "Fridays for Future" und Mitglied verschiedener Nichtregierungsorganisationen.
Die Diskussion ist geschlossen.
"Neubauer: Wir haben das durchgerechnet. Wir können bis zur Hälfte des CO² einsparen, wenn wir die Flugzeit halbieren. Es gibt keine klimaschädlichere Art und Weise voranzukommen als zu fliegen."
Ich hab Probleme mit der Aussage, denn "bis zu" ist immer ein Dehnbarer Begriff. Und die Busse und Züge müssen ja auch mit irgendwas betrieben werden, deshalb ist die Rechnung sicher nicht so gut, wie sie dargestellt wird.
Das ganze erinnert an Gretas Segelreise über den Atlantik und die Mannschaft wurde dafür zigmal herumgeflogen.
Zwei Dinge fallen mir dazu ein: "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm" und "Glauben ist leichter als Kenntnisse zu erwerben". Den Klimawandel stelle ich nicht in Frage, nur das Narrativ bzw. das "Geschäftsmodell".
Frau Neubauer besuchen Sie doch die Ukraine und demonstrieren Sie dort gegen den CO 2 Ausstoß von Deutschland gelieferten Waffen.
Wieso nicht zu Fuß?
Aber wenn jemand nach Ägypten in Urlaub fliegt, gilt er als Klimasünder. Diese Scheinheiligkeit ist nicht zu ertragen.