Wo sind all die Arbeitskräfte hin, die jetzt fehlen?
An Flughäfen, in der Gastronomie oder im Dienstleistungsbereich – in vielen Jobs, die früher einfach jemand erledigt hat, will nun keiner mehr arbeiten. Woran das liegen könnte.
Der Mensch neigt dazu, die Vergangenheit zu beschönigen. Aber war es früher – also in der Zeit vor Corona – nicht einfach so: Wer es sich leisten konnte und in den Urlaub fliegen wollte, buchte einen Flug, fuhr zum Flughafen und hob ab. Wer ins Restaurant gehen wollte, reservierte einen Tisch, ging hin und aß. Was im Hintergrund passieren musste, damit alles so schön reibungslos und flexibel funktionierte, blieb meist unsichtbar. Es gab Menschen, deren Job es war, Koffer zu schleppen oder Getränke zu servieren. Das ist jetzt anders. Und plötzlich herrscht Chaos an den Flughäfen – und Bars oder Restaurants sind wegen Personalmangel geschlossen. Willkommen in der Arbeitskräftemangelrepublik Deutschland.
Doch wo sind all die Menschen hin, die früher diese Jobs erledigt haben? Jobs im Übrigen, die zwar keine lange Ausbildung verlangen, aber auch kein hohes Einkommen bieten oder besonders hohes Ansehen genießen.
Erste Hinweise kann die bayerische Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit liefern. Demnach haben vor allem die Branchen Unternehmensdienstleistungen und Immobilien, Information und Kommunikation, Gesundheitswesen, öffentliche Verwaltung und der Handel im Vergleich zum 2019 Personal aufgebaut. Doch was heißt das konkret?
Für große Hochzeitsfeiern fehlen Servicekräfte
Ein schärferes Bild der Lage kann Angela Inselkammer zeichnen. Die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) weiß, dass der Mangel an Personal nicht nur ein Ärgernis für die Kundinnen und Kunden ist. Für viele Betriebe ist die Personalfrage längst zur Überlebensfrage geworden. Inselkammer berichtet nicht nur von fehlenden Servicekräften für große Feiern wie Hochzeiten und Veranstaltungen. Längst fehlten auch Köche für das tägliche Geschäft à la carte. Doch die Servicekräfte von einst müssen doch auch heute ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wie und wo machen sie das dann?
Inselkammer hat dafür eine Erklärung, will aber erst einmal den größeren Rahmen abstecken. Demnach hat das bayerische Gastgewerbe – nach vielen guten Jahren – im Jahr 2020 noch 447.000 Menschen beschäftigt. 40 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Die Zahl der fest angestellten Beschäftigten sank von 2019 bis 2022 zwar um gute acht Prozent. Davon sei aber ein großer Teil schlicht in den Ruhestand gegangen, sagt Inselkammer. Die Auszubildenden seien dagegen in vollem Umfang in den Betrieben gehalten worden.
Die Gäste sind wieder da – die Kellner sind weg
Die Kräfte, die nun fehlten, seien vor allem Minijobber, die in der Krise kein Kurzarbeitergeld erhielten und sich dementsprechend nach anderen Stellen umsehen mussten. Nach der Meinung von Inselkammer seien sie überwiegend untergekommen in den Impf- und Testzentren, bei Lieferdiensten und Callcentern, im Einzelhandel oder auch bei der Deutschen Bahn. Nun seien die Gäste wieder da, vor allem in den Ferienregionen seien Hotels und Gaststätten stark ausgelastet – aber die ehemaligen Kellner, Aushilfen und Reinigungskräfte seien mit laufenden Arbeitsverträgen woanders gebunden.
Deutschlands Wirtschaft hat lange Zeit von einem überdurchschnittlich großen Niedriglohnsektor profitiert – längst nicht nur in der Gastronomie. Fast ein Viertel aller abhängig Beschäftigten arbeitete laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vor der Pandemie zu Niedriglöhnen, meist als Minijobber. Diese Jobs können schnell gekündigt und gewechselt werden, aber es entstehen keine Ansprüche an die Sozialversicherung, es gibt Einschränkungen bei Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Als Jobmotor war dieses Modell lange erfolgreich. Doch die Vorzeichen haben sich geändert. Denn trotz aller Krisen herrscht mehr oder weniger Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt, vor allem in Bayern. „Ohne Zuwanderung werden wir wegen der Verrentung der Babyboomer bis 2030 sogar fünf Millionen Personen im Arbeitsmarkt verlieren“, warnt Inselkammer. Das heißt auch: Die Arbeitnehmer bekommen mehr Macht.
Auch Feuerwehrleute schleppen nun Koffer
Diana Vogt ist Personalchefin beim Allgäu Airport in Memmingen. Sie merkt das schon jetzt sehr deutlich: „Durch die Pandemie und die damit verbundene Kurzarbeit haben viele Menschen gemerkt, dass es schön ist, mehr Freizeit zu haben, und das Thema Work-Life-Balance hat nochmals an Bedeutung gewonnen.“ Vor allem bei der jüngeren Generation habe dieses Thema noch einmal einen anderen Stellenwert. Die Bereitschaft, an Wochenenden und Feiertagen oder sehr früh oder spät am Tag zu arbeiten, nehme eindeutig ab. Hinzu komme, dass Schüler und Studenten nicht mehr nebenher arbeiten, wie es früher der Fall gewesen sei.
Der Allgäu Airport versucht nun verstärkt, auch im Ausland Personal zu rekrutieren. Dazu kommen Empfehlungsprogramme oder Events direkt am Flughafen. Und: Der Flughafen bildet verstärkt selbst aus. Doch es dauert, bis diese Maßnahmen wirken. Neue Mitarbeiter am Flughafen müssen zudem eine vorgeschriebene Zuverlässigkeitsüberprüfung überstehen, allein dafür können schon einmal zwei Monate ins Land gehen. Kurzfristig bleibt also nur der Versuch, die Lücken zu stopfen. Oder, wie es Vogt ausdrückt: „Uns hilft der Teamgeist über alle Bereiche hinweg.“ Und so schleppen derzeit auch Mitarbeiter der Feuerwehr oder aus dem Bereich Infrastruktur Koffer.
Das Gehalt ist wichtigstes Entscheidungskriterium
Ganz so weit ist es am Münchner Flughafen noch nicht. Allerdings räumt ein Sprecher auf Anfrage ein, dass die Betreibergesellschaft während der Krise über 1000 von rund 10.000 Stellen abgebaut hat – durch natürliche Fluktuation, Abfindungen und Angebote zum Vorruhestand. Nun tut man sich schwer, neue Kräfte zu finden – und ist dabei nicht allein: „Wie sich die Situation bei den vielen anderen Arbeitgebern am Flughafen – von den Airlines über die Dienstleister bis zu den Behörden – darstellt, wissen wir im Detail nicht. Wir gehen aber davon aus, dass die allermeisten am Flughafen engagierten Unternehmen während der Pandemie Personal abbauen mussten“, erklärt der Sprecher.
Dass die Mitarbeitersuche anspruchsvoller ist, bestätigt auch der Personaldienstleister Randstad. Laut einer eigenen Umfrage aus dem vergangenen Jahr habe etwa jeder fünfte Arbeitnehmer beabsichtigt, in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres den Arbeitgeber zu wechseln – unabhängig von der Bildungsschicht, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Besonders ausgeprägt war die Wechselabsicht demnach bei der Altersgruppe bis 34 Jahre. Randstad erfragt auch regelmäßig, welche Faktoren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Jobwahl besonders wichtig sind. Das Ergebnis: „Im kaufmännischen Bereich sehen wir großen Bewerberzulauf vor allem dann, wenn die Stellen eine große Sicherheit und Berechenbarkeit versprechen, wie zum Beispiel Einsätze im öffentlichen Bereich“, so die Sprecherin.
Ohne Zuwanderung geht es wohl nicht
Minijobs in der Gastronomie oder am Flughafen bieten beides eher nicht. Das sagt auch der Chef der bayerischen Arbeitsagentur, Ralf Holtzwart: „Hier ist zum einen der Hotel- und Gastrobereich aufgefordert, neben einer besseren Bezahlung auch attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen.“ Mit einem neuen Tarifvertrag ist ein Schritt in diese Richtung getan. Das allein dürfte aber nicht reichen. „Die jungen Menschen stellen heutzutage auch andere Erwartungen an ihren Arbeitsplatz. Neben attraktiver Vergütung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder individuelle Angebote zur persönlichen Weiterentwicklung zählen auch flexiblere Arbeitsplanung bei der Wahl des Arbeitsplatzes“, so Holtzwart weiter.
Dass Tim Lubecki, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Schwaben, die höheren Löhne verteidigt, ist nicht überraschend. "Zwar ist klar, dass damit gerade für kleinere Betriebe die Personalkosten steigen", räumt der Gewerkschafter ein. Aber anders seien keine Menschen mehr für die Jobs im Gastgewerbe zu gewinnen. Er sagt aber auch, nun komme es auf die Kunden an: "Für ein sauberes Hotelzimmer und einen guten Service sollte man bereit sein, etwas mehr auszugeben. Das gilt auch im Restaurant. Ein Schnitzel für neun Euro ist heute nicht mehr machbar", so Lubecki.
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ich habe 40 jahre als koch gearbeitet. leider muß ich sagen, daß viele chefs uns wie den letzten dreck behandelt haben. das soziale umfeld wurde hinten angestellt. nur der mammon ist wichtig. des weiteren möchte darauf hinweisen, und dies wage ich als freier bürger und praktizierender katholik, daß wir nun auch die auswirkungen der liberalen haltung gegenüber dem schutz der ungeborenen lebens zu spüren bekommen.
Es sind seit 2015 Fachkräfte in das Land reingekommen. Wo ist das Problem?
Es gibt derzeit etwa 3,5 Millionen Bezieher von ALG2. Ca. 20% von diesen bezieht diese Stütze dauerhaft.
Etwa 1,4 Millionen Menschen erhalten Sozialgeld.
Ca 0,7 Mio Menschen beziehen ALG1.
Und unter all diesen Menschen finden wir nicht die, die die nun nicht besetzten Jobs ausüben? Woran das wohl liegt?
Ja, Herr T.,
der eine oder die andere wäre bei den (zusammengezählt) 5,6 Mio. womöglich dabei.
Allerdings ist es wohl so:
nicht jeder Mensch kann grundsätzlich jeden Beruf bzw. Job ausüben,
die wenigsten dürften in der Nähe eines Flughafens wohnen,
und schließlich ist die individuelle Situation des Einzelnen sicher auch mitunter ein Hinderungsgrund.
Und im Übrigen beschreibt der Artikel detailliert, um was es geht: Minijobs, Arbeitszeiten, Einkommen, Ansehen etc. etc.
Und dass es immer ein paar wenige! gibt, die keinen Bock auf nix haben - das war schon immer so.
Wenn ich mir das Pflegepersonal anschaue habe ich ganz klare Antwort: Kein(wenig) Geld (entspricht ungefähr ALG1) für viel Arbeit und keine (wenig) Anerkennung, aber dafür jede Menge Beleidigungen und teilweise körperliche Angriffe - ich könnte dann auf diese Arbeit verzichten.
Dies ist nur EIN Beispiel; es gibt auch viele andere.