Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

50 Jahre Ikea in Deutschland: Wie der Möbelhändler unser Lebensgefühl prägte

In Eching bei München fing es an: Seit 50 Jahren gibt es Ikea in Deutschland. Manchmal versetzt einen der Möbelhändler in Stauen, manchmal lässt er einen auch ratlos zurück.
Foto: Sven Hoppe, dpa
50 Jahre Ikea in Deutschland

Lebst du schon oder schraubst du noch?

    • |
    • |

    Der grüne Teppich des Grauens

    Er ist grün, er ist staubig, er müffelt: Es ist der schönste Teppich der Welt. Zum Auszug aus den heimischen Gefilden hat mir mein Vater vor gut zehn Jahren einen Ikea-Teppich geschenkt. Er sagte: Such dir etwas aus. Und ich griff zu. Dieser Ikea-Teppich ist mehr als Deko, mehr als nur irgendein billiger Einrichtungsgegenstand: Für mich ist er zum Symbol für ein Lebensgefühl geworden. Das Ikea-Gefühl: Komm rein, stell deine Wohnung auf den Kopf. Morgen kann schon alles anders aussehen. Ermutigend. Erfrischend. Bis heute ist es der einzige Teppich, den ich mir je zugelegt habe. Zugegeben, seine besten Jahre hat er hinter sich. Kräftig schütteln sollte man ihn nicht, wer weiß, was sich da alles zwischen den Fasern gesammelt hat. Und Knallgrün ist keine Farbe, die sich in jede Wohnung makellos einfügt, da hat meine Frau recht. Teilweise ist er inzwischen ein bisschen kahl. Aber ein bisschen kahl bin ich inzwischen ja auch, da finde ich gut, dass mein Teppich sich solidarisch zeigt. Wir haben eben beide schon viel erlebt. Es ist mein Teppich, und es bleibt meiner. Danke, Ikea!

    Teilweise ist er inzwischen ein bisschen kahl. Aber ein bisschen kahl bin ich inzwischen ja auch.

    David Falkner, Digital-Redaktion

    Eines Tages wird auch meine Frau die Bedeutung dieses Lappens einsehen müssen, dann darf er zurück ins Wohnzimmer. Bis dahin liegt er im Keller und müffelt vor sich hin, aufgerollt in der Ecke, still und gehorsam. Ich habe Geduld. Und mein Teppich auch.
    David Falkner

    Über Billy und Hemnes ins Gespräch kommen

    Auch bei mir hat sich seit den ersten Ikea-Besuchen fürs Studi-Zimmer ein Kennerblick etabliert. Denn wer oft genug mit den schlingernden Wagen durch die Hallen rollt, kennt sie irgendwann: Pax-Schränke, Kallax-Regale und die obligatorischen Haferkekse. Selbst wenn Teile des Sortiments wechseln und Ikea nach Vorwürfen von Zwangsarbeit und Abholzung längst nicht mehr ganz so billig und unumstritten ist wie bei meinem Studienstart vor über zehn Jahren: Ikea ist auf seine ganz eigene Weise ausweglos.

    Wer ohne blau-gelbe Tüte und Ikea-Bleistift lebt, werfe den ersten Haferkeks.

    Maria-Mercedes Hering, Digital-Redaktion

    Es gibt die Klassiker, die von Zimmer zu Zimmer und in die ersten eigenen Wohnungen mit umziehen dürfen. Sie haben zwar schon Stellen, die eher zur Wand gedreht werden sollten. Aber es hat Gründe, dass diese Provisorien – „Wenn ich erst mal was verdiene, kaufe ich mir einen schönen Vollholz-Schrank und ersetze das Spanplattending“ – nie ausgetauscht wurden. Und dann ist es schön, wenn man mit alten Freunden oder neuen Leuten darüber ins Gespräch kommt. Entweder mit dem Fachwissen, welche Teile früher besser waren und welche Schrauben keinesfalls übrig bleiben sollten. Oder voller Lob über den Ikea-Schreibtisch aus dem Kinderzimmer, den einem liebe Menschen aufbauten, und das Ausziehsofa, auf dem immer alle willkommen sind und bestens schlafen.

    Natürlich sind da auch die Ikea-Hasser, die Designgründe vorschieben. Aber: Wer ohne blau-gelbe Tüte und Ikea-Bleistift lebt, werfe den ersten Haferkeks.
    Maria-Mercedes Hering

    Köttbullar fürs Bullerbü-Gefühl

    Anstehen mit Tablett und Hunger. Irgendwo zwischen Bullar-Boom und Bullerbü-Gefühl. Zig Male gemacht. Acht Fleischklopse, die Köttbullar eben, werden auf den Teller geschaufelt, dazu Erbsen, Rahmsoße, Kartoffelpüree. Und Preiselbeeren. So schmeckt Ikea. So schmeckt, stellt man sich jedenfalls so vor, Schweden. Holzhäuschen, Seen, Elche.

    Viele Menschen kommen überhaupt nicht wegen der Möbel zu Ikea, munkelt man. Sie kommen wegen des Essens.

    Stephanie Sartor, Bayern-Redaktion

    Ein kulinarischer Hochgenuss ist das freilich nicht. Aber das macht nichts. Weil’s um mehr geht. Jedes Mal. Um Kindheitserinnerungen, Möbelhausausflüge am Samstag, um die Einrichtung der ersten Studentenbude, ums erste Billy-Regal, ums Wagen-Volladen, durchs Getöse manövrieren, noch ein paar Kerzen, Geschirrtücher, Gläser, Vasen, Kissen, Firlefanz einpacken – und dann Pause im Schwedenrestaurant machen. Fleischbällchen essen. Shoppingstress in Soße ertränken. Wer was anderes mag: Laxfilé, Äggfrukost, Kladdakaka, Krokanttårta.

    Viele Menschen kommen überhaupt nicht wegen der Möbel zu Ikea, munkelt man. Sie kommen wegen des Essens. Wegen der Gerichte mit den zu vielen Konsonanten. Und wegen der Hotdogs, am Ausgang. Smaklig måltid – guten Appetit.
    Stephanie Sartor

    Möbel gesucht, Krimskrams gekauft

    Wohnst du noch, oder lebst du schon – und wieso liegt da jetzt eine Duftkerze in meiner Einkaufstasche? Jedes Mal dieselbe Frage. Jedes Mal staune ich über meine Willenlosigkeit, denn immer scheitere ich am guten Vorsatz, mich nur an meinen Einkaufszettel zu halten. Eben noch durch die Möbelschau spaziert: Sitzgruppen-Kuschelecke und Drei-Quadratmeter-Raumwunder-Küche.

    Im Erdgeschoss beginnt ein Slalomlauf. Waren über Waren, von denen ich sonst nie gewusst hätte, dass sie für mein Überleben notwendig sind

    Veronika Lintner, Kultur-Redaktion

    Dann aber nimmt das Schicksal seinen Lauf und die Kundin die Stufen hinab. Dort im Erdgeschoss beginnt ein Slalomlauf. Waren über Waren, von denen ich sonst nie gewusst hätte, dass sie für mein Überleben notwendig sind. Hübsches, Brauchbares, Halbnützliches wird hier präsentiert, in einer Stahlbetonwand-Atmosphäre – damit die bunten Produkte noch verlockender scheinen. Während man Familien im Supermarkt noch Überraschungseier auf dem letzten Meter vor die Nase rollt, lenkt mich bei Ikea ein Duft vom Einkaufszettel ab: Duftnote Vanille oder Ingwerkeks? Kerzen! 108 Produkte listet Ikea in dieser Sparte. Und während die Inuit am Nordpol dem Klischee nach 40 Wörter für Schnee gebrauchen, kennt der Schwede mit den vier Buchstaben 68 Vornamen für Trinkgläser. „Fröjda“, „Brockroka“, „Ivrig“ …

    Und erst als alle 21 Produkte gescannt und gekauft sind, fällt es einem ein, beim letzten Biss in den Hot Dog: Wollte man nicht nur eine ... Auf dem Zettel stand ja … Kaufst du noch oder shoppst du schon?
    Veronika Lintner

    Die Hauptsache ist der Glühwein

    Ja, klar. Ikea. Das sind Billy, Pax und Kallax. Das ist Arbeit mit Schrauben, Inbus-Schlüssel, Akkuschrauber. Stunden, die man mit dem Zusammenfriemeln des neuen Möbelstücks verbringt. Aber da ist eben auch: Glühwein der Hausmarke Vintersaga. Wenn es kalt wird, kennt sich der Schwede eben aus – und fördert ein Heißgetränk zutage, das seinesgleichen sucht.

    Niemand sonst bekommt die Balance aus Würze, innerem Feuer und Mysa (schwedisch für Hygge) so gut hin.

    Florian Eisele, Sport-Redaktion

    Persönliche Studien zeigen: Niemand sonst bekommt die Balance aus Würze, innerem Feuer und Mysa (schwedisch für Hygge) so gut hin. Machen wir uns nichts vor: Die Hotdogs am Ausgang können nichts, aber woher soll man das in Skandinavien auch können? Wenn es kälter und die Nächte länger werden, braucht es einen Vintersaga.
    Florian Eisele

    Mein Nebenjob in Polyester-Tracht

    Ganz hinten auf einem Regalbrett, in einer Wohnung, in der von Umzug zu Umzug immer weniger an Ikea-Möbeln stehen, ganz hinten, dort, wo man auf Zehenspitzen nach ihnen angeln muss, stehen zwei Ikea-Tassen, die ich selten verwende, eigentlich nie. Zwei schlichte Porzellantassen, 99 Cent das Stück, die Henkel so klein, dass ein Finger mit Durchschnittsdurchmesser gerade mal so einhakeln kann. Die Tassen, und darin liegt ihr eigentlicher Wert, habe ich vor vielen Jahren handbemalt. Sie sind eine Zeitkapsel.

    Mit Anfang 20 lebte ich als Musical-Studentin in Hamburg, träumte von den Brettern, die die Welt bedeuten, und erledigte so gut wie jeden Gelegenheitsjob unter der Sonne. Kinder schminken im Freibad, VIPs betreuen im Fußballstadion und meistens gab es Dinge zu verteilen, Bananen an Marathonläufer, Schokolade an Bahnreisende, Bändchen an Konzertgänger.

    Ich denke an Tage, in denen ich in das noch klamme Kostüm schlüpfte und dachte, die Welt gehört mir.

    Rosaria Kilian, Volontärin

    Ein fester Termin in meinem Minijob-Kalender: Ikeas Midsommar-Aktionen. In sämtlichen Ikea-Filialen im norddeutschen Raum schlüpfte ich über die Jahre in die Rolle der heiteren, duzenden Skandinavierin. Kleine Dekopferde basteln mit Finn und Ole in Hamburg-Schnelsen? Ja, självklart! Ja, klar! Mit Bremer Grundschulkindern Blumenkränze binden? Med nöje! Mit Vergnügen! Tassen bemalen in der Fußgängerzone vor Deutschlands einzigem Innenstadt-Ikea in Altona. Warum denn auch nicht? Varför inte?

    Die Erinnerung an lange Tage auf müden Beinen verblasst. Aber wenn ich die beiden Tassen in meinem Regal sehe – auf der einen meine Initialen, auf der anderen ein Anker und eine Welle – dann denke ich an Hamburg. Dann denke ich an Nächte, in denen ich verzweifelt versuchte, den Gestank aus der schwedisch blau-gelben Polyester-Tracht zu waschen. Ich denke an Tage, in denen ich in das noch klamme Kostüm schlüpfte und dachte, die Welt gehört mir.
    Rosaria Kilian

    Es gibt auch Alternativen zu Ikea

    Braucht man ein Standardmöbelstück, ist Ikea häufig das Ziel. Kürzlich zum Beispiel, ein Stockbett für die Kinder. Unten ein Bett, oben ein Bett, zwei Lattenroste. Das Modell Mydal hat alles, was die Kinder glücklich macht, leider verdrängt man darüber den Aufbauvorgang. Ikea hat uns beigebracht, Möbel selbst zu bauen – und uns in Geduld zu üben. Sind alle Beutel mit Schrauben da? Habe ich das richtige Brett für Schritt 3 in der Hand? Drei Bohrungen an der Querseite, keine zwei ... Mist, falsches Brett.

    Kinder, jetzt nicht näher kommen!

    Michael Kerler, Wirtschaftsredaktion

    Das Aufstellen des noch fragilen Konstrukts wird zum Balanceakt, einer hält vorne, der andere hinten. Kinder, jetzt nicht näher kommen! Irgendwann steht das Bett, die Freude ist groß. An Umzüge, herausfallende Stifte, ausgeleierte Bohrungen wollen wir jetzt noch gar nicht denken.

    Manchmal ist es doch besser, eine Alternative zu haben: Die Küche und das Wohnzimmer haben wir uns vom regionalen Möbelhaus liefern lassen.
    Michael Kerler

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden