Von Montag bis Donnerstag im Job etwas mehr Gas geben und dafür schon am Freitag in ein langes Wochenende starten. Das geht seit Kurzem in Belgien. Beschäftigte in Vollzeitjobs dürfen gesetzlich garantiert ihren fünften Arbeitstag freinehmen, wenn sie dafür an den anderen Tagen länger arbeiten, um auf 38 Stunden zu kommen. Bei der Einführung der Reform argumentierte Premierminister Alexander DeCroo, dass mit dem neuen Rechtsanspruch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen werde. Tatsächlich scheint dies ein großer Wunsch vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sein. Laut einer Forsa-Umfrage wünschen sich 71 Prozent der Befragten das belgische Arbeitsmodell auch in Deutschland.
Doch was zunächst verlockend klingt, hat seine Tücken, warnen deutsche Arbeitsmarktexpertinnen und -experten. "Es kommt auf die Voraussetzungen und die Wünsche jedes Einzelnen an", sagt etwa Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Entscheidend sei, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gegängelt fühlen. Grundsätzlich glaubt er, dass in der Arbeitswelt in Zukunft mehr auf die Bedürfnisse von Arbeitenden geachtet wird. Die Menschen werden selbstbestimmter hinsichtlich ihrer Arbeitszeiten, sagt Weber. Der demografische Wandel bestärke diesen Trend, denn Unternehmen vieler Branchen tun sich zunehmend schwer, offene Stellen zu besetzen. Zudem sei das klassische Ernährer-Modell, bei dem der Mann in Vollzeit sein ganzes Arbeitsleben in einem Unternehmen verbringt, nicht mehr aktuell. Kurz: Was es brauche, seien mehr individuelle Arbeitszeitmodelle.
Vier-Tage-Woche bedeutet für Unternehmen zu viel Risiko
Für Unternehmen sei die Vier-Tage-Woche wie in Belgien nicht zu finanzieren, wenn für weniger geleistete Stunden das Gleiche bezahlt werden soll, so Weber. Dennoch könne sich die Arbeit mit einem solchen Modell besser ins Leben der Menschen einpassen. "Dementsprechend kann das auch ein starkes Argument zur Personalrekrutierung sein", sagt der Forschungsleiter des IAB. "Betriebe verlieren dadurch, dass Frauen in der Teilzeitfalle hängen bleiben", erklärt er. Wenn die Vier-Tage-Woche normal sei und daher niemand Abstriche machen müsse, seien die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Teilzeit arbeiten, weniger abgehängt. Auch bei der Arbeitszeit könnten sich Verbesserungen ergeben, aber die Verdichtung der Arbeit sei gefährlich. Bei einer fünftägigen 39-Stunden-Woche kann man laut Weber noch nicht von überlangem Arbeiten sprechen. Packt man die gleiche Arbeitszeit in einen Tag weniger, sieht es anders aus.
Für Arbeitgeber ist das belgische Modell nicht unbedingt ein Vorbild. Florian Görlitz, Geschäftsführer der Conlance GmbH in Augsburg, sieht das Arbeiten an vier Tagen als zweischneidiges Schwert. Die Firma entwickelt Software, Web-Apps und Webanwendungen für Unternehmen. Einerseits sei es wichtig, dieses Angebot zu machen, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzuziehen. Auf der anderen Seite ist es aus Sicht der Arbeitgeber schwieriger umzusetzen. Es muss ein Gleichgewicht zwischen den Angestellten gefunden werden, die unterschiedliche Arbeitsmodelle haben, was Gehalt oder Verantwortung entspricht. Zudem möchten die Kunden nicht drei Tage lang warten, wenn ihr Ansprechpartner für ein Projekt schon im Wochenende ist, sagt Görlitz. Von den 15 Angestellten der Conlance GmbH arbeiten drei an vier Tagen, sie haben ihre Wochenstunden reduziert. Görlitz sagt, dass laut Studien effektives Programmieren sowieso nur sechs Stunden lang möglich ist. Daher hält er es nicht für sinnvoll, an den verbleibenden vier Tagen länger zu arbeiten.
Die Gewerkschaften wollen weniger Stunden
Lange Arbeitszeiten sind in der Gastronomie keine Seltenheit. Im Hotel "Alte Posthalterei" in Zusmarshausen im Landkreis Augsburg hat Marc Schumacher die Vier-Tage aus der Not heraus eingeführt. 2020 war die Hochphase der Pandemie, weshalb Hotellerie und Gastronomie mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Anfangs sei der Gedanke vieler Eltern gewesen, den zusätzlichen freien Tag mit den Kindern verbringen zu können. Mittlerweile sind die Einschränkungen für die Gastronomie wieder Geschichte. Von den Beschäftigten sind nur wenige im Vier-Tages-Rhythmus geblieben. Neuneinhalb Stunden-Tage sind mit dem Familienleben eben schwer zu vereinbaren, sagt Schumacher.
Gar nicht so neu ist die Vier-Tage-Woche bei den Gewerkschaften. Verdi ist grundsätzlich für eine verkürzte Arbeitswoche, sagt Hans Sterr von der Vertretung der Gewerkschaft in Bayern. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben so einen zusätzlichen Tag zur Erholung oder können Familie und Beruf besser unter einen Hut bringen. Nach Meinung von Verdi müsste dann aber die Stundenzahl verringert werden. Das belgische Modell könne man nicht befürworten, sagt Sterr. Er geht zudem davon aus, dass Arbeitgeber ihre Leute ungern kürzer arbeiten lassen. Unter mehr Flexibilität werde von deren Seite eher längere Verfügbarkeit der Angestellten verstanden. Gerade im Homeoffice sei dies zu beobachten gewesen. Schön wäre für Sterr, wenn die Arbeitgeber die Vorteile erkennen würden, die sie aus einer verkürzten Arbeitswoche ziehen könnten. Schließlich bedeute fehlende Arbeitszeit nicht fehlende Arbeitsleistung, sagt Sterr.
Gleiche Wochenarbeitszeit ist nicht gewünscht
Die IG Metall steht auf einem ähnlichen Standpunkt. Thorben Albrecht, Leiter der Grundsatzabteilung, sagt: "Grundsätzlich stehen wir der Vier-Tage-Woche offen gegenüber." Aber in der Vorstellung der Gewerkschaft ist diese immer mit einer Verkürzung der Arbeitszeit verbunden. Die neuneinhalb Arbeitsstunden im belgischen Modell liegen schon knapp an der in Deutschland geltenden Grenze von zehn Arbeitsstunden pro Tag, das ist laut Albrecht überlang. "Gut gemeint aber nicht gut gemacht", beurteilt er die Reform in Belgien. Bei der IG Metall gebe es zwei Stränge für eine verkürzte Arbeitswoche.
Frauen und Männer im Tarifvertrag könnten auf 32 oder 28 Stunden verkürzen. Beschäftigte in Schichtarbeit, Personen, die jemanden pflegen oder Kinder unter acht Jahren haben, hätten zusätzliche freie Tage. Der andere Strang betreffe Firmen, die sich im Umbruch befinden und bei denen weniger Arbeit anfällt. Durch das Senken der Arbeitszeit könnten Arbeitsplätze erhalten werden. Für die Unternehmen habe das Modell den Vorteil, dass sie Fachwissen und Fachkräfte im Betrieb halten. Die Gewerkschaft fordert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuerlich unterstützt werden, wenn sie in persönlichen oder betrieblichen Umbruchsituationen zeitweise in eine Vier-Tage-Woche wechseln.
Vier-Tage-Woche: Belgisches Modell birgt Gefahren
Johanna Wenckebach, Leiterin des Hugo-Sinzheimer-Instituts der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung, ist klar gegen das belgische Modell. Arbeitszeitgrenzen seien geschaffen worden, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen. Außerdem stelle sich die Frage, ob jemand zehn Stunden lang effektiv Gedankenarbeit oder monotone oder körperliche Arbeit leisten kann, wendet die Forscherin ein. In Betrieben mit 24-Stunden-Arbeit sei das belgische Modell zudem kaum umzusetzen.
Die schon erwähnte Forsa-Umfrage kennt Wenckebach auch. Doch in ihr wurden 30- bis 44-Jährige mit höherem Bildungsabschluss befragt. Diese Gruppe, so Wenckebach, sei in der Regel bereit, länger zu arbeiten. Häufig zeigte diese Gruppe eine hohe Eigenmotivation, die so weit gehe, dass sogar Abhängigkeiten von der Arbeit erkennbar werden. Betroffene sind dann eigentlich nicht mehr bei der Arbeit, beschäftigen sich aber dennoch damit. Diese Entgrenzung der Arbeitszeit könne zu einer Zunahme psychischer Erkrankungen führen. Wenckebach kritisiert zudem, dass bei so langen Arbeitstagen kaum noch Sorgearbeit geleistet werden könne. Andere Arbeitszeitmodelle, die diese Arbeit erleichtern, könnten sogar unter Druck geraten oder ganz wegfallen, wenn das belgische Modell Schule macht, so Wenkebach. Dennoch sagt auch sie: Die meisten Vollzeitbeschäftigten möchten kürzer arbeiten. Diese Anpassung müssten sie sich aber leisten können. Wenckebach plädiert daher für eine staatliche Unterstützung. Wer seine Arbeitszeit reduziert und in Teilzeit geht, sollte einfacher wieder in Vollzeit zurückkehren können.