Wie schafft man das – elf Kinder großziehen mit einer kleinen Landwirtschaft im Schwäbischen, die nur geringen Ertrag abwirft? Zum Glück war Urgroßvater Georg Ihle ein Tausendsassa. Er ackerte nicht nur auf dem Feld, sondern züchtete auch Bienen und wagte sich sogar ans Brotbacken. Zunächst nur für die eigene Familie, später ebenso für die Nachbarn.
Was 1890 mit einem Steinbackofen unter freiem Himmel begann, ist heute ein gewaltiges Unternehmen geworden: 2000 feste Mitarbeiter, zwei Produktionsstätten in Friedberg und Gersthofen, rund 250 Filialen in Schwaben und Oberbayern. Einer unter den Top Fünf der Branche in Deutschland eben, wie Wilhelm Peter Ihle feststellt, der zusammen mit seinem Bruder Alexander die Firma führt.
Mit Blick auf den Steinbackofen des Urgroßvaters in Westendorf (Landkreis Augsburg) feiert das Unternehmen heuer sein 125-jähriges Bestehen. Wenngleich die eigentliche Keimzelle erst einige Zeit später durch den Großvater Willi Ihle gelegt worden war. Als jüngstes der elf Kinder erlernte er in Augsburg das Bäckerhandwerk. Gerade 30 Jahre alt und frisch verheiratet, übernahm er zusammen mit seiner jungen Frau eine kleine Bäckerei in Dasing (Landkreis Aichach-Friedberg) – nicht ohne die erste Marktanalyse in der Geschichte des Unternehmens vorgenommen zu haben, erzählt Wilhelm Peter Ihle: Es war ein Sonntagvormittag, und beim Wirt in Dasing saßen viele Bauern beim Frühschoppen. Wo es so viele Bauern gab, die sonntags ins Wirtshaus gingen, da musste sich auch Geld verdienen lassen, rechneten sich die jungen Eheleute aus.
Bäckermeister Ihle war der Zweite im Ort mit einem Auto
Ein Glück für die Familie, dass der Großvater an der „Heimatfront“ diente und nicht in den Krieg musste. Jeden Tag fuhr er eine Ladung Brot nach Augsburg und erhielt dafür Mehlbezugsscheine. So kam man bald zu Wohlstand – Bäckermeister Ihle war der Zweite im Dorf, der sich ein Auto leisten konnte. Bald darauf eröffnete die Großmutter ein kleines Lebensmittelgeschäft. Als ihr Sohn Willi nach einer Bäckerlehre in den Betrieb der Eltern einstieg, folgte der nächste Sprung. Die ersten Lebensmittelmärkte entstanden, und Willi junior sah seine Chance: Er wollte aus der kleinen Dorfbäckerei eine Lieferbäckerei formen.
Ihr ganzes Erspartes rückte die Großmutter für den Kauf einer Maschine heraus, mit der sich 10.000 Semmeln in der Stunde backen ließen. In Zehner-Netze verpackt wurden sie in den Lebensmittelmärkten zu 99 Pfennig angeboten. Es blieb nicht bei Semmeln, bald lieferte Ihle auch Brot und Feingebäck. Als das Unternehmen schließlich 1980 von Dasing nach Friedberg umsiedelte, verkündete eine Bautafel am neuen Firmenstandort stolz: „Hier entsteht die modernste Handwerksbäckerei Deutschlands.“
Als Handwerk verstehen die Ihles trotz aller Größe ihr Geschäft noch heute. „Natürlich setzen wir modernste Maschinen ein“, sagt Alexander Ihle, der ebenso wie sein Bruder Wilhelm Peter vor dem Studium eine Bäckerlehre absolviert hat: „Es wird immer noch Hand an die Produkte gelegt.“ Denn ob der Teig den richtigen Reifegrad erreicht und in den Ofen eingeschossen werden kann, das vermag keine noch so ausgeklügelte Technik festzustellen. Dafür braucht es immer noch das Gespür eines erfahrenen Menschen.
Bei Ihle gibt es eine eigene Lehrlingsbäckerei
Bei Ihle leistet man sich darum noch den Luxus einer eigenen Lehrlingsbäckerei – nach eigenen Angaben als einziges Großunternehmen der Branche in ganz Bayern. 18 junge Leute absolvieren dort eine Ausbildung als Bäcker und Konditor. „Davon profitieren wir extrem“, sagt Alexander Ihle. 120 Lehrlinge werden beschäftigt, davon über 100 im kaufmännischen Bereich, und es könnten durchaus noch mehr sein, finden die Firmenchefs. Zusammen mit der Hochschule in Weihenstephan wollen sie darum einen dualen Studiengang zum Lebensmitteltechniker anbieten: „Die Ausbildung ist einer unserer Eckpfeiler.“
Denn das Unternehmen bleibt weiter auf Wachstumskurs – allerdings innerhalb der bestehenden regionalen Grenzen. Die Geschmäcker sind ebenso unterschiedlich wie die Sprache: Schon an der Isar verkauft sich das Apfelküchle längst nicht mehr so gut wie am Lech, hat man feststellen müssen.
Statt einer Ausdehnung in die Fläche setzt die Firma Ihle auf eine Vertiefung des Angebots. „Genuss für Sie den ganzen Tag“, lautet der Slogan, nach dem die Öffnungszeiten der Ihle-Filialen ausgeweitet werden. Schon jetzt kommt jeder dritte Euro aus dem Bereich der Systemgastronomie. Künftig wird das Geschäft bis 24 Uhr gehen, mit einem auf die Abendgastronomie zugeschnittenen Angebot an Backwaren und Getränken. Das Angebot soll die Nachfrage schaffen. So wie seinerzeit das Shop-in-Shop-Konzept, bei dem Ihle Vorreiter in Deutschland war. Inzwischen gehören die einheitlich gestalteten Filialen zum gewohnten Anblick in vielen Lebensmittelmärkten von Rewe, Lidl, Tengelmann oder Handelshof.
"Mit Brot allein geht es nicht mehr"
„Mit Brot allein geht es nicht mehr. Die Bäcker müssen sich weiterentwickeln“, wissen die Unternehmer, denen die Firma zu gleichen Teilen gehört. Dass das Geschäft gerade für die kleineren Betriebe nicht einfacher wird, ist kein Geheimnis: „Sie müssen wachsen oder eine Nische suchen.“ Denn zwei Drittel der Bäcker in Deutschland machen weniger als eine Million Euro Umsatz im Jahr. Bei durchschnittlichen flüssigen Mitteln von zehn Prozent reicht das nicht zum Leben, geschweige denn zum Investieren. So ist die Zahl der Bäckereien in Deutschland von 2008 bis 2014 von 15300 auf 12600 gesunken. Die Preissensibilität bei den Kunden ist groß, die Herstellung der Backwaren oft eine Pfennigfuchserei. Allerdings geben laut Wilhelm Peter Ihle die meisten Handwerker nicht auf, weil der Druck so groß, sondern weil die Nachfolge nicht geregelt ist.
Ihr eigene Erfolgsstory sehen die Brüder hingegen noch lange nicht am Ende. „Man braucht wenig Angst haben vor der Zukunft. Man muss die Zukunft gestalten“, findet Alexander Ihle mit Blick auf die 125-jährige Firmengeschichte.