Besser ist, man hat sie gar nicht erst im Haus. Denn sind sie da, werden sie eingeatmet. Ob Connaisseur oder zuckerfreier Kritiker – das Leben von Goldbären in einer offenen Tüte ist oft ziemlich kurz. Das ist gut für Haribo und schlecht für die Plautze. Ein süßes, ewiges Dilemma, seit fast einem Jahrhundert.
Vor 100 Jahren, am 13. Dezember, hat der Bonbonkocher Hans (Ha) Riegel (Ri) in Bonn (Bo) seinen damals noch sehr kleinen, in einer Hinterhofwaschküche ansässigen Laden ins Handelsregister eingetragen. Das Akronym Haribo wurde sehr schnell sehr bekannt, was nicht zuletzt an dem Tanzbären nachempfundenen Zuckerwerk lag, das 1922 zum ersten Mal auf den Markt kam. Heute lächeln die runden Bären, aber damals, wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, waren sie magerer und schauten zunächst auch grimmiger. Das Produktdesign, wie man heute sagt, hat sich geändert.
Täglich werden 160 Millionen Gummibärchen produziert
Die Goldbären allerdings bleiben nachgefragt. Sie sind heute "der internationale Topseller". Täglich werden 160 Millionen davon produziert. Wer sich schwer vorstellen kann, wie viel das ist, dem hilft die längst global aufgestellte, aber nach wie vor familiengeführte Firma mit weltweit über 7000 Angestellten auf Nachfrage gerne: "Stehend aneinandergereiht könnte die Tagesproduktion die Erde etwas mehr als sieben Mal umrunden." Gut für Haribo, schlecht für die Plautze.
Nun gibt es nicht nur Goldbären, sondern gerade im Jubiläumsjahr manches, was geeignet ist, bei Haribo nicht nur Feierlaune aufkommen zu lassen. Es gibt Ärger und heftige Kritik, weil der Konzern sein Werk im sächsischen Wilkau-Haßlau schließen will. Ein Streit über Preiserhöhungen sorgt zudem dafür, dass Lidl derzeit Goldbären und Co nicht mehr im Regal stehen hat. Und die Corona-Pandemie hat auch Folgen.
Am meisten Schlagzeilen macht aber sicher die Werksschließung, zu der sich auch das langjährige Werbegesicht Haribos, Thomas Gottschalk, äußerte. Der hat in "Wetten, dass..." über Jahre die Goldbären zur Primetime unters Volk gejubelt, wurde zuletzt von der für den Standort kämpfenden Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) angefragt und sagte diesen: "Wenn man sich auf die Fahne geschrieben hat: 'Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso', muss man das auch als Arbeitgeber ernst nehmen. Ich bin überzeugt: Mein alter Partner Hans Riegel, der dem Produkt seinen Namen gegeben hat, würde das genauso sehen. Leider sind wir beide nicht mehr im Amt!"
Thomas Gottschalk ärgert sich über die Schließung eines Haribo-Werks
Trotz aller Kritik, die nicht nur von der Gewerkschaft, sondern auch von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und dem Land Sachsen kommt, bleibt man bei den Plänen und begründet diese damit, dass das Werk nicht mehr die Anforderungen an eine "wirtschaftliche und effiziente Produktionsstruktur" erfülle. Ein Unternehmenssprecher erklärte auf Anfrage: "Es wären unverhältnismäßig hohe Investitionen nötig, um die Produktionsabläufe in Wilkau-Haßlau konsequent auf die Anforderungen unserer Wachstumsstrategie auszurichten.
Das Werk verfügt allein aufgrund seiner baulichen Substanz nicht über die notwendigen Entwicklungsmöglichkeiten." Ein Abriss und Neubau 500 Kilometer entfernt von unserem Zentrallager im rheinland-pfälzischen Grafschaft sei "weder wirtschaftlich noch nachhaltig" und scheide damit als Option aus. Man arbeite mit dem Betriebsrat an sozialverträglichen Lösungen, unterstütze die Gemeinde dabei das Betriebsgelände zu entwickeln und habe zudem am Hauptstandort in Grafschaft 300 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
Der Umsatz von Haribo wird auf drei Milliarden Euro geschätzt
Und dem Gottschalk-Statement entgegnet der Unternehmenssprecher, dass der angesprochene Hans Riegel, der langjährige Chef, "immer großen Wert auf die Unabhängigkeit von Haribo als Familienunternehmen" gelegt habe. Dessen Überzeugung sei gewesen, dass Haribo in der Konkurrenz zu den großen Konzernen nur bestehen könne, wenn das Unternehmen "auf allen Ebenen wirtschaftlich" arbeite.
Die NGG Landesbezirk Ost betont, dass Haribo nicht aus der Verantwortung sei. "Es muss eine Nachfolgelösung für das Werk und die Beschäftigten geben." Am Freitag gab es eine Betriebsversammlung. Kündigungen wird es zumindest dieses Jahr nicht geben. Die rund 150 Beschäftigten hoffen. Aber vor den Werkstoren lagen zuletzt Goldbären-Grabsteine.
Haribo hat in Deutschland Marktanteile verloren
Haribo hält sich mit der Veröffentlichung von Zahlen zurück. Aber mit einem auf drei Milliarden Euro geschätzten Jahresumsatz geht es dem Gummibärchen-Giganten sicher nicht schlecht. Auch wenn man in Deutschland Marktanteile verloren hat. Waren es 2015 noch 65 Prozent, schwanken sie Unternehmensangaben zufolge in den letzten Jahren "immer zwischen 56 und 60 Prozent". Mit der Entwicklung sei man "zufrieden", heißt es. Die Konkurrenz sei nicht weniger geworden.
Birgit Felden, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, sagt zur jüngeren Entwicklung Haribos, das Unternehmen habe eine Zeit lang "zu viel experimentiert" zum Beispiel mit zuckerfreien Fruchtgummis. "Das kam beim Konsumenten nicht gut an und hat das Image verwässert. Im letzten Jahr wurde an der Stelle aber klar zurückgerudert." Fragt man die Expertin für Familienunternehmen, wie es der Marke gelungen ist, Kult zu werden, sagt sie: "Ich denke, es ist das Fröhliche, Spielerische, was ankommt und auch bei Erwachsenen das Kind wieder wach werden lässt."
Denn trotz des Ärgers im Jubiläumsjahr bleibt Haribo eine Erfolgsgeschichte. Bettina de Cosnac, Journalistin und Autorin, hat zwei Bücher über Haribo und die Eigentümerfamilie geschrieben. Sie erklärt den Haribo-Kult so: "Die Marke ist durch die den Deutschen zugeschriebenen Tugenden – wie Bodenständigkeit, Fleiß, allerdings gepaart mit einem Hauch rheinischer Frohnatur – groß geworden. Diese Tugenden merkt man den bunten Produkten aber nicht an." Denn zugleich sei Haribo auch ein "Chamäleon". Die Franzosen würden zum Beispiel denken, Haribo stamme aus Frankreich.
Goldbären-Slogan: Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso
De Cosnac kannte auch Hans Riegel junior, den 2013 verstorbenen Sohn des Gründers, der mit seinem Bruder Paul nach dem Zweiten Weltkrieg das Imperium ausbaute. Sie beschreibt die Energie, mit der "der Doktor", wie er genannt wurde, seine Ideen reaktionsschnell umsetzte.
Nur ein Beispiel von vielen: Als das Eisbärenbaby Knut im Berliner Zoo vor Jahren die Welt verzückte, brachte Haribo "Knuddel Knut’sch" auf den Markt. Riegel junior, sagt de Cosnac, sei "ein Patriarch" gewesen, "aber auch bemutternd". Der Saxofon-Spieler organisierte Ausflüge für die Angestellten. Am alten Bonner Werk gab es ein Schwimmbad, das benutzt werden durfte. In seiner Zeit wurde auch der Slogan "Haribo macht Kinder froh ..." um den Zusatz "...und Erwachsene ebenso" ergänzt. "Unbezahlbar" sei der, sagt das Unternehmen und das meint auch de Cosnac.
Fragt man sie, wie lange eine Tüte Goldbären bei ihr hält, sagt sie: "Wenn ich Zurückhaltung übe, dann geschätzte zwei mal zehn Minuten. Mit eine Verschnaufpause."
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