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Wertingen: Vor einem Jahr: Als Wertingen das Wasser bis zum Hals stand

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Vor einem Jahr: Als Wertingen das Wasser bis zum Hals stand

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    Vor einem Jahr versank das Zusamtal im Starkregen. Besonders hart traf es Wertingen und die Ortsteile Roggden, Hohenreichen und Gottmannshofen. Die Baumschule von Tobias Munz wurde großflächig verwüstet, wie das Bild zeigt.
    Vor einem Jahr versank das Zusamtal im Starkregen. Besonders hart traf es Wertingen und die Ortsteile Roggden, Hohenreichen und Gottmannshofen. Die Baumschule von Tobias Munz wurde großflächig verwüstet, wie das Bild zeigt. Foto: Tobias Munz (Archivbild)

    Wenn Wertingens Bürgermeister Willy Lehmeier einen Blick auf die Wetterdaten wirft, dann ist es anders als vor einem Jahr. Anders als vor dem 6. Juni 2021, als in der Zusamstadt Wassermassen vom Himmel fielen wie wahrscheinlich nie zuvor. 70 Liter pro Quadratmeter und Stunde waren es teilweise, schon ab rund 50 Litern sprechen Fachleute von einem Jahrhundertereignis für die jeweilige betroffene Region. „Was bleibt, sind die verstörenden Bilder der Wassermassen und der Schäden, die dadurch entstanden sind. Das vergisst man nicht. Und man geht auch nicht zur Tagesordnung über“, sagt Lehmeier gegenüber unserer Redaktion.

    Auch die Wertinger Innenstadt wurde überflutet.
    Auch die Wertinger Innenstadt wurde überflutet. Foto: FFW Wertingen (Archivbild)

    Das größte Glück an diesem Tag war, dass niemand in den Sturzfluten ertrank. Zwei Feuerwehrleute wurden leicht verletzt, ansonsten kam niemand ernsthaft physisch zu Schaden. Das dürften die Bewohner der Stadt zu einem großen Teil den Feuerwehren und zahlreichen weiteren Hilfseinrichtungen zu verdanken haben, die an diesem Tag bis zur völligen Erschöpfung im Einsatz waren. Allein am 6. Juni zwischen 17.24 Uhr und 5.45 Uhr wurden von den Wehren in der Region rund 290 einzelne Einsätze absolviert, wobei noch eine erhebliche Zahl kleinerer nicht erfasster Hilfeleistungen dazugekommen sein dürfte. Die Ehrenamtlichen pumpten Keller aus, räumten Schutt weg, halfen Personen aus ihren Autos.

    Sehr viel Wasser im Kernstadtbereich von Wertingen

    Die Wassermassen gingen großteils im Kernstadtbereich nieder, wo sie sich ihren Weg in die tiefer gelegenen Bereiche bahnten. Sprich: Sie kamen die Anhöhen herunter, am Fuße des Ebersbergs etwa musste die Feuerwehr besonders viele Einsätze absolvieren. Sehr viel Wasser floß auch in Richtung Innenstadt und Industriestraße. Vom Wohngebiet Himmelreich schoss das Wasser hinunter Richtung Eisenbachgraben, von dort über den Friedhof Richtung Industriestraße. Weiter südlich wurden der Marktplatz und die Innenstadt überflutet. Große Schäden verursachte das Wasser beispielsweise bei der Baumschule Munz, die fast komplett verwüstet wurde. Große Schäden richteten die Fluten auch im damals kurz vor der Fertigstellung stehenden städtischen Kindergarten Gänseblümchen an, weshalb sich dessen Eröffnung um zwei Monate verzögerte. Rund 350. 000 Euro Schaden richtete das Wasser an, unter anderem in den Außenanlagen, der Wärmepumpe der Heizung und im Fußboden, der langwierig mit Maschinen getrocknet werden musste. Auch die Redaktionsräume der Wertinger Zeitung am Marktplatz wurden geflutet.

    Neben der Kernstadt traf es auch Gottmannshofen, Hohenreichen und Roggden sowie den Buttenwiesener Gemeindeteil Frauenstetten intensiv. Der Stadtrat und Michael Humbauer erinnert sich folgendermaßen an diesen Tag zurück: Als es nachmittags stärker zu regnen begann, hatten die Mitglieder der Feuerwehr schon auf Whatsapp regen Kontakt. „Die Stimmung war so in der Art ‚Wir sehen uns nachher ja eh noch‘ in der Gruppe“, sagt Humbauer. Deshalb fuhren die Mitglieder schon relativ früh ins Feuerwehrhaus. Später wäre es per Auto auch nicht mehr möglich gewesen, dorthin zu fahren.

    Es wurde, wie für alle freiwilligen Feuerwehrleute in der Umgebung, ein langer und harter Einsatztag. Glück im Unglück sei gewesen, dass das Wasser zwar mehr, aber nicht so schmutzig gewesen sei wie bei vergangenen Ereignissen.

    Für die Feuerwehr wurde Schlaf zur Mangelware

    Der Wertinger Kommandant Rudi Eser erinnert sich an seinen denkwürdigen Weg zur Feuerwache. Bei der ersten Alarmierung ging es um den ersten vollgelaufenen Keller. „Als ich an der Feuerwache angekommen war, waren bereits 20 gemeldet“, sagt er. Innerhalb von Minuten galt es, einen Krisenstab samt Kommunikationsstelle einzurichten, Einsätze zu priorisieren, Kräfte und Material einzuteilen. Bis in die Morgenstunden ging die erste Einsatzwelle, nach anderthalb Stunden Schlaf kümmerte sich Eser dann um seinen eigenen vollgelaufenen Keller. Dann ging es weiter. Für die Einsatzkräfte wurden in den Tagen und Nächten Erholung und Schlaf selten. Die Nacharbeiten, wie das Aufräumen und die Wartung der Geräte, zogen sich Wochen hin. Noch lange steckte Eser und seinen Kameradinnen und Kameraden der regionalen Wehren das Ereignis in den Knochen. Und das alles zu einer Zeit, in der aufgrund von Corona die Arbeitsbedingungen für die Ehrenamtlichen ohnehin schon erschwert waren.

    Die Baumschule von Tobias Munz wurde von den Wassermassen besonders schlimm verwüstet. „Ich denke immer noch mit Schrecken an diesen Tag zurück“, sagt Munz gegenüber unserer Redaktion. Der nahe Eisenbach sei durch die Regenmengen rasend schnell angestiegen – schneller, als es Munz für möglich gehalten hätte. Als die ersten Topfpflanzen weggeschwemmt wurden, versuchte er noch, sie zu retten. Doch dann wurde es gefährlich. „Ich wusste: Jetzt muss ich da raus, sonst werde ich auch mitgerissen“, erinnert er sich.

    Ausgerechnet das Gießen der Pflanzen wurde nach der Flut zum Problem

    Der Schaden war enorm. Tausende Pflanzen waren fortgespült worden, ebenso der Schotter von den Wegen. Und das Bewässerungssystem wurde zerstört. Die bittere Ironie bei diesem Ereignis war somit für Munz, dass es in den kommenden Tagen zum Hauptproblem wurde, seine verbliebenen Pflanzen wieder zu gießen. „Nachdem das Wasser weg war, wären die sonst vertrocknet.“ Tausende Pflanzen per Hand zu gießen und seinen verwüsteten Betrieb wieder aufzubauen, war eine Mammutaufgabe, die stellenweise heute noch nicht abgeschlossen sei. Doch zu Munz’ Glück standen sein Bekanntenkreis und seine Familie geschlossen hinter ihm. Vereinskollegen, Freunde, Parteikollegen der Freien Wähler, Verwandte kamen zum Helfen, sogar Klassenkameraden seines Sohnes aus einer Schule in Veitshöchheim. Die Gaststätte Gänsweid versorgte die Helfer mit Essen, die Firma Landtechnik Breindl stellte Geräte zur Verfügung. „Ich bin allen unendlich dankbar“, sagt Munz.

    Die Rückschau offenbart also auch Lichtblicke. Doch wie sieht der Blick in die Zukunft aus? Was hat sich getan, was kann sich überhaupt ändern? Viel war auch im Nachgang zum Ereignis im Stadtrat über das Kanalnetz Wertingens gesprochen worden. Die Feuerwehren konnten zeitweise gar keine Keller auspumpen, weil das Wasser schlicht nirgends mehr abfließen konnte, da das unterirdische Rohrleitungssystem bis zum Anschlag ausgelastet war. Man müsse realistisch bleiben, sagt Rudi Eser. „Man kann sich nicht für jedes Ereignis hundertprozentig absichern.“ Eine merkliche Vergrößerung der Abflusskapazitäten war auch im Stadtrat nicht diskutiert worden, da diese irrwitzige Summen verschlingen würde, so die parteiübergreifende Meinung.

    Die Stadt will Vorkehrungen treffen - doch Sicherheit gibt es nicht

    Dennoch sei einiges in Bewegung gekommen, sagt Bürgermeister Lehmeier. „Wir haben sowohl für Wertingen als auch Hohenreichen und Roggden Überrechnungen der Kanalnetze in Auftrag gegeben. Wir haben die Abflüsse des Starkregens berechnen lassen, so dass wir an den neuralgischen Stellen Lösungen anstreben. So prüfen wir etwa in Roggden den Einbau einer Drossel im Aufbach und wollen in Hohenreichen Feldwege erhöhen, damit die Wassermassen abgebremst, geleitet und gelenkt werden können.“ Wo es nötig war, habe die Stadt Ausrüstungsgeräte für die Wehren nachbestellt, insbesondere Pumpen.

    Nach dem Starkregen musste viel aufgeräumt werden.
    Nach dem Starkregen musste viel aufgeräumt werden. Foto: Veh (Archivbild)

    Im Hinblick auf kommende Ereignisse verteilte die Feuerwehr nach dem Hochwasser in Hohenreichen Flyer an die Bewohner, in dem sie für eine persönliche Beratung warb. Dieses Angebot habe allerdings nur eine Person angenommen, sagt Humbauer bedauernd. Er wirbt für die private Anschaffung sogenannter „Flutsets“ – Tauchpumpe, Schmutzfangkorb und Schlauch für Zuhause. Das könne im Fall der Fälle „viel Druck herausnehmen“ und sei auch nicht sonderlich teuer.

    Das sieht auch Bürgermeister Lehmeier so. Er habe die „innige Bitte“, dass sich jeder beim Objektschutz selbst einbringt. „Die Stadt und auch die Einsatzkräfte können bei einem solchen Naturereignis nur bedingt Hilfe leisten“, so der Rathauschef.

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