In einer Klasse zu sitzen und am Unterricht teilnehmen, ohne hören zu können – klingt unvorstellbar, oder? Für die 27-jährige Chrysovalantou Doumtsi ist das allerdings ganz normal. Sie wurde mit einem Gendefekt geboren, der sie von Geburt an gehörlos macht. Seit September 2023 nimmt sie am Unterricht der Hauswirtschaftsschule (HWS) in Wertingen teil. Begleitet wird sie dabei von zwei Dolmetscherinnen, die die Gebärdensprache simultan übersetzen. Zu Beginn der Ausbildung waren diese nicht dabei. Anfangs bekam Doumtsi den Inhalt des Unterrichts deshalb schriftlich und musste an der Tafel mitlesen. „An den Gesprächen der Klasse konnte ich damals leider noch nicht teilnehmen“, erzählt sie. Durch die Dolmetscherinnen fühlt sie sich der Klassengemeinschaft zugehörig und gut integriert. „Ich fühle mich normal und nicht, als hätte ich eine besondere Stellung“, sagt die 27-jährige.
Die HWS zu besuchen, war ursprünglich gar nicht geplant, erzählt Chrysovalantou Doumtsi. In München schloss sie ihre Ausbildung ab. Damals hatte sie noch bei ihren Eltern gewohnt. Als ihr Sohn auf die Welt kam, zog sie schließlich zu ihrem Freund nach Bissingen. Dort unterhielt sie sich immer wieder mit der Nachbarin, die etwas Gebärdensprache konnte. Thema war in diesen Gesprächen auch, dass Doumtsi in einigen hauswirtschaftlichen Kompetenzen, wie waschen oder kochen, noch sehr unsicher war. Ihre Nachbarin empfahl ihr daraufhin, die Hauswirtschaftsschule zu besuchen.
„Es sind nur etwa 30 Prozent des Gesagten (von den Lippen) ablesbar“
Die Idee gefiel Doumtsi. Das Beantragen der Dolmetscher für den Unterricht war allerdings eine Herausforderung. Die Anträge seien sehr kompliziert, und bis alles geprüft ist, dauere es eine Zeit. Bis November musste Doumtsi den Unterricht ohne Dolmetscher überbrücken. Dabei spielte auch das Lippenlesen eine Rolle. „Es sind nur etwa 30 Prozent des Gesagten wirklich ablesbar“, erläutert die Bissingerin. Den Rest müsse man aus dem Kontext erschließen. „Sonne und Nonne haben zum Beispiel die gleiche Lippenbewegung“, erklärt sie. Lippenlesen sei auf Dauer auch sehr anstrengend. Es entstehen dann viele Missverständnisse, so Doumtsi.
Ohne die Dolmetscher hätte die Teilnahme in der Hauswirtschaftsschule nicht geklappt, ist sie sich sicher. Durch deren Übersetzung könne sie sich besser auf den Unterricht konzentrieren und es sei nicht so anstrengend. Trotzdem habe sie auch alleine von Anfang an durchgezogen, betont die Leiterin der Abteilung Hauswirtschaft, Cornelia Stadlmayr. „Wir haben uns anfangs gedacht, mal schauen, ob es klappt“, erzählt sie. Chrysovalantou Doumtsi sei schließlich die erste Gehörlose an der HWS. „Die Situation war für uns nicht alltäglich, aber man wächst mit seinen Herausforderungen“, so Stadlmayr. Die anderen Studierenden mussten sich erst etwas an die Dolmetscher gewöhnen. „Der Blick ging oft dahin, wo sich etwas bewegt, also zur Dolmetscherin“, erzählt die Abteilungsleiterin. Mittlerweile seien diese allerdings ebenfalls ein Teil der Klassengemeinschaft. Auch die Studierenden lernen gegenwärtig einige Worte in Gebärdensprache. „Als gehörlose Person freut man sich, wenn jemand ein paar Gebärden kann, weil man davon ja nicht ausgeht“, freut sich Doumtsi.
In ihrer Heimat Griechenland war Chrysovalantou Doumtsi an einer Schule für Normalhörende. Wie sie das damals gemacht hat, kann sie sich nicht erinnern. In Deutschland besuchte sie dann eine Gehörlosenschule. Den Alltag könne sie ohne Dolmetscher ganz gut bewältigen, berichtet die Kesseltalerin. Kurze Arzttermine bei ihrem bekannten Hausarzt schaffe sie beispielsweise alleine. Manchmal treffe man natürlich auf Situationen, in denen man sich nicht gut verständigen kann, erläutert Doumtsi. Das könne man jedoch im Voraus nicht wissen. Sie nimmt in einem solchen Fall Stift und Papier zu Hilfe.
In Europa gebe es für Gehörlose leider immer noch einige Barrieren, stellt die 27-Jährige fest. Bei der Bahn seien Informationen, die nur über Durchsagen weitergegeben werden, für Gehörlose nicht wahrnehmbar. Auch im Fernsehen oder auf YouTube fehlen manchmal sinnvolle Untertitel. Außerdem sei es hier fast eine Rarität, wenn jemand Gebärdensprache spricht, sagt Doumtsi. In den USA sei das anders. Dort könne man sich beispielsweise mit Kellnern oder Polizisten oft verständigen. „In den USA ist die Gebärdensprache auch schon deutlich länger anerkannt als in Deutschland“, erklärt Doumtsi. „Da ist es normaler. Die gehen das einfach anders an.“
„Was nicht zum Pflichtteil des Unterrichts gehört, wird nicht bezahlt“
Um Dolmetscher muss man sich in Deutschland früh kümmern und nicht alle Veranstaltungen werden genehmigt. Doumtsi konnte beispielsweise weder an der Hochbeet-Einweihung der HWS, noch an einem dreitägigen Ausflug nach Landsberg teilnehmen. „Alles, was nicht zum Pflichtteil des Unterrichts gehört, wird nicht bezahlt“, erklärt sie. Das sei sehr schade, da ihr somit viele schöne Erinnerungen fehlen, die der Rest der Klasse hat. Sie selbst wird seit November 2023 im Unterricht von zwei Dolmetscherinnen der Gestus GmbH aus Bad Wörishofen begleitet.
Geschäftsführerin Barbara Askandar ist seit 15 Jahren offiziell ausgebildete Dolmetscherin für deutsche und polnische Gebärdensprache. Diese beherrschte sie schon als Kind, da ihre Eltern gehörlos seien, erzählt sie. Auch sie hält es für sehr schade, dass die Bereiche, für die ein Dolmetscher genehmigt wird, sehr eingeschränkt seien. „Die Teilhabe an der Gesellschaft wird den Gehörlosen so begrenzt“, meint sie. Es gebe viele unterschiedliche Interessen, aber nur beschränkte Möglichkeiten, diesen nachzugehen. Leider gebe es auch nicht so viele Dolmetscher für die Gebärdensprache.
Chrysovalantou Doumtsi hofft, dass sie mit ihrer Ausbildung an der Hauswirtschaftsschule auch andere Gehörlose inspirieren kann. Sie will anderen Mut geben, dass man überall ein Teil der Gesellschaft sein kann und sich nicht ausgeschlossen fühlen muss. Chrysovalantou Doumtsi sagt: „Ich hoffe, dass sich manche denken, wenn die das kann, kann ich es auch.“
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