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Buttenwiesen: So schlimm leidet diese Frau aus Pfaffenhofen an der Krankheit Lipödem

Buttenwiesen

So schlimm leidet diese Frau aus Pfaffenhofen an der Krankheit Lipödem

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    Verena Pfarrkircher aus Pfaffenhofen leidet an der Krankheit Lipödem und muss deshalb Strümpfe, Stulpen und eine Unterhose für die Kompression tragen – abwechselnd tagsüber und nachts.
    Verena Pfarrkircher aus Pfaffenhofen leidet an der Krankheit Lipödem und muss deshalb Strümpfe, Stulpen und eine Unterhose für die Kompression tragen – abwechselnd tagsüber und nachts. Foto: Benjamin Reif

    Mit der Zeit habe sie gelernt, mit vielem umzugehen, sagt Verena Pfarrkircher. Dem Spott der Menschen, die auf sie zeigen, wenn sie ins Schwimmbad geht. Auch wenn sie es meistens nicht hört, bemerkt sie das Tuscheln hinter ihrem Rücken. „Ich weiß, dass die Leute dann etwas sagen wie: Mensch, kuck dir die an, die ist ja fett“, sagt die 28-Jährige, die als gelernte Kinderkrankenschwester am Augsburger Josefinum arbeitet.

    Sie würde gerne aus eigener Kraft etwas gegen ihr Gewicht machen, doch das geht nicht. Denn der Zustand von Verena Pfarrkirchers Fettgewebe kommt nicht von Fastfood und Eiscreme, sondern von einer Krankheit. Sie leidet unter Lipödem. Körperfett wächst beim Menschen nicht einfach vor sich hin. Der Körper bestimmt durch Fettzellen, wo und wie viel Fett eingelagert wird. Beim gesunden Menschen lagert der Körper sozusagen für Notzeiten Fett relativ gleichmäßig unter der Haut ein, wenn er mehr Kalorien über die Nahrung bekommt, als er verbrauchen kann. Bei Frauen mit Lipödem – Männer erkranken praktisch nie – wuchern und vermehren sich die Fettzellen aber unkontrolliert. Ob zu viel oder zu wenig Kalorien über die Nahrung zugeführt werden, spielt keine Rolle. Das Fett wächst unproportional – besonders sind der Hüftbereich sowie Beine und Arme betroffen.

    Die Diagnose für Verena Pfarrkicher kommt erst spät

    Verena Pfarrkircher sagt von sich, dass sie nie ein zierliches Mädchen gewesen sei. Aber erst in der Pubertät habe ihr Körper begonnen, eine „komische Form“ anzunehmen, wie sie sagt. Bis sie aber eine Diagnose erhielt, dauerte es lange. Mehrere Arztbesuche, etwa bei einem Schilddrüsen-Spezialisten, halfen nichts – eher im Gegenteil. „Mir wurde einmal gesagt: Da müssen Sie halt eine Diät machen.“ Doch die brachte nichts, und der Frust in ihr wuchs. Die Diagnose kam mehr oder weniger durch Zufall: Nachdem sie wegen eines Leistenbruchs vor drei Jahren operiert wurde, erfolgte ein Schub ihrer Wucherungen. Endlich wurde sie an den richtigen Spezialisten verwiesen, der die Wucherungen auf eine Veränderung ihrer Hormone durch die Narkose zurückführte.

    Bei diesem Arzt fühle sie sich endlich gut aufgehoben, sagt Verena Pfarrkircher: „Er sagt mir gerade heraus, was zu tun ist, ohne irgendwelches mitleidiges Betutteln.“ Denn die meisten Reaktionen auf ihre Krankheit bewegten sich zwischen Unverständnis und Mitleid. Unzählige Male habe sie die „Aufmunterung“ gehört, es doch vielleicht mal mit einer Diät und mehr Bewegung zu versuchen. Mittlerweile sei ihr Umfeld – Freunde, Familie und Arbeitskollegen – über ihre Krankheit im Bilde. Und den Liebsten in ihrem Leben sei sie sehr dankbar, sagt sie, denn ohne ihre Hilfe hätte sie vielleicht nicht aus ihrem Loch herausgefunden, in das sie nach der Verschlimmerung ihrer Krankheit gefallen sei. Familiärer Rückhalt und ihre Freunde hätten sie aufgefangen und oft auf andere Gedanken gebracht. Und natürlich ihr Freund Dominik, mit dem sie mittlerweile verlobt ist. „Ich habe gedacht, er kann so viele Sachen nicht mehr mit mir machen, Radtouren oder Wanderungen.“ Sie habe ihn gefragt, ob er sich nicht lieber eine schlanke, gesunde Partnerin suchen möchte. „Er hat gesagt: Spinnst du denn? Ich liebe dich so, wie du bist.“ So habe sie dieses Kapitel noch enger zusammengeschweißt.

    Die Krankenkasse zahlt für die Operation nicht

    Lipödem ist unheilbar und wird bei den Betroffenen tendenziell immer schlimmer. Da die Gefäße der krankhaft wuchernden Fettzellen brüchig und durchlässig sind, gelangt Wasser ins Gewebe, das sich besonders in den Beinen sammelt. Durch den „Platzmangel“ in den betroffenen Körperregionen kommt es oft zu schlimmen Druckschmerzen. So ist es auch bei Verena Pfarrkircher – sie unterzog sich deshalb vor einem Monat einer Operation, bei der ihr zwölf Liter krankes Fettgewebe abgesaugt wurden. Insgesamt, so schätzt es ihr behandelnder Arzt, werden sechs bis sieben Operationen notwendig sein. Und das nur mittelfristig.

    Das große Problem dabei: Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nicht. Alles in allem ist die 28-Jährige bislang auf einem Betrag von rund 9000 Euro sitzen geblieben. Mit ihrer Krankenkasse sei sie in regelrechten Streit geraten, sie habe wütend Antworten verlangt. Warum würden adipösen Patienten Magenverkleinerungen bezahlt, aber ihre Operation nicht? Der Chef der Kasse habe sie schließlich persönlich angerufen, erzählt sie. Und ihr erklärt: Die Kasse würde ihr gerne helfen, dürfe aber nicht. Denn seit einem Beschluss von 2019 ist eine Operation von Lipödem zwar eine Kassenleistung – aber nur, wenn die Patienten sich im Stadium drei befindet, und auch dann nur, falls eine sechsmonatige „konservative“ Behandlung erfolglos geblieben ist.

    Sie will mit Jens Spahn über das Thema Lipödem sprechen

    Verena Pfarrkircher befindet sich im Stadium zwei der Krankheit. Doch auch sie leide schon massiv an Schmerzen und generellem Verlust von Lebensqualität, sagt sie. Vor der neuen Regelung hätte ihr Fall mit einer Sonderfallleistung von der Kasse übernommen werden können. Jetzt aber gehe das nicht mehr – es werde quasi immer gewartet, bis die Patientin das Stadium drei erreicht habe. Das mache sie zornig. „Mein Wunsch ist es, dass ich es Herrn Spahn in einer Talkshow direkt ins Gesicht sagen darf, was diese Regelung für Auswirkungen hat“, sagt sie.

    Angst vor der Zukunft habe sie nicht. Und obwohl sie Strumpfhosen nie gemocht habe, sei auch das tägliche Tragen der Kompressionsstrümpfe und der Stulpen in der Nacht kein Problem mehr für sie.

    Laut der offiziellen Schätzung ist ungefähr jede zehnte Frau von der Krankheit betroffen. Sie selbst wolle dazu beitragen, dass die Gesellschaft einen klareren Blick auf die Krankheit bekommt. Sie selbst habe vor anderthalb Jahren einen entscheidenden Schritt gemacht. Nach langem Zweifeln habe sie sich endlich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. Lange dachte sie, das wäre ein Zeichen von Schwäche. Das ist vorbei: „Dort kann man sich wunderbar austauschen und ist sofort verstanden.“

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit der Lipödem-Betroffenen Caroline Sprott an:

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