Sie waren Metzger und Pferdehändler oder betrieben einen kleinen Kolonialwarenladen. Sie waren jüdische Mitbürger, die in Binswangen friedlich mit der Dorfgemeinschaft lebten. Die Bauers, die Schwarz und die Müllers holte schon lange vor der Reichspogromnacht 1938 die Schreckensherrschaft der Nazis ein. Sie spürten wie andere Juden allenthalben in Deutschland das heraufziehende Grauen an der totalen Veränderung ihrer Lebensbedingungen. Sechs Millionen Juden fielen neben den 50 Millionen Kriegstoten Hitlers Schergen zum Opfer. Unter ihnen Juden aus Binswangen, die Tür an Tür eine gute Nachbarschaft mit den anderen Dorfbewohnern gepflegt hatten und im Ersten Weltkrieg sogar als Soldaten kämpften. Einige konnten sich auf dramatische Weise noch ins Ausland, wie zum Beispiel nach Amerika, absetzen.
Jüdischen Mitbürgern in Binswangen hat Anton Kapfer, Autor des Buches „Entrechtet – Entwürdigt - Entwurzelt“, nachträglich ein würdiges Denkmal gesetzt. Er forschte in mehreren Archiven und pflegte vielfältige Kontakte auch zu heute lebenden Nachfahren. Langes akribisches Sammeln historischer Daten und Fakten legte er dabei zugrunde. Sein Sammelwerk hat er mit einer Vielzahl von Bilddokumenten und fotografierten Urkunden angereichert. Die Häftlingspersonalkarte von Arnold Müller, die im KZ Buchenwald ausgefertigt wurde, ist ein erschütternder Beitrag, der den Buchtitel illustriert.
Anton Kapfer leitet auch den Förderkreis Alte Synagoge Binswangen
Das Buch von Anton Kapfer ist ein wichtiger Baustein für die Erinnerungsarbeit nicht nur in Binswangen und im Landkreis Dillingen. Der pensionierte Schulmann sieht seine Arbeit als anschauliche Informationsquelle gerade für junge Menschen in einer Zeit, wo die jüdischen Zeitzeugen aussterben. Er leitet auch den Förderkreis Alte Synagoge in Binswangen, wo sich zahlreiche Mitbürger aus dem ganzen Landkreis einbringen. Die hochbetagte Münchner Jüdin Hanna Zimmermann, die 2019 die Binswanger Synagoge besuchte, meinte bei diesem Anlass: „Ich klage nicht an, doch die Wahrheit darf niemals vergessen werden.“ 36 Mitglieder ihrer Familie waren ermordet worden. Was für ein Akt des Verzeihens trotz der Seelenqual bis ans Lebensende.
Die Weitergabe einer Botschaft hat sich Autor Anton Kapfer zur Zielsetzung gemacht. Die Geschichte und Wiederbelebung der Binswanger Synagoge flicht er in seine Sammlung von Schicksalen der jüdischen Familien, Schwarz, Bauer und Müller ein. Er schildert weiter die Erinnerungsarbeit, zu der man sich in Binswangen und Buttenwiesen sowie im ganzen Landkreis nicht nur verpflichtet fühlt, sondern die man auch überzeugend darstellt. Die Bemühungen gelten engagierten jungen Menschen. Schulen helfen mit, gibt sich der Autor dankbar.
Rudolf Schwarz hatte im Ersten Weltkrieg für sein deutsches Vaterland gekämpft
Der Textilkaufmann Rudolf Schwarz, der 1887 in Binswangen geboren wurde, war 1933 nach Buchenwald verschleppt worden und kam mit viel Glück wieder heim. Die Familie war 1923 von Binswangen aus nach Wiesbaden gezogen. Wo er letztlich doch ermordet wurde, ist nicht bekannt. Er hatte im Ersten Weltkrieg als Frontsoldat für sein deutsches Vaterland gekämpft. Die drei Schwestern Klara, Hedwig und Emilie Schwarz betrieben in der Hauptstraße in Binswangen einen kleinen Kolonialwarenladen. Sie mussten 1933 unter dem Druck des Systems schließen. Bruder Hugo, der in Augsburg lebte, unterstützte sie zunächst, bis er selbst ins Fadenkreuz geriet. Im April 1942 mussten die Schwestern mit zwei anderen Leidensgenossinnen Binswangen verlassen. Nur mit Handgepäck. Die Gestapo begleitete sie zum Bahnhof in Wertingen. Vermutlich sind die Geschwister Schwarz im Vernichtungslager Belcec in Polen ermordet worden.
„Doch es waren nicht alle so“, erklärte Margot Bauer 47 Jahre später versöhnlich
Margot Bauer, die als Kind in Binswangen schlimme Repressalien erleben musste, war die Tochter des Pferdehändlers Sigmund Bauer. Ihre Familie wanderte 1937 notgedrungen nach Palästina aus. Sie berichtete 1984 nach 47 Jahren in ihrer einstigen Heimatgemeinde aus einer düsteren Zeit. „Doch es waren nicht alle so“, erklärte sie versöhnlich. Für den Metzger Jakob Müller begann das Grauen bereits, als er sich dem allgemeinen Schächtverbot unterwerfen musste und damit seine Familie die Existenz weitgehend verlor. Sohn Bernhard musste später Dachau erleiden. Familienmitglieder der Müllers konnten noch nach Amerika flüchten. Nachfahren besuchten vor einigen Jahren Binswangen und ihre einstige Synagoge.
Das Buch von Anton Kapfer setzt entrechteten, entwürdigten und entwurzelten jüdischen Mitbürgern in Binswangen ein eindrucksvolles und nachhaltiges Gedenken. Herausgeber ist der Förderkreis Synagoge. Das Buch kostet 20 Euro und kann über den Förderkreis Synagoge beim Kulturamt des Landratsamtes Dillingen erworben werden.
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