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Wertingen: Ein komischer Vogel verschwindet auch in der Region Wertingen vom Feld

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Ein komischer Vogel verschwindet auch in der Region Wertingen vom Feld

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    Die klassische Vogelscheuche ist aus dem Landschaftsbild in der Region Wertingen fast komplett verschwunden – unser Symbolbild wurde 2018 in Bubenhausen aufgenommen.
    Die klassische Vogelscheuche ist aus dem Landschaftsbild in der Region Wertingen fast komplett verschwunden – unser Symbolbild wurde 2018 in Bubenhausen aufgenommen. Foto: Helmut Moßner (Symbol)

    Im Kampf gegen das Coronavirus ist uns fast jedes Mittel recht: Kontaktbeschränkungen genauso wie Stillstand in Vereinsleben, Gastronomie und Geschäftswelt oder „AHA-plus L“-Regeln und Prophylaxe-Gurgeln. Vogelscheuchen gehören nicht zum Abwehr-Repertoire. Im fernen Kambodscha schon, in dessen Dörfern bunte Strohpuppen namens „Ting Mong“ jetzt die bösen Geister der Seuche vertreiben sollen. In den nordschwäbischen Ortschaften kamen in der Vergangenheit solche selbst gebastelten Vorrichtungen aus Stangen und alten Klamotten häufig zum Einsatz – nicht gegen Dämonen, sondern ungebetene Vogelbesuche.

    Vogelscheuchen werden auch in der Wertinger Region seltener

    Doch auf den Feldern der Region scheinen sich die menschenähnlichen Figuren allmählich rar zu machen, was nicht nur an der kalten Jahreszeit liegen dürfte. Doch auch bei der kommenden Aussaat könnte der Anblick einer Vogelscheuche – ein Wort, das im bösen Sinne auch mal für andere Mitmenschen gebraucht wird – eine Seltenheit darstellen. Während fernöstliche Reisbauern auf die stillen Wächter des Ackers schwören, ziehen sie sich nordschwäbischem Boden zunehmend zurück. Das bemerkt mit Eugen Bayer der Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Bauernverbandes (BBV). „Vor einem halben Jahrhundert gehörte das noch zum alltäglichen Erscheinungsbild.“ Nur noch vereinzelt gebe es sie im Land zwischen Syrgenstein und Buttenwiesen. An verschiedenen Standorten reagiere man damit „sehr eindrucksvoll“ auf die zum Teil massiven Eingriffe der Vögel in die bäuerliche Ernte.

    Vogelscheuchen können eine lange Tradition vorweisen: Schon im steinzeitlichen Ackerbau soll man zu diesen Imitationen gegriffen haben. So lange gibt es wohl auch die Zweifel an der Wirksamkeit der heute bunt daherkommenden Figuren, oft mit Stroh aufgefüllt und einem alten Hut an der Spitze. ausgestopft. „Das funktioniert nur ein oder zwei Tage, also recht kurzfristig“, gibt BBV-Kreisobmann Klaus Beyrer seine Erfahrungen damit weiter. Der über die Regionsgrenzen hinaus bekannte Kämpfer für die Bauern dürfte wohl auch die Worte des deutschen Dichters Christian Morgenstern kennen, der in einem Gedicht einst gegen die Attrappen spöttelte: „Die Raben rufen: Krah, krah, krah! Du bist ja nur eine bloßer Stock, mit Stiefeln, Hosen, Hut und Rock.“

    Auch Kicklinger Kollege bezweifelt langfristigen Nutzen von Vogelscheuchen

    Krähen fielen an manchen Stellen auch zu Hunderten ein, wie der Bocksberger Jürgen Meitinger erzählt.
    Krähen fielen an manchen Stellen auch zu Hunderten ein, wie der Bocksberger Jürgen Meitinger erzählt. Foto: Felix Kästle/dpa

    Dass es mit dem Aufstellen des Vogelschrecks allein getan sein könnte, bezweifelt auch Kollege Karl Schneider (Kicklingen): „Der Aufbau einer Vogelscheuche muss an die Vogelart angepasst werden, sonst geht da nichts“, erklärt der Landwirt und Stadtrat in Dillingen. Krähe oder etwa Stare verhielten sich jeweils anders, und das müsse bei der Gestaltung und Positionierung mit berücksichtigt werden.

    Jürgen Meitinger aus Bocksberg erinnert an die rabenschlauen Krähen, die an manchen Stellen zu Hunderten einfallen würden: „Eine Katastrophe für den Bauern, der diese Tiere nicht mit einfachen Mitteln vertreiben kann.“ Dies gelte auch beim massiven Auftritt der Wildgänse an den Gewässern Lauingens, an denen „die Tiere alles kaputtfressen“. Der Oberliezheimer Albert Sporer fügt hinzu, dass selbst harmlose Spatzen bald den Dreh´ herausbekämen, wenn man es bei der Vogelabwehr nicht vorausschauend anstelle. Lebensgroße, furchterregende Gestalten, tanzende Dosen an Besenstielen oder Schreckschussanlagen am Maisfeld: Mit einem ganzen Arsenal an Vorrichtungen, mit dem man die ganze Vogelschar fernhalten kann, setzen sich die um ihre Tagesarbeit bangenden Landwirte zur Wehr.

    Auch mit „echten“, aber toten Krähen, so geschehen im vergangenen Sommer. Der Aufschrei über die an den Beinen aufgehängten Kadaver war unüberhörbar. Aber auch der Frust bei den Bauern. „Das ist doch ein effizientes Mittel gegen die Raben. Es sieht zwar nicht schön aus, aber damit könnten wir viele Dutzende der Tiere retten, die bei einem behördlich genehmigten Abschuss entfernt würden“, rechtfertigt Jürgen Meitinger die umstrittene Maßnahme eines Kollegen.

    Bocksberger Landbesitzer: "Danach war Ruhe am Feld, aus."

    Schon als kleiner Bub habe er so etwas immer miterlebt: „Danach war am Ruhe am Feld, aus.“ Was den Protest von Bürgern wegen der „Krähenscheuche“ angeht, fühlt sich der Bocksberger Landbesitzer an die zahlreichen Opfer beim Vogelschlag erinnert: „Von den Leuten, die sich über so etwas aufregen, erwarte ich den gleichen Aufschrei wegen der Millionen von verendeten Vögeln an den Fensterscheiben etwa in der Stadt.“

    Diesen hat er jedenfalls beim ehemaligen Umweltreferenten der Stadt Wertingen, Ludwig Klingler, sicher. Der anerkannte Vogelexperte spricht sich zwar nicht gegen die „harmlosen Gestelle auf den Feldern aus – aber das mit den Krähen, das geht gar nicht und ist äußerst schlimm.“ Regierungsdirektorin Christa Marx vom Landratsamt sieht Verstöße gegen das Naturschutzrecht und meldet zudem ethische Bedenken an. Kein Problem hat die Juristin mit den immer seltener aufgestellten Vogelscheuchen: „Solange sie nicht drei Meter hoch und dauerhaft zum Einsatz kommen, besteht keine Baugenehmigungspflicht.“ Das gelte auch für die grünen Fichtenholzkreuze, die vor zwei Jahren im lautstarken Streit um den richtigen Weg der Agrarbranche aufgerichtet wurden.

    Einen eher stillen Protest macht dagegen Markus Erlwein, Pressesprecher beim Landesbund für Vogelschutz (LBV), bei der Tierwelt aus: „Viele Vogelarten sind vom Aussterben bedroht, da braucht man auch nichts mehr verscheuchen.“ Den Verursacher des Massentods findet Thomas Hefele, zweiter Vorsitzender der Kreisgruppe beim Bund Naturschutz, in der Landwirtschaft: „Wegen deren fortschreitenden Industrialisierung hat man kaum noch Zeit zum Aufstellen von klassischen Vogelscheuchen. Das Gift im Boden und zum Beispiel die chemische Behandlung von Saatkörnern reduziert die Zahl der Tiere, man braucht da zum Verjagen auch keine Holzpuppe mehr.“

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