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Pflegealltag: Mancher Anblick schmerzt hier

Pflegealltag

Mancher Anblick schmerzt hier

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    Ingrid Förg (links) lässt sich Apfelmus von ihrer Kollegin Maria Zander „eingeben“. Die Erfahrung ist nicht angenehm – doch müssen sie Tausende von Senioren jeden Tag machen. Die Altenpflegeschule in Wertingen gab Besuchern mit einer „Pflegevernissage“ einen Einblick in fast alle Aspekte der Pflege.
    Ingrid Förg (links) lässt sich Apfelmus von ihrer Kollegin Maria Zander „eingeben“. Die Erfahrung ist nicht angenehm – doch müssen sie Tausende von Senioren jeden Tag machen. Die Altenpflegeschule in Wertingen gab Besuchern mit einer „Pflegevernissage“ einen Einblick in fast alle Aspekte der Pflege.

    Oft schon hat Ingrid Förg ihren Schülern davon erzählt, wie unangenehm es für ältere Menschen ist, sich füttern zu lassen. Nicht die Kontrolle zu haben, wann man bereit ist für den nächsten Bissen. Wenn einem eine andere Person den Löffel in den Mund schiebt, und das bei aller Achtsamkeit nie so feinfühlig, wie man es selbst könnte.

    Am eigenen Leib erfahren hat die Lehrerin an der Höchstädter Berufsfachschule das aber noch nie –bis jetzt. Denn im Keller des Wertinger BRK-Hauses lässt sie sich gerade von ihrer Kollegin Maria Zander das Essen „eingeben“, wie es im Pflegejargon heißt. Obwohl die beiden Frauen bei der Prozedur amüsiert wirken, merkt man ihnen an, dass es kein Spiel ist, das sie veranstalten. Die Erfahrung am eigenen Leib beeindruckt Ingrid Förg, der Kontrollverlust ist befremdlich.

    Es ist eine von sieben Stationen in allein diesem Kellerraum, welche den Alltag von Pflegekräften erlebbar machen. Das BRK-Haus hat an diesem Donnerstagnachmittag Tag der offenen Tür. Heuer haben sich die Lehrer und Schüler etwas Besonderes einfallen lassen, um Besucher in ihren Alltag einzuführen: eine „Pflegevernissage“. Auf zwei Stockwerken erklären sie allerhand Interessantes, Kurioses, aber auch Trauriges.

    Die stellvertretende Leiterin der Wertinger Pflegeschule, Angelika Wolf, führt durch die Gänge des Gebäudes – fast überall hängen Installationen, Bilder und Erklärungen. Im Erdgeschoss sind die leichteren Themen verortet. Leon Schuster und Celine Dannemann haben etwa ein Rätsel erdacht, mit dem spielerisch auf die besonderen Erfordernisse aufmerksam gemacht werden soll, die die verschiedenen kulturellen Hintergründe der Senioren erfordern. So sollten Pflegeprodukte für Juden koscher sein, und für Chinesen ist es ein Tabu, sich in der Nähe des Tisches zu schnäuzen.

    Alle Schüler seien mit großer Motivation an die Präsentation ihres baldigen Berufes gegangen, sagt Wolf. Sie findet: Verniedlicht wurde in der Ausstellung nichts. Die Besucher werden aus der Komfortzone herausgeholt. Im Untergeschoss wird in mehreren Etappen die Geschichte eines pflegebedürftigen Ehepaares dargestellt. Die demente Frau ist in der Szene in einem Anfall akuter Verwirrung aus ihrem Zimmer verschwunden. Aber nicht, bevor sie nicht mit ihren eigenen Exkrementen einige Spuren hinterlassen hat. Und der Mann hat einen „Dekubitus“ am Gesäß – eine wund gelegene Stelle.

    Doch auch abseits der dramatischen Notfälle ist der Alltag des fiktiven Ehepaares, den die Besucher erleben, eine nachdenklich stimmende Erfahrung. Denn die Eheleute haben beide ihren eigenen Willen, den sie manchmal störrisch durchsetzen wollen. Mit einer x-beliebigen Frisur will die Frau beispielsweise nicht in den Tag starten. Deshalb werden ihre Haare täglich geflochten oder hochgesteckt. Auch beim Essen ist sie anspruchsvoll: Die Pfleger müssen sich deshalb immer wieder etwas einfallen lassen – etwa das pürierte Gemüse in ansprechender Form auf dem Teller präsentieren. Angelika Wolf ist es wichtig, dass die Schüler während der Ausbildung einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der Personen bekommen, die sie pflegen. Denn Unterhaltungen seien wichtig für das Gemüt der alten Menschen – doch nicht jedes Thema eignet sich dafür. „Man braucht mit einem 80-Jährigen meistens nicht über Computer reden“, sagt Wolf.

    Und auch in diesem Raum geht es um die unschönen Dinge, die für Pflegekräfte fester Bestandteil des Alltags sind – Exkremente, Erbrochenes, Blut. Melanie Schmidberger ist im zweiten Ausbildungsjahr und hat in ihrer vergleichsweise kurzen Zeit schon viele unappetitliche Szenen erlebt. So ziemlich alles Erdenkliche hat sie schon an Wänden und Decken kleben sehen. Am Anfang sei es nicht leicht gewesen, damit fertig zu werden, sagt sie. Doch mittlerweile macht es ihr nichts mehr aus. Es gehört schließlich zu ihrem Alltag.

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