Täglich gibt es mittlerweile neue Entwicklungen in der Politik, wie mit Corona und den entsprechenden Einschränkungen umgegangen wird. Innerhalb der Bayern-Koalition aus CSU und Freien Wählern zeichnen sich immer deutlicher Unstimmigkeiten ab. Während CSU-Chef Markus Söder gebetsmühlenartig um ein geduldiges Durchhalten im Lockdown bittet, äußert sich Wirtschaftsminister und FW- Chef Hubert Aiwanger täglich ungeduldiger, wann denn nun endlich wieder Lockerungen möglich sind, um die ächzende Wirtschaft zu entlasten – und ist mit dieser Meinung nicht alleine.
Für den Stimmkreis Augsburg Land- Dillingen sitzen zwei Abgeordnete im Bayerischen Landtag, die aus eben diesen beiden Parteien stammen. Johann Häusler (69) sitzt seit 2014 für die Freien Wähler, Georg Winter (70) seit 1990 für die CSU im Bayerischen Landtag. Wir haben Ihnen vier jeweils gleiche Fragen gestellt – das sind ihre Antworten.
Zwei Landtagsabgeordnete beantworten die Fragen der Wertinger Zeitung
Wie bewerten Sie die nun getroffenen Entschlüsse beziehungsweise deren Umsetzung in Bayern insgesamt?
Winter: Als Erstes gilt mein Mitgefühl den Menschen, die Leid erdulden mussten, den Verstorbenen, Erkrankten, Angehörigen, den Menschen, die den Arbeitsplatz verloren haben, die wirtschaftliche Existenzsorgen haben, die durch die Maßnahmen schwer belastet sind. Respekt und Dank den Personen, die in Kliniken, Heimen, Rettungs- und Betreuungsdiensten weit über das normale Maß gefordert sind sowie allen pflegenden Angehörigen.
Die großen Entscheidungen, Infektionsgesetz und Gesetz zur epidemischen Lage, wurden durch den Bundesgesetzgeber im März vergangenen Jahres und der Änderung im November 2020 getroffen. Die Exekutive, die Bundesregierung wie die Länderregierungen handeln auf dieser Grundlage. Persönlich vertraue ich der Kanzlerin, die sich keiner Wahl mehr stellen muss, sondern aus ihrer Verantwortung heraus und vor ihrem großen wissenschaftlichen Hintergrund entscheidet und handelt.
Häusler: Die Umsetzung generell der in bayerischen Zuständigkeit gefassten Beschlüsse hat bisher überwiegend gut geklappt. Die ursprünglichen Testpannen und die etwas zu spät umgesetzten Fürsorgemaßnahmen in Heimen, Krankenhäusern, Schulen und Kindertagesstätten sind bekannt und wurden besser als in anderen Bundesländern behoben, beziehungsweise bereits vollzogen. Die gestern im Kabinett und heute im Landtag beschlossenen Maßnahmen zur weiteren Pandemiebekämpfung sind dem Grunde nach zielführend und tragen in weiten Teilen die Handschrift unserer FW-Landtagsfraktion.
Wir hätten gerne etwas weitergehende Erleichterungen/Verbesserungen erreicht. So wollten wir beispielsweise ab Mittwoch dieser Woche, spätestens aber ab Montag, den 22. Februar wieder vollen Präsenzunterricht zumindest in den Grundschulen dort anbieten, wo die Inzidenzzahlen das zulassen. Mein Vorschlag war: in diesem Fall den Faschingsmontag und Dienstag unterrichtsfrei zu halten. Außerdem wollten wir die Friseure unter strengen Sicherheitsregeln bereits ab kommender Woche öffnen lassen. Auch wollten wir gerne dem Einzelhandel eine frühzeitigere Öffnungsperspektive anbieten, die sich nach meinem Dafürhalten an der früheren Orientierung einer unter 50 liegenden Inzidenz ausrichten sollte.
Wie sehen Sie die Lage in der Wirtschaft? Wo braucht es ihrer Meinung nach Änderungen, Lockerungen, Nachbesserungen in irgendeiner Form? Wo sehen Sie spezielle Probleme, die vielleicht im täglichen Dauerfeuer der Berichterstattung über Corona untergehen, aber mehr Aufmerksamkeit verdient hätten?
Häusler: Der Wirtschaft ist am allermeisten mit einer verlässlichen Perspektive gedient. Die Beschlüsse der Ministerpräsidenten-Konferenz und des Bayerischen Kabinetts gehen in die richtige Richtung. Nachdenken und meiner Meinung nach unbedingt nachsteuern muss man im Bereich des Einzelhandels. Wir dürfen nicht zu lange zusehen, wie unsere Innerorte völlig ausbluten und sich das Konsum- und Einkaufsverhalten immer stärker auf die marktbestimmenden Versandketten und den Lebensmitteleinzelhandel ausrichtet.
Dort wird mittlerweile, auch durch Gerichtsurteile bestätigt, fast die gesamte Angebotspalette der Einzelhandelsgeschäfte auch während der Pandemie angeboten. Den Einzelschicksalen der Ladenbetreiber und deren Mitarbeiter/innen sollte mehr öffentliche Aufmerksamkeit gewidmet werden. Mir scheint es auch wichtig, darauf hinzuweisen, wie sich unsere Kommunen und Stadt-/Dorfgemeinschaften langfristig zu verändern drohen.
Winter: Jetzt geht es darum, den Weg der Öffnungen zu organisieren und die wirtschaftliche Tätigkeit wieder zuzulassen, damit Handel und Gewerbe wieder Fuß fassen können. Bei all den Debatten und den unterschiedlichen Wegen, die die einzelnen Länder gehen – siehe unser Nachbarland Tschechien mit hohen Inzidenzwerten, vollen Krankenhäusern und einer doppelt so hohen Sterberate – dürfen wir nicht vergessen: Das Problem ist das Virus. Die Pandemie, die die ganze Erde umfasst, ist der Taktgeber. Dass Besonnenheit und Solidarität sowie Rücksicht Wirkung zeigt, belegen die stark rückläufigen Inzidenzwerte.
Als Stimmkreisabgeordneter eines großen Stimmkreises mit 150000 Einwohnern gab es viele Anliegen in den vergangenen Monaten zu betreuen, seit der Pandemie habe ich einen weiteren Mitarbeiter in Teilzeit beschäftigt, der selbst ein kleines Unternehmen aufgebaut hat und als Gastronom und Einzelhändler sehr stark vom Lockdown betroffen und aufgrund dieser Erfahrung weiß, wo der Schuh drückt und es beim Vollzug der Corona-Hilfen schleppend vorangeht.
Wie beurteilen Sie die Einschränkungen im privaten Bereich?
Häusler: Die Einschränkungen im privaten Bereich wurden bisher als individueller Beitrag des Einzelnen weitgehend akzeptiert. Nunmehr erwarten die Meisten eine nachvollziehbare und verlässliche Öffnungsperspektive. Alleinstehenden und älteren Mitmenschen geht langsam die Kraft, aber auch das Verständnis aus. Deshalb müssen wir alles unternehmen, um unter Beachtung der größtmöglichen Prävention mehr soziale Kontakte möglich werden. Die Aufhebung der Ausgangssperre ab kommende Woche ist für alle ein ermutigender Anfang.
Winter: Wir sehnen uns alle nach dem baldigem Ende. Positiv stimmt mich, dass die Inzidenzwerte in unserer Region stark abgesunken sind, das Wetter den Frühling ankündigt und der Schutz durch Impfungen jetzt auf einem guten Weg ist. Die Einschränkungen fordern uns alle. Unser ländlicher Raum hat hier Vorteile. Das gute alte Telefon ist eine wichtige Kontakthilfe in diesen Zeiten. Die Politik macht es sich nicht leicht. Sie will helfen, die Staatsregierung hat - und das betont unser Ministerpräsident immer wieder - dem Schutz des Lebens den Vorrang eingeräumt.
Wie sehen sie die Kritik an den Coronamaßnahmen? Sehen Sie eine Radikalisierung der Kritiker-/Skeptikerszene? Haben sie diesbezüglich schon persönliche Erfahrungen gemacht, kommen mehr kritische Äußerungen an Sie selbst heran?
Winter: Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, Kritik und andere Meinungen zeichnen unsere Demokratie aus. Dass Menschen mit Sorgen angespannt sind und emotionaler reagieren ist verständlich. Die Erfahrung zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger ein gutes Gespür haben für Entwicklungen, darauf vertraue ich weiterhin. Die stärkere Betonung von Einzelinteressen hat es in unserer Gesellschaft schon vor der Pandemie gegeben.
Häusler: Ich habe Verständnis für jegliche konstruktive Kritik. Aber eine fundamentale und radikale Grundhaltung lehne ich ab. Diese trägt nur zur Spaltung und Radikalisierung unserer Gesellschaft bei. Selbst habe ich, in letzter Zeit sehr viele, kritische Mails, Anrufe und persönliche Ansprachen in diese Richtung erhalten. Bis auf wenige waren alle Einwendungen und Widersprüche sachlich und verständlich, oft allerdings auch emotional. Einige wenige waren von wüsten Beschimpfungen und Drohungen geprägt. Darauf reagiere ich grundsätzlich nicht. Ich bleibe auch in solchen Situationen gelassen.
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