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Demokratie: Eine deutsche Familie wollte 13-mal fliehen

Demokratie

Eine deutsche Familie wollte 13-mal fliehen

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    Mit einem zerlegbaren Leichtflugzeug wollte Familie Reinhold aus der ehemaligen DDR fliehen. Ines-Andrea Seemüller, geborene Reinhold, berichtete darüber den Schülern beim Kommunalpolitik-Seminar in Bliensbach. Nach ihrem 13. gescheiterten Fluchtversuch wurde die Familie 1982 zwangsausgewiesen.
    Mit einem zerlegbaren Leichtflugzeug wollte Familie Reinhold aus der ehemaligen DDR fliehen. Ines-Andrea Seemüller, geborene Reinhold, berichtete darüber den Schülern beim Kommunalpolitik-Seminar in Bliensbach. Nach ihrem 13. gescheiterten Fluchtversuch wurde die Familie 1982 zwangsausgewiesen.

    Die Familie war mit einem Auto und einem kleinen Wohnanhänger auf der Balkanroute unterwegs, getarnt als Touristen. Sie suchte ein Schlupfloch - einen Weg in die Freiheit. Insgesamt 13 Mal. Es waren spektakuläre Fluchtversuche – über Wasser, Land und Luft. Doch alle scheiterten sie, zum Teil auf dramatische Weise: Was Ines-Andrea Seemüller den 13-jährigen Gymnasiasten im Bliensbacher Schullandheim am vergangenen Dienstag erzählte, hatte allerdings nichts mit der aktuellen Flüchtlingssituation zu tun. Oder doch?

    Fast 40 Jahre liegen die Ereignisse zurück. Die 55-jährige Zeitzeugin war zum Zeitpunkt der Fluchtversuche kaum älter als die Schüler, die vor ihr sitzen und gebannt lauschen. Mit ihren Eltern und dem Riesenschnauzer versuchte sie bis 1980 immer wieder, der Diktatur in der damaligen DDR zu entkommen. „Wir fühlten uns reglementiert und eingeschränkt“, berichtete sie von permanenter Kontrolle und Manipulation sowie dem immer größer werdenden Drang nach Freiheit. Die Ideologie sei den Menschen bereits in der Kita eingetrichtert worden. Die Fluchtrouten von damals - entlang des „Eisernen Vorhangs“ - verliefen genauso wie heute, demonstrierte Seemüller anhand von Landkarten. Wie groß das Bedürfnis nach Freiheit sein musste, konnten die jugendlichen Zuhörer beinahe körperlich spüren.

    Seemüller: „Rumänien ist mit Abstand das schlimmste Land gewesen: Es hat sogar eine Kopfgeldprämie gegeben, für jeden, der einen Deutschen bei der Flucht erschoss.“ Im ehemaligen Jugoslawien sei die Familie an eine Schleuserbande geraten und in Rumänien wollten Bewohner zwar die Eltern über die Grenze bringen, dafür sollte die Tochter jedoch den Sohn des Bürgermeisters heiraten. Auch der Versuch, sich auf der Donau von einem Transporttanker unter Wasser auf die westliche Seite ziehen zu lassen, scheiterte. Die authentische Dokumentation der Fluchtversuche gipfelte schließlich im spektakulären Bau eines zerlegbaren Leichtflugzeuges in der heimischen Garage. Seemüller weihte die Schüler in die Pläne ein und ließ sie teilhaben an der unerschöpflichen Erfindungsgabe: Der Motor wurde einem Wartburg entnommen, die Räder vom Schubkarren montiert, für die Bespannung Leinentücher benutzt. Doch eine zerbrochene Bierflasche zerriss beim einzig möglichen Startversuch einen Reifen. Und wieder war ihnen die greifbar nahe Freiheit entglitten.

    Der Besuch der Zeitzeugin, die heute als Rechtsanwältin und Mediatorin in Gauting arbeitet, war ein Programmpunkt von vielen. „Kommunalpolitik zum Anfassen“ heißt der Kurs, den Matthias Grätsch federführend entwickelte. Der Geschäftsführer des Unternehmens Soviko (Sozial-Visionär-Kompetent) und kürzlich gekürte Bürgermeisterkandidat von Gundelfingen zeigt jungen Menschen, auf welchen Werten die Demokratie fußt und wie sie konkret gestaltet wird. Dass er dabei unerwartet zum Diktator in gelber Uniform wurde, gehört zum Programm. „Ziel ist, mit militärischem Verhalten und Androhung von Sanktionen einen fühlbaren Kontrast zu schaffen und das Verständnis für die Demokratie zu fördern“, erklärt Grätsch.

    Die Schüler vom Peutinger Gymnasium in Augsburg fanden hier einen geschützten Raum, Streitkultur zu üben. Während einer fiktiven Polarexpedition wurden Führungsrollen und Teamfähigkeit spielerisch offenbart. Der Besuch einer Gemeinderatssitzung in Blindheim diente als Vorlage für eine möglichst realitätsnah simulierte Stadtratssitzung. Nicht ohne Profis an der Seite: Alfred Schneid und Ludwig Klingler, beide Wertinger Stadträte, sowie Fritz Hillenbrand, Gemeinderat in Buttenwiesen, berieten die Schüler dabei, sich in ihren Fraktionen zu positionieren und in der öffentlichen Debatte zu überzeugen.

    Wie aktuell das Thema ist, zeigte Bundespräsident Joachim Gauck vor wenigen Tagen in München. Zum 50-jährigen Jubiläum der Hanns-Seidel-Stiftung rief er die „träge gewordene Mitte“ dazu auf, sich gegen eine Politik der Gefühlswallungen zu stellen. Demokratie sei kein Geschenk und keine Selbstverständlichkeit. „Sie ist ein Schatz, den wir uns in Deutschland nie wieder aus der Hand nehmen lassen dürfen.“

    Gauck sprach gar von einem „Gegenwind“ für die Demokratie. „Demokratie braucht Menschen, die mitmachen und mitgestalten wollen“, erklärt Matthias Grätsch sein Engagement. Die Basis dafür müsse früh gelegt werden, denn Werte machten stark. Nach diesem Slogan existiert seit dem Wertebündnis vom 1. März 2010 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus das Konzept „MehrWert Demokratie“.

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