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Würzburg: Straßenblockaden fürs Klima: Wie soll der Rechtsstaat mit den Aktivisten umgehen und darf ich mich zur Not wehren?

Würzburg

Straßenblockaden fürs Klima: Wie soll der Rechtsstaat mit den Aktivisten umgehen und darf ich mich zur Not wehren?

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    Klimaprotest in der Hauptstadt: Aktivisten der Gruppierung "Letzte Generation" blockierten am vergangenen Donnerstag eine Kreuzung in Berlin.
    Klimaprotest in der Hauptstadt: Aktivisten der Gruppierung "Letzte Generation" blockierten am vergangenen Donnerstag eine Kreuzung in Berlin. Foto: Paul Zinken, dpa

    Sie fordern schnelle und entschlossene Maßnahmen zum Klimaschutz, doch ihre Protestaktionen sind umstritten: Aktivisten der so genannten "Letzten Generation" kleben sich auf Straßen fest und blockieren den Verkehr. Wie sollte der Rechtsstaat darauf reagieren? Und dürfen Autofahrer selbst eingreifen?

    Im Interview erklärt Prof. Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg, warum er Straßenblockaden für rechtswidrige Nötigung hält und wann Notwehr gerechtfertigt ist. Der 54-jährige Jurist diskutiert am 11. Mai auch beim nächsten "Kellergespräch" von Main-Post und Juristen-Alumni der Uni Würzburg. 

    Herr Schwarz, wie würden Sie reagieren, wenn sich vor Ihrem Auto ein Klima-Aktivist auf die Straße klebt?

    Prof. Kyrill-Alexander Schwarz: Warten, aussteigen, wahrscheinlich diskutieren – aber letzten Endes darauf warten, dass diejenigen, die für die Durchsetzung geltenden Rechts verantwortlich sind, geeignete Maßnahmen ergreifen. Sprich: Ich werde auf die Polizei warten.

    Sie dürften die Person aber auch von der Straße wegziehen, oder?

    Schwarz: Ob ich in einem solchen Fall ein Notwehrrecht hätte, ist in hohem Maße umstritten. Natürlich kann man sagen, dass die Demonstranten auf der Straße rechtswidrig handeln. Und gegen rechtswidrige Maßnahmen kann ich mich zur Wehr setzen. Aber wie ich das mache, ob ich sie zum Beispiel von der Straße losreiße und Verletzungen riskiere – das ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, und da hätte ich Bedenken. Ich könnte niemandem dazu raten, jemanden eigenhändig von der Straße zu ziehen.

    Ist denn jede Straßenblockade rechtswidrig als Nötigung einzustufen?

    Schwarz: Ja, in meinen Augen ist das unstreitig. Auch wenn es einige Stimmen gibt, die das anders sehen. Bei der Nötigung ist nicht entscheidend, dass man jemanden zu einem bestimmten Verhalten oder Unterlassen zwingt. Maßgeblich ist die Frage: Ist die Aktion verwerflich oder nicht. Bisher ist die überwiegende Meinung unter Juristen, dass es sich in diesen Fällen um eine strafbare Nötigung handelt. Entsprechend sind ja Urteile gefällt worden.

    Eine Nötigung kann Notwehr rechtfertigen – aber wie weit darf diese gehen? Teilweise treten Autofahrer auf Aktivisten ein.

    Schwarz: Ein Grundsatz lautet: Wer eine Lage herbeiführt, in der ein anderer sich auf Notwehr beruft, muss selbst erstmal die Konsequenzen seines Handelns tragen. Trotzdem muss auch die Ausübung von Notwehr verhältnismäßig sein. Ich darf also nicht alles, kann zum Beispiel nicht einfach Leute überfahren. Auch Gewalt in Form von Tritten ist mit Sicherheit nicht gedeckt.

    Und wenn die Polizei in der Nähe ist, sind ihr alle Gegenmaßnahmen zu überlassen?

    Schwarz: Dahinter steht ja eine zentrale Frage: Wer übt das staatliche Gewaltmonopol aus? Wenn ich gegenüber jedem, der sich auf der Straße festklebt, selber Gewalt ausübe und ihn im schlimmsten Fall mit Hautverletzungen wegreiße – dann kündige ich den Grundkonsens der Gesellschaft auf, dass die Ordnungskräfte beziehungsweise die Polizei für die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und die Herstellung des Rechts zuständig sind.

    Sie meinen, der Rechtsstaat sollte konsequent gegen Klima-Aktivisten durchgreifen?

    Schwarz: In jedem Fall. Ich halte das auch für ein zutiefst undemokratisches Vorgehen. Bei allem Verständnis für die "Letzte Generation" und das drängende Anliegen des Klimaschutzes: Was mich an der gesamten Vorgehensweise stört – egal ob man sich auf die Straße setzt oder an Kunstwerke festklebt –, ist der Anspruch, selbst eine höhere Legitimität zu haben als alle anderen und damit die Maßnahmen zu rechtfertigen. Das kündigt den demokratischen Grundkonsens auf, wie Entscheidungen in dieser Gesellschaft getroffen werden. Das könnte demnächst jeder für die Durchsetzung seiner, vermeintlich höherwertigen Ziele beanspruchen.

    Sie sprechen von "Selbstgerechtigkeit" und "moralischer Überhöhung", obwohl es um die Lebensgrundlagen von uns allen geht...

    Schwarz: Ja, das gilt auch dann. Der zentrale Ort für die Behandlung solch drängender Fragen für die Gesellschaft kann nur das Parlament sein. 

    Und wenn sich Aktivisten auf einen Notstand, hier den Klimanotstand berufen?

    Schwarz: Bis auf einen Fall haben die Gerichte das bisher abgelehnt. Denn der Notstand muss eine Situation sein, in der keine andere Abhilfemöglichkeit mehr besteht. Und auch hier ist die Frage: Wird damit nicht einfach der parlamentarische Diskurs ausgeschaltet? Eine legitime Maßnahme gegen einen Notstand setzt voraus, dass sie diesen auch beseitigen kann. Wer sich auf die Straße setzt, trägt nicht unmittelbar zur Beseitigung der Gefahrenlage bei. Deswegen ist eine Notstandsberufung meiner Meinung nach ausgeschlossen.

    Das Grundgesetz schützt die Versammlungsfreiheit, wenn sie "friedlich und ohne Waffen" genutzt wird. Das trifft auf Sitzblockaden zu.

    Schwarz: Auch die Versammlungsfreiheit wird nicht absolut gesetzt, sie ist beschränkbar. Unter freiem Himmel noch viel mehr als in geschlossenen Räumen. Versammlungen können aufgelöst werden können, wenn sie die Begehung strafbarer Handlungen mit sich bringen. Dann endet der Schutz der Versammlungsfreiheit, sie ist kein Freibrief. Das hat der Gesetzgeber klar geregelt. 

    Handelt es sich bei den Straßenblockaden um zivilen Ungehorsam?

    Schwarz: Wenn man darunter einen bewussten Rechtsbruch aus Überzeugung versteht – dann würde ich sagen, es handelt sich um eine typische Form der Gewissenstat. Für die Konsequenzen müssen die Täter dann auch einstehen.

    Die Union fordert härtere Strafen, Haft ohne Bewährung. Braucht es eine Verschärfung?

    Schwarz: Nein, das glaube ich nicht. Die bestehenden Strafrahmen sind für die gemeinschaftlich begangene Nötigung ausreichend. Mit dem gegebenen Spielraum – zwischen Geldstrafe und mehrjähriger Haft – kann man alle diese Fälle hinreichend einfangen. Dieser Antrag war wohl eher ein Akt symbolischer Gesetzgebung.

    Ist es verhältnismäßig, wenn in Bayern Aktivisten wochenlang in Präventivhaft oder "Unterbindungsgewahrsam" genommen werden?

    Schwarz: Das ist eine Bewährungsprobe für den Rechtsstaat. Es braucht hier Maß und Mitte. Wenn man jemanden für eine Ankündigung, sich erneut festzukleben, gleich für vier Wochen in Gewahrsam nimmt, scheint mir das unverhältnismäßig. Aber das Mittel als solches hat seinen Sinn. Wird, wie zuletzt in Berlin, ein offenkundiger Rechtsbruch angekündigt, kann eine Woche Gewahrsam eine angemessene und zulässige Reaktion sein. Man muss immer den Einzelfall anschauen.

    "Kellergespräch" am 11. Mai: Wie weit dürfen Proteste gehen?

    Straßenblockaden

    und andere Klima-Aktionen

    sind Thema beim nächsten "

    Kellergespräch

    " von

    Main-Post

    und Juristen-Alumni der

    Universität Würzburg

    : Es um die rechtlichen Folgen von illegalen Klimaprotesten, die Entwicklung der letzten Monate, die Herausforderungen für den

    Rechtsstaat

    und die Motivation der Aktivistinnen und Aktivisten.

    Die Podiumsveranstaltung

    findet statt am Donnerstag, 11. Mai, um 19 Uhr in der Alten Universität, Domerschulstraße 16, in

    Würzburg

    . Aus technischen Gründen wird das Gespräch vom Max-Stern-Keller in den Hörsaal 1 verlegt. Neben Jura-Professor

    Kyrill-Alexander Schwarz

    diskutieren Rechtsanwalt Dr.

    Eric Weiser-Saulin

    ,

    Johanna Sing

    und

    Jörg Peter

    als Vertreter der

    "Letzten Generation"

    und Gastgeber Prof.

    Eric Hilgendorf

    (Juristen-Alumni). Es moderiert Main-Post-Redakteur

    Andreas Jungbauer

    , der Eintritt ist frei.

    aj

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