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Wertheim: Insolvenz der Rotkreuzklinik in Wertheim: Wie eine ganze Region um ihr Krankenhaus ringt

Wertheim

Insolvenz der Rotkreuzklinik in Wertheim: Wie eine ganze Region um ihr Krankenhaus ringt

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    Die Rotkreuzklinik in Wertheim im Main-Tauber-Kreis ist insolvent: Seit September ist die Zukunft der Klinik ungewiss, die Wertheimer Bevölkerung fürchtet um ihre medizinische Versorgung.
    Die Rotkreuzklinik in Wertheim im Main-Tauber-Kreis ist insolvent: Seit September ist die Zukunft der Klinik ungewiss, die Wertheimer Bevölkerung fürchtet um ihre medizinische Versorgung. Foto: Silvia Gralla

    Demonstrationen, Petitionen und verzweifelte Appelle an die Politik: Die Rotkreuzklinik in Wertheim kämpft gegen das Aus. Im Dezember 2023 hat der bisherige Träger, die Schwesternschaft München vom Bayerischen Roten Kreuz, das Insolvenzverfahren beantragt. Seitdem geht im nördlichen Main-Tauber-Kreis und im südlichen Landkreis Main-Spessart die Sorge um: Was, wenn das Krankenhaus dicht macht?

    Rund 400 Menschen arbeiten im Klinikgebäude über dem Maintal, es gibt 170 Betten, neben der Grundversorgung auch eine Geburtshilfe und eine Notaufnahme. Für die Region ist die Klinik eine Stütze der medizinischen Versorgung, rund 6000 Patienten werden jährlich stationär behandelt. Nur: Wie so viele Kliniken schreibt das Haus tiefrote Zahlen, bis 2030 werden laut der Stadt Wertheim 49 Millionen Euro gebraucht. 

    Nach wochenlangem Ringen ist die Stadt Wertheim grundsätzlich bereit, das Krankenhaus zu übernehmen. Allerdings nicht allein. Die Idee: Wertheim schultert 60 Prozent des Defizits, den Rest übernehmen der Landkreis Main-Tauber, das Land Baden-Württemberg und übergangsweise noch der bisherige Träger. Kann das gelingen?

    Das sagen die Bürger: Das Krankenhaus gibt Sicherheit und rettet im Notfall Leben

    "Das Krankenhaus muss gerettet werden", sagt Bernhard Kunkel aus Kreuzwertheim. Die 4000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Main-Spessart ist von Wertheim nur durch den Main getrennt. Die Landesgrenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg spielt im Alltag und in der ärztlichen Versorgung keine Rolle.

    Wer akut ins Krankenhaus müsse, gehe in die Rotkreuzklinik, sagt Kunkel. Von seinem Wohnhaus ist sie nur gut zwölf Minuten entfernt, das gibt dem 75-Jährigen Sicherheit. Der Senior lebt allein, fährt noch Auto. Bis nach Würzburg oder Lohr, sagt er, "ist es in meinem Alter aber zu weit".

    Peter Merkert sieht das genauso. Der Behindertenbeauftragte von Kreuzwertheim und VdK-Ortsvorstand kümmert sich um Menschen, die nicht allein zurechtkommen und hat selbst einen behinderten Sohn.

    Für Bürger mit Einschränkungen sei die Klinik in Wertheim unverzichtbar, sagt der 75-Jährige. Wer regelmäßig zu Untersuchungen oder Behandlungen müsse, könne nicht jedes Mal fast eine dreiviertel Stunde fahren. Überhaupt, "wie sollen Menschen ohne Auto von Kreuzwertheim nach Würzburg kommen?", fragt Merkert. Der öffentliche Nahverkehr sei "eine Katastrophe", die Taxifahrt teuer.

    "Das Krankenhaus muss gerettet werden."

    Bernhard Kunkel, Senior aus Kreuzwertheim

    Anita Ritter nickt. Ans Steuer kann und darf die 84-Jährige selbst nicht mehr, ihr Sohn lebt weit weg. Sie ist darauf angewiesen, dass Peter Merkert sie fährt. Nach Wertheim sei das kein Problem - "nach Würzburg wäre es nicht zumutbar".

    Auch für den Rettungsdienst würden die Entfernungen im südlichen Zipfel des Landkreises Main-Spessart schnell zum Problem, sagt Merkert. Er war selbst lange Rettungsfahrer beim Roten Kreuz: "Bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall muss es schnell gehen."

    Um das Krankenhaus zu erhalten, würden Merkert, Kunkel und Ritter sogar höhere Gemeindeabgaben akzeptieren. "Hauptsache, das Krankenhaus bleibt." Dass aber die Politik auf Landkreis- und Landesebene so zögerlich agiere und jetzt die Bürger für das Überleben ihrer Klinik auf die Straße gehen müssten, sei "eine Schande".

    Das sagt Wertheims Oberbürgermeister: Springt die Stadt ein, muss sie an anderer Stelle sparen

    "Wir bieten eine städtische Trägerschaft an, weil wir der absoluten Überzeugung sind, dass der Krankenhausstandort erhalten bleiben muss", sagt der Wertheimer Oberbürgermeister, Markus Herrera Torrez. Gleichzeitig betont der SPD-Politiker, dass es eigentlich nicht die Aufgabe einer Stadt mit 23.500 Einwohnern sei, ein Krankenhaus zu betreiben.

    Warum er trotzdem in die Bresche springen will? Weil es sonst niemand macht.

    Gleichwohl stellt Herrera Torrez klare Forderungen an die Landesregierung und den Landkreis Main-Tauber: Das Gesundheitsministerium in Stuttgart müsse das Wertheimer Krankenhaus als bedarfsnotwendig festhalten und eine strategische Planung erstellen. Der Landkreis hingegen habe die akute Versorgung der Bürger sicherzustellen.

    Bislang würden sich Land und Landkreis weitgehend vor der Verantwortung drücken. "Und am Ende landet es dann bei uns", sagt der Rathaus-Chef. Auch bei der geplanten Krankenhausreform schöben sich Bund und Länder wechselseitig die Schuld dafür zu, dass es nicht vorangehe. Immerhin: Der Landrat habe sich inzwischen deutlicher als bisher für den Erhalt der Klinik positioniert und Bereitschaft zur Unterstützung zugesagt.

    Klar ist, dass die Stadt Wertheim an anderer Stelle sparen muss, sollte sie sich tatsächlich am Krankenhaus beteiligen. "Kita-Erweiterungen, Neubau von Hallenbad und Feuerwehrhäusern – da wird manches nicht mehr drin sein", sagt Herrera Torrez. Die Stadt werde die Einnahmen erhöhen müssen, etwa über die Grund- und Gewerbesteuer, Friedhofsgebühren oder die Vergnügungssteuer. 

    Das sagt Kreuzwertheims Bürgermeister: Die Nachbargemeinde will Wertheim unterstützen

    Auch der Bürgermeister von Kreuzwertheim ist verärgert. Die Politik rede zwar "gerne von gleichwertigen Lebensbedingungen in Ballungszentren und auf dem Land", sagt Klaus Thoma. In der Realität aber werden "wir eindeutig benachteiligt". Das zeige sich deutlich bei der medizinischen Versorgung. Sollte die Rotkreuzklinik schließen, wären die Folgen für seine Gemeinde fatal. "Die Bevölkerung hat Angst, dass sie im Notfall nicht gerettet werden kann."

    Der Gemeinderat habe deshalb beschlossen, die Rotkreuzklinik finanziell zu unterstützen, sagt Thoma. In welchem Umfang, sei offen. Die Gemeinde dürfe ihre finanziellen Möglichkeiten nicht überstrapazieren.

    Das sagen die Landkreise und die Landesregierung in Stuttgart: Wer wie hilft, ist unklar

    Ob und inwieweit sich "der Landkreis Main-Spessart an einer Rettung der Rotkreuzklinik beteiligt, ist derzeit noch nicht klar", sagt Markus Rill, Sprecher des Landratsamtes. Es gebe aber Gespräche mit dem Main-Tauber-Kreis sowie der Stadt Wertheim.

    Grundsätzlich werde die Notfallversorgung im südlichen Landkreis Main-Spessart weiter von der Rettungswache Hafenlohr abgedeckt. Daran würde auch eine Schließung der Rotkreuzklinik nichts ändern. Allerdings wäre "für den Transport in ein Krankenhaus teilweise eine längere Anfahrt nötig" – etwa von Kreuzwertheim nach Würzburg oder Lohr. Doch in Lohr kämpft der Landkreis selbst als Träger des Klinikums Main-Spessart mit tiefroten Zahlen.

    Und in der Politik spielt die Landesgrenze natürlich eine Rolle. Der Main-Tauber-Kreis sei "grundsätzlich bereit, die Rettung der Rotkreuzklinik auf freiwilliger Basis finanziell zu unterstützen", teilt Landrat Christoph Schauder mit. Konkrete Zahlen nennt der CDU-Politiker nicht. Die Rede ist von "Unterstützungsleistungen in den Sekundär- und Tertiärbereichen" der Klinik, also etwa im Labor, in der Radiologie oder der Hauswirtschaft.

    Voraussetzung für eine finanzielle Unterstützung darüber hinaus sei, sagt Schauder, dass die Stadt Wertheim das erwartete Defizit für die kommenden Jahre "belastbar" beziffere. Eine Mitträgerschaft, also eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung, "ist ausgeschlossen". Und auch eine Pflichtträgerschaft nach dem Krankenhausgesetz sieht der Landrat nicht gegeben. Durch die Kliniken in Bad Mergentheim und Tauberbischofsheim sei die Versorgung im Kreis leistungsstark. Das bedeute aber "ausdrücklich nicht, dass der Weiterbetrieb der Rotkreuzklinik nicht sinnvoll ist".

    Aus dem Gesundheitsministerium Baden-Württemberg heißt es, dass Minister Manne Lucha am 18. März "einer Einladung des Gemeinderats Wertheim" nachkomme. Mit Verweis auf das laufende Insolvenzverfahren wolle man sich vorab nicht äußern.

    Das sagt die Ärzteschaft: Die Notfallversorgung in der Klinik muss erhalten bleiben

    Dr. Martina Prielozna spürt die Unsicherheit bei ihren Patientinnen und Patienten. Die Allgemeinärztin hat im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Kreuzwertheim, das zur Rotkreuzklinik gehört, gearbeitet. Im Zuge des Insolvenzverfahrens schließt das MVZ am 18. März, Prielozna übernimmt eine Praxis in Wertheim.

    Dass die Klinik mit einer Notfallversorgung erhalten bleibt, ist für die Hausärztin essenziell. Beispiel Schlaganfall: Um Folgeschäden zu verhindern, müsse innerhalb von zwei Stunden eine Behandlung erfolgen, sagt Prielozna. Oft dauere es aber, bis ein Patient überhaupt realisiere, was los sei und der Notarzt gerufen wird. Wenn die Fahrt ins Krankenhaus dann noch fast 40 Minuten dauere, könne es zu spät sein.

    Die Wertheimer Hausärztinnen Dr. Christina Gläser und Dr. Antonia Rechenberg sind Mitglied im Aktionsbündnis "Rettet das Krankenhaus". Als im Insolvenzverfahren eine Fachklinik für Amputationsnachsorge als Investor ins Gespräch kam, habe sie das "alarmiert". 

    "Es gibt eine gesetzlich vorgeschriebene Hilfsfrist von 15 Minuten. Und es ist jetzt schon schwer, sie einzuhalten."

    Dr. Antonia Rechenberg, Allgemeinärztin in Wertheim

    Das Konzept hätte keine echte Notfallversorgung mehr bedeutet, auch der Notarztstützpunkt wäre laut den Ärztinnen weggefallen. "Es gibt eine gesetzlich vorgeschriebene Hilfsfrist von 15 Minuten. Und es ist jetzt schon schwer, sie einzuhalten", sagt Rechenberg. Die Medizinerinnen hoffen, dass dieses Argument letztlich durchdringt und die Klinik als Grund- und Notfallversorger rettet.

    Sollte die Stadt das Krankenhaus künftig als Träger übernehmen, wollen die Wertheimer Ärztinnen und Ärzte das unterstützen. Beispielsweise biete Neurologin Dr. Sandra Rückert an, personell bei Nachtdiensten auszuhelfen, sagt Rechenberg. Ähnliches hätte die radiologische Praxis signalisiert. 

    Die Hausärzte seien "letztlich Haupteinweiser", sagt Rechenberg. Dieser Verantwortung wolle man nachkommen, mehr noch als bisher. In den vergangenen Jahren hätten leider manche Patientinnen und Patienten schlechte Erfahrungen gemacht und das Vertrauen in die Klinik verloren, meint Rechenberg. Schuld daran sind laut Gläser vor allem die zahlreichen Wechsel im Personal aufgrund "mangelnder Wertschätzung durch den Träger". Das Krankenhaus, sagt die Ärztin, "wurde kaputt geschrumpft".

    Unter kommunaler Trägerschaft hoffen die Medizinerinnen auf einen Paradigmenwechsel in der Klinik - und auf eine neue Vertrauensbasis. Dann halten sie auch ein kleines Haus mit nur 80 Betten, wie es das Konzept der Stadt vorsieht, für zukunftsfähig.

    Das sagen Klinik-Mitarbeiter: Anspannung in Wertheim, Abwarten in Lohr

    Die Stimmung unter den Beschäftigten der Rotkreuzklinik in Wertheim? "Extrem angespannt", sagt Krankenschwester und Betriebsratsvorsitzende Birgit Väth. Seit fast sechs Monaten müssten die Beschäftigten die ungewisse Situation inzwischen ertragen und wüssten nicht, wie es mit ihren Jobs weitergehe.

    Das sei sehr schwer auszuhalten, sagt Väth. Angesichts der großen Unsicherheit hätten sich auch schon einige Mitarbeitende neue Jobs gesucht. Mehr will die Betriebsratschefin in der aktuellen Lage nicht sagen, zu groß sei die Verunsicherung.

    Die Folgen der Unsicherheit wirken sich bis zum Klinikum Main-Spessart aus. Sprecherin Lisa Schmitt bestätigt, dass einige Bewerbungen aus der Rotkreuzklinik vorliegen. Was die ärztliche Versorgung angeht, bereite man sich in Lohr auf mehrere Szenarien vor, auch auf eine Schließung der Wertheimer Klinik, erklärt Schmitt.

    Das sagt die Deutsche Krankenhausgesellschaft: Insolvenz droht immer mehr Kliniken

    Sicher ist: Wertheim ist kein Einzel-, sondern vielmehr Präzedenzfall. Bundesweit steht immer mehr Krankenhäusern das Wasser bis zum Hals. Stiftungen und Kommunen stopfen die Löcher, die Inflation und steigende Kosten reißen.

    Laut dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, befinden sich aktuell 32 Kliniken in Insolvenzverfahren, davon je zwei in Bayern und Baden-Württemberg. Gleichzeitig erwarten fast 80 Prozent der knapp 2000 Krankenhäuser für 2023 ein Defizit. "Wir rechnen mit rund 80 Insolvenzen in diesem Jahr", sagt Gaß. Von Teilschließungen seien noch weit mehr Häuser bedroht.

    Auch in Unterfranken macht sich das Kliniksterben längst bemerkbar. Träger ächzen unter den Millionendefiziten, wem die Finanzkraft fehlt, der gibt auf. Die Erlöserschwestern ziehen sich aus der Würzburger Theresienklinik und dem Schweinfurter St. Josefs Krankenhaus zurück. Die Haßberg-Kliniken bleiben nur zahlungsfähig, weil der Landkreis das Millionen-Loch Jahr für Jahr stopft.

    Im Falle der Rotkreuzklinik soll das künftig die Stadt Wertheim übernehmen. Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez würde darüber am liebsten per Bürgerentscheid abstimmen lassen, die Zeit aber fehlt. Bis Ende März will er Klarheit, was aus dem Krankenhaus wird. "Die Entscheidung trifft am Ende der Insolvenzverwalter."

    So haben die Autorinnen die Recherche erlebt

    Wer jung und gesund ist, denkt im Alltag oft kaum darüber nach, wo das nächste Krankenhaus ist. Doch Krankheit kann jeden treffen, ein Unfall immer passieren. Wir alle sind darauf angewiesen, dass wir im Notfall versorgt werden - möglichst schnell und gut. Genau deshalb kämpfen in

    Wertheim

    Bevölkerung, Ärzteschaft und Gemeinderat um "ihr" Krankenhaus.

    Das große Engagement ist beeindruckend. Und mutig. Denn angesichts der finanziellen Schieflage vieler Kliniken und der ungewissen Folgen der geplanten Krankenhausreform ist es nicht selbstverständlich, dass eine so kleine Stadt als Träger einspringt.

    Es kann aber sein, dass in absehbarer Zeit andere Kommunen ähnlichen Mut zeigen müssen. 

    sp, kaa

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