Niemand spricht mehr von einer "Welle", dazu sind die gemeldeten Fallzahlen zu gering. Doch offenbar stecken sich wieder mehr Menschen mit dem Coronavirus an. So wird aus Schulen von einem stärkeren Infektionsgeschehen berichtet, auch die offiziellen Zahlen gehen derzeit nach oben. Die Erfassung ist schwierig, weil kaum noch getestet wird. Wie groß ist das Infektionsrisiko im Sommer 2024 tatsächlich und wie steht es um die neuen Virus-Varianten? Antworten auf die aktuellen Fragen.
Gibt es jetzt wieder mehr Corona-Infektionen?
Das Robert Koch-Institut (RKI) hat zuletzt eine "leichte Zunahme der SARS-CoV-2-Aktivität" beobachtet, ausgehend von einem anhaltend niedrigen Niveau. Dies gilt laut RKI auch für die Zahl schwer verlaufender Atemwegsinfektionen. Grundlage für die Einschätzung sind die Zahl der erfassten Infektionen und Daten aus dem Abwassermonitoring.
Beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) zeigt die Epidemiekurve nach oben: Die Zahl der gemeldeten Coronafälle in Bayern hat sich in den vergangenen neun Wochen auf 362 (Stand Ende Juni) vervierfacht.
Zur Einordnung: Im März 2022 lag die Zahl der Neuinfektionen pro Woche bei 300.000. Zwar ist aktuell von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, weil kaum noch getestet wird. Doch Joachim Lentzkow, Hausarzt und Vorstandbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung für Unterfranken sagt: "Corona ist im Moment praktisch kein Thema."
Müssen wir uns wegen der steigenden Fallzahlen Sorgen machen?
Dass bei Infektionen wie Covid-19 die Fallzahlen schwanken, sei ganz normal, sagt der Würzburger Mikrobiologe Prof. Oliver Kurzai. Aus seiner Sicht wäre es auch plausibel, wenn gerade durch die Fußball-EM die Fallzahlen nach oben gehen – bei Covid und anderen Atemwegsinfektionen: "Viele Menschen aus unterschiedlichen Orten kommen zusammen, es gibt dichte Menschenansammlungen – zum Teil auch drinnen, sicher wird auch Alkohol getrunken und laut gesungen", sagt der kommissarische Leiter des Lehrstuhls für Virologie an der Uni Würzburg.
Es sei völlig normal, dass bei solchen Ereignissen auch Krankheitserreger ausgetauscht werden. "Gesunde Menschen müssen sich da keine Sorgen machen", ist Kurzai überzeugt. Es gebe sogar wissenschaftlichen Anhalt dafür, dass milde Infektionen insgesamt das Immunsystem stärken und in der Folge den Schutz vor schweren und schwersten Infektionen erhöhen.
Welche Rolle spielen die neuen Varianten KP 2 und KP 3?
Dass Viren wie SARS-CoV-2 mutieren und neue Varianten die älteren verdrängen, ist völlig normal. Laut RKI machen die neuen Varianten KP 2 und KP 3 aktuell jeweils etwa 21 Prozent der Fälle in Deutschland aus. Mitte März waren es noch weniger als fünf Prozent. Nach wie vor dominiert in Deutschland der Virustyp JN.1 mit etwa 42 Prozent. Er ist Kurzai zufolge quasi der "Elterntyp" der neuen, nur wenig abweichenden Varianten. Sie werden den Elterntyp in den kommenden Wochen wohl weiter verdrängen.
Eine stärkere gesundheitliche Gefahr sieht der Würzburger Mediziner nicht. Zwar würden die neuen Viren Mutationen tragen, die "natürlich Angriffspunkte für unser Immunsystem verändern" können. Andererseits kenne man diese Entwicklung von früheren Varianten. Bisher sei der Schutz der Impfung vor schweren und schwersten Verläufen sehr stabil geblieben, sagt der Mikrobiologe. Sie seien in Deutschland "aktuell wirklich sehr selten". Und, erklärt Kurzai: "Es gibt aus meiner Sicht wenig Gründe zu befürchten, dass sich das zeitnah ändern könnte."
Ist es sinnvoll, bei bestimmten Symptomen wieder einen Corona-Test zu machen?
Einen Corona-Test hält Mikrobiologe Oliver Kurzai in vielen Fällen für verzichtbar: "Symptomlose gesunde Menschen sollten sich nicht testen – solche Screeningtests hatten in der Pandemie ihren Wert, aber heute macht das keinen Sinn mehr." Auch Menschen, die eine milde Atemwegsinfektion entwickeln, bräuchten sich aus seiner Sicht nicht zu testen.
Es gebe aber durchaus noch Situationen, bei denen ein Test sinnvoll sein kann: "Zum Beispiel, wenn ich ältere Angehörige oder Freunde mit erhöhtem Risiko besuche oder regelmäßig Kontakt mit jemandem habe, dessen Immunsystem nicht gut funktioniert." Hier gehe es darum, andere zu schützen.
Und natürlich werde nach dem konkreten Erreger bei all denen gesucht, die schwere Atemwegsinfektionen haben und deswegen ins Krankenhaus müssen. "Das ist wichtig für die korrekte Behandlung der schweren Infektionen." Solche Tests würden dann aber in professionellen Labors durchgeführt, in aller Regel mit PCR-basierten Verfahren.
Corona-Impfung: Kein Thema mehr oder noch sinnvoll?
Experte Oliver Kurzai hält die Corona-Impfung weiterhin für einen "Meilenstein" in der medizinischen Entwicklung. Sie habe maßgeblich dazu beigetragen, in der Bevölkerung rasch eine Basisimmunität aufzubauen: "Die Impfung hat viele schwerste und schwere Verläufe verhindert". Die Impfung habe nachweislich auch einen positiven Effekt im Hinblick auf die Verhinderung von Covid-Folgen.
Aktuell empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) eine jährliche Auffrischimpfung im Herbst nur noch für Personen über 60 Jahren – besonders Bewohnern und Bewohnerinnen von Pflegeeinrichtungen, Personen mit Grunderkrankungen, die zu einem erhöhten Covid-Risiko führen, sowie Menschen, die regelmäßig mit Risikopersonen zusammen sind.
Das bedeutet laut Kurzai im Umkehrschluss: Für die meisten Menschen sind keine Auffrischimpfungen nötig: "Wir wissen, dass der Schutz vor schweren und schwersten Verläufen doch sehr stabil ist, während – gerade bei den neuen Varianten – kaum ein Ansteckungsschutz erreicht werden kann." Der Mikrobiologe rät, sich im Zweifelsfall vom Hausarzt oder der Hausärztin beraten zu lassen. "Zum Beispiel kann man auf die Auffrischimpfung verzichten, wenn man im letzten Jahr eine Covid-Infektion, auch eine milde, durchgemacht hat."
(Hinweis: In einer früheren Version war von 242 bestätigten Corona-Fällen (bezogen auf die Meldewoche 24) in Bayern die Rede. Für die darauffolgende Meldewoche sind es 362 Fälle, dies wurde aktualisiert.)