Klinische Studien sind wichtig für die Entwicklung neuer Medikamente, dennoch haben sie oft zu wenige Teilnehmende. 40 Prozent aller Studien weltweit werden aus diesem Grund abgebrochen und gleichzeitig sind 95 Prozent aller Krebserkrankten nie Teil einer Studie – obwohl viele Menschen daran Interesse hätten. Die Ursache könnte sein, dass der Ablaufprozess so kompliziert ist.
Abhilfe schaffen wollen Dr. Sebastian Sommer und Prof. Dr. Rainer Claus. Die beiden arbeiteten am Augsburger Uniklinikum in der Onkologie, dieser Bereich beschäftigt sich mit der Erkrankung Krebs. Dort bekamen sie mit, wie wenig Patientinnen und Patienten für Studien rekrutiert werden.
Schritt 1:
Hat ein Pharma-Unternehmen ein neues Medikament entwickelt, muss vor dem Markteintritt in klinischen Studien getestet werden. Der Studienprozess wird von einer Ethik-Kommission geprüft. Diese schreibt beispielsweise vor, dass keine Patientin und kein Patient benachteiligt werden darf.
Schritt 2:
Hat die Ethikkommission die Studie freigegeben, sucht sich das Pharma-Unternehmen eine Klinik und eine Studienärztin oder einen Studienarzt, die oder der die Studie betreut. Die Studienärztinnen und -ärzte müssen dann potenzielle Patientinnen und Patienten suchen. Ausgewählt werden diese nach festgelegten Voraussetzungen.
Schritt 3:
Neben Geschlecht, Alter und Krankheitsbild spielen dabei unter anderem das Blutbild oder die Genfaktoren eine Rolle. Um auszuschließen, dass für die Studie beispielsweise nur junge oder sportliche Personen ausgewählt werden, hat das Pharma-Unternehmen kein Mitspracherecht bei den Voraussetzungen für Studienteilnehmende.
Schritt 4:
Eine Studienärztin oder ein Studienarzt kennt zwar die eigenen Patientinnen und Patienten und kann diese auf die Studie hinweisen, doch um mehr Teilnehmende zu rekrutieren, sind sie auf Kolleginnen und Kollegen von anderen Kliniken angewiesen. Diese kennen bestenfalls alle Studien, die in der eigenen Klinik durchgeführt werden, doch darüber hinaus wird es es schwierig.
Schritt 5:
Eine Patientin oder ein Patient kann – wenn die Voraussetzungen erfüllt werden – überall an einer Studie teilnehmen, doch dafür muss die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt von der Studie wissen. Es gibt keine Übersicht aller aktuellen Studien – eine Lücke, die TRICLI schließen möchte
Sommer und Claus taten sich mit Philip Marienfeld und Stephan Schad zusammen, die bereits gemeinsam eine App entwickelt haben, und arbeiteten an einer Lösung: Eine App, die alle Studien übersichtlich darstellt und so Ärztinnen und Ärzte, Patientinnen und Patienten sowie die klinische Studie zusammenbringt.
TRICLI funktioniert wie eine klassische Dating-App für klinische Studien. Sie richtet sich an Ärztinnen und Ärzte, die darin passgenau nach Studien für ihre Patientinnen und Patienten suchen können – in der Hoffnung, dass es „matcht“. Das Ziel der Gründer ist es, klinische Studien für alle überall verfügbar zu machen.
Gegründet haben die vier TRICLI Ende 2021 mitten im Lockdown – das erste Mal persönlich getroffen haben sie sich beim Notartermin. Marienfeld als Programmierer hat dann den Prototypen der App entwickelt, der 2022 das erste Mal im Uniklinikum in Augsburg eingesetzt wurde. Für den Anfang fokussieren sich die Gründer auf den onkologischen Bereich, da dort die meisten Studien durchgeführt werden und die beiden Ärzte im Team die besten Einblicke haben.
In Zukunft soll die App um weitere Bereiche und Studien erweitert werden, denn laut Geschäftsführer Schad sei auch in anderen Abteilungen das Interesse groß. Aktuell arbeitet das mittlerweile achtköpfige Team jedoch daran, mehr Partner im onkologischen Bereich zu finden und führt derzeit Gespräche mit großen Klinik-Verbünden. Langfristig sollen auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte über die App Auskunft über Studien bekommen.
Das Start-Up hat bereits einige Preise gewonnen, der Augsburger Zukunftspreis 2022 und die Auszeichnung als „Bestes Digital Health-Startup“ sind nur zwei Beispiele. Für Schad zeigt das, dass das Thema aktuell ist und auf großes Interesse stößt. „Für uns ist es auch wichtig, auf das Thema klinische Studien aufmerksam zu machen. Es ist nicht allen bewusst, dass es diese Option gibt. Da wollen wir Aufklärungsarbeit leisten“, erklärt Schad.
Zudem wird durch die Auszeichnungen die Öffentlichkeit auf das Start-Up aufmerksam. „Dadurch haben wir gesehen, dass auch auf der Patientenseite Interesse da ist“, meint Schad. Natürlich ist bei Erkrankten der Wille groß, eine passende Studie zu finden, an der sie teilnehmen und dadurch die Chance auf die neuste Behandlung haben können. Häufig suchen Patientinnen, Patienten oder Angehörige selbstständig nach passenden Studien. Das möchte TRICLI unterstützen und forscht gerade an einer Möglichkeit, wie Patientinnen und Patienten über aktuelle Studien informiert werden können.
Die Patientinnen und Patienten zu empowern, ist dem Gründerteam besonders wichtig. Deshalb betonen die Gründer ihre Unabhängigkeit, insbesondere von Pharma-Unternehmen: „Wir kommen aus dem wissenschaftlichen Bereich, wollen unabhängig informieren und nicht für eine einzelne Firma arbeiten.“
Der medizinische Bereich ist keine hippe Branche, in der ein Start-Up nach dem anderen entsteht. Das schränkt auch den Kreis der potenziellen Kapitalgeber für die App TRICLI ein. Damit versuchen die vier Gründer umzugehen. „Wir wollen wirklich allen Patientinnen und Patienten helfen, damit die Versorgung für sie verbessert wird und das schaffen wir nicht, wenn wir wieder eine Insellösung für eine oder zwei Pharmafirmen schaffen“, erläutert Schad.
Der Weg? Das Team möchte alle Interessensgruppen bedienen und die Vorteile aufzeigen. Die Ärztinnen und Ärzte können ihren Patientinnen und Patienten zielgerichteter helfen, die Kliniken kommen ihrer Forschungstätigkeit nach und die Pharma-Unternehmen finden mehr Teilnehmende für ihre Studien. Das ist für sie von Bedeutung, da Medikamente in der Entwicklung bis zur Phase der klinischen Studien bereits eine Menge Geld kosten, das praktisch umsonst wäre, wenn eine Studie nicht genug Teilnehmende findet. Durch dieses Win-Win-Konzept versuchen die Menschen hinter TRICLI, ausreichend Partner zu finden.
Am meisten profitieren dadurch die Patientinnen und Patienten. Wer Teil einer Studie ist, wird beispielsweise häufiger untersucht, um mögliche Nebenwirkungen abzuklären. Zudem sind viele zusätzliche Untersuchungen vorgeschrieben. Ein langfristiges Ziel ist jedoch, dass erfolgreich durchgeführte Studien dazu beitragen, dass ein neues wirksames Medikament oder eine innovative Behandlungsmethode auf den Markt kommen und so Leben retten kann – vielleicht auch durch Unterstützung von TRICLI.
Dieser Artikel stammt aus einer Sonderbeilage der Augsburger Allgemeinen. Weitere spannende Themen finden Sie in unserem Magazin „Made in Bayerisch-Schwaben“.