Viele Berufsanfänger kennen das Phänomen: Der Arbeitstag war lang, neue Eindrücke wollen verarbeitet werden. Nach Feierabend ist man zu nichts mehr in der Lage, außer erschöpft ins Bett zu fallen. Sport? Treffen mit Freunden? Fehlanzeige.
„Ein neuer Job ist sehr anstrengend“, bestätigt Coach Carolin Klaus aus Augsburg. „Es gibt jede Menge Neues zu lernen, was sehr spannend sein kann und zu einem Energieschub führt, aber auch die Freizeit verändert sich.“
Man sei nicht mehr so flexibel wie etwa während des Studiums oder der Ausbildung. Es sei deshalb „okay, abends nur noch ins Bett zu fallen“. Gleichzeitig empfiehlt sie, zu lernen, auf den Körper zu hören. Wann bin ich gestresst? „Wenn ich das nicht merke, kann ich keine Pausen einplanen.“
Bei einem Umbruch im Leben sollte man dieser Umstellung in der ersten Zeit ruhig etwas mehr Aufmerksamkeit, Energie und Raum lassen, rät Carolin Pfau, die als systemischer Coach arbeitet. Nach den ersten Monaten sei es dann jedoch wichtig, sich davon etwas zu lösen, sodass man wieder in sein Gleichgewicht finde.
Ein gewisser Zeitrahmen grenze den eigenen Drang nach Perfektion ein, führt Psychologin und Coach Cordula Nussbaum aus. Dabei ginge es nicht darum, keine Überstunden zu machen. Wenn es nötig werde, sei man zur Stelle. „Man kann super engagiert sein, muss das aber nicht an der Arbeitszeit festmachen“, erklärt Nussbaum.
Oft läuteten bei Vorgesetzten bereits die Alarmglocken, wenn ein junger Mensch zu Beginn seiner Karriere häufig Überstunden schiebe. Das sei heute nicht mehr unbedingt ein Pluspunkt, weiß Nussbaum. Zeit- und Selbstmanagement seien die wichtigsten Softskills, die in die Mitarbeiter-Bewertung einfließen.
Von der Arbeit direkt zum Sport
„Gerade am Anfang muss man sich den Stress durch zusätzliche Verabredungen nicht machen“, sagt Nussbaum. Aber nach einigen Wochen sei das durchaus wieder möglich.
„Wenn man die Dinge sausen lässt, die einem Energie geben, wird man frustriert und hat noch weniger Energie“, erläutert Pfau. Nach der Arbeit erst einmal nach Hause zu gehen, um sich auszuruhen, könne bei manch einem dazu führen, es nicht mehr aus dem Haus zu schaffen. Hier kann es helfen, die Arbeitszeit an die Hobbys oder Verabredungen anzupassen. Wenn man direkt im Anschluss an die Arbeit dort hingehen kann, holt einen das Tief zu Hause gar nicht erst ein.
Außerdem ist es den Expertinnen zufolge hilfreich, sich mit Freunden zu verabreden. „Hat man Spaß daran, wird man es machen“, ist sich Klaus sicher. Sie rät aber davon ab, sich für die Freizeit zu große Dinge vorzunehmen. „Das frustriert, wenn man es nicht schafft.“
Für Freunde und Freizeit könnten am Anfang fest eingeplante Zeiten in der Woche oder am Wochenende helfen, sagt Pfau. „Manche engt das wiederum zu sehr ein und sie mögen es lieber spontan.“ „Berufsanfänger sollten für sich einen guten Weg finden und sich kennenlernen: Was stresst mich, was tut mir gut?“, erklärt Klaus. Die einen würden eher durch Aktivitäten entspannen, für andere sei das purer Stress.
Doch was tun, wenn sich trotz aller Planung die Überstunden dauerhaft häufen? „Man muss nicht alles alleine lösen. Suchen Sie sich am besten einen Mentor oder eine Kollegin, mit dem oder der Sie sich regelmäßig austauschen“, rät Klaus. Eine zweite Meinung sei gerade in schwierigen Situationen wichtig, um die Objektivität zu wahren.
Nussbaum zufolge ist es wichtig, die „Miteinander-Kultur“ im Unternehmen kennenzulernen. Sind alle so hilfsbereit? Machen alle Kollegen Überstunden? „Dann wird es schwierig sein, sich da rausziehen“, betont die Beraterin. Trotzdem sei es möglich, die Arbeitsabläufe auf den Prüfstand zu stellen. Nicht gerade in den ersten paar Tagen, aber nach einer gewissen Zeit. „Nur weil man es schon immer so gemacht hat, muss es ja nicht so bleiben.“
Sichtwechsel schafft besseres Verständnis
Coach Carolin Klaus empfiehlt folgendes Vorgehen: „Schildern Sie, ohne Vorwurf, was das für Sie selbst bedeutet hat, ständig länger zu arbeiten.“ Für ein solches Gespräch könne es sinnvoll sein, die Sicht des Gegenübers einzunehmen, meinen die Expertinnen. Schließlich wollen die Vorgesetzten ebenfalls, dass die Arbeit gut erledigt wird, die Mitarbeiter aber gesund bleiben. Pfau ist überzeugt: „Je besser die Work-Life-Balance gelebt werden kann, desto geringer ist die Fluktuation.“
Text: Bernadette Winter/oH