Lebkuchenherzen sind lecker – oder? Während der Zucker auf der Zunge zerfällt, nehmen die Geschmacksknospen eine würzige Note wahr. Zwischen den Zähnen klebt der Sirup und dennoch schmeckt es trocken. Kinder lieben genau das. Ob Gaumenschmaus oder -graus: Um den Verzehr geht es sowieso selten. Vielmehr zählt die Symbolik – also die Geste, das Gefühl und der Spruch. Sandra Erlinger von der Bonbonnière Erlinger verspricht: „Es gibt für jede Situation das passende Lebkuchenherz!“ Und sie wird recht behalten.
Aktuell erfasst die Süßwarenhändlerin in einer Halle im Lechhauser Gewerbegebiet ihren Bestand und bereitet sich auf die Saison vor. Es ist viel zu tun. Zeit, um für ein Interview in Erinnerungen zu schwelgen, findet sie trotzdem: „In der Nachkriegszeit hatten wir Herzen aus Zartbitterschokolade in rotem Stanniolpapier. Darauf klebten goldene Aufkleber mit ‚Mein Liebling‘, ‚Schatzi‘ und ‚Ich liebe dich‘. Erst mit der Zeit kamen Lebkuchenherzen mit einfarbigen Rändern. Das Sortiment war überschaubar“, blickt Erlinger zurück.
Anfang der 80er-Jahre wandelte sich das Geschäft durch die Fülle an Zutaten und neue Techniken. Die Herzen wurden bunter und die Ränder durch verschiedene Spritztüllen förmiger.
„Statt den Zuckerguss mit einem Föhn zu trocknen, haben wir heute Maschinen, die das übernehmen.“Sandra erlinger
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Sie erinnert sich auch an eine Zeit, in der Herzen schlicht verziert waren und Plüschtiere an den Bändern hingen. „Neben Teddybären und Pferchen waren Pumuckl oder Alf der Renner.“ Mal waren die Lebkuchen mit Zuckerguss, dann mit Gummibärchen und heute mit Druckfiguren verziert.
Zeitweise verkaufte Erlinger Rohlinge in Form eines Autos oder einer Eisenbahn. Hufeisen und Kleeblätter gibt es noch. Dazu kamen Herzen mit einer Krone, Engelsflügeln oder Teufelshörnchen. Je nach Hersteller schmeckt der Teig anders. „Letztes Jahr hatten wir welche mit Rohrzucker. Die waren körnig und ziemlich süß“, verrät Erlinger. Kleine Herzen mit einem Gewicht von zehn Gramm sind bissfest, große mit fünf Kilo fluffiger.
Doch meist spielt das eh keine Rolle. Die wenigsten werden gegessen. Der Großteil dient als Andenken an einen besonderen Moment. Die Herzen halten ähnlich lang wie die Erinnerung. Zwei Jahre kann man sie im Durchschnitt essen. Auch danach schimmelt guter Lebkuchen nicht. „Wenn Sie ihn aufhängen, schaut er in zehn Jahren noch aus wie am ersten Tag“, so die Süßwarenhändlerin.
Der Klassiker ist das Rot-Weiße mit „Ich liebe dich“, Herzchen und einem Edelweiß. Das bestätigt auch Jessica Roie, die mit Nolis Süßem Tempel auf verschiedensten Volksfesten Bayerns zu Gast ist: „Unsere beste Kundschaft sind die Männer abends. Sie waren zu lange feiern und wollen ihren Frauen etwas mitbringen, um das wiedergutzumachen. Als nette Verkäuferin empfiehlt man ihnen nicht den Standard, sondern etwas Spezielleres. Dann denkt die Frau, er hat sich Gedanken gemacht. Aber eigentlich war es die Verkäuferin“, witzelt die Schaustellerin.
Konnte die aus Teig geformte Liebe die Beschenkte besänftigen, gibt es zum nächsten Volksfest vielleicht einen Heiratsantrag. Auch hier sind die Herzen hoch im Kurs. Erlinger verkauft zwischen sechs und zehn Stück im Jahr. Im Sortiment ist, was die Männer zum Trauen brauchen: die klassische Frage „Willst du mich heiraten?“, ein lässiges „Du + ich, passt“ oder eine Variante ohne Worte mit zwei Ringen. „Ich habe auch mal ein Herz mit Kästchen für Ja, Nein und Vielleicht gemacht. Dazu gab es einen Zuckerstift und die Dame musste ankreuzen“, erinnert sich die Süßwarenhändlerin.
Auch eine Trennung per Lebkuchenherz hat sie schon erlebt: „Es gab mal eine Serie mit ‚Du kotzt mich an‘ und ‚Verpiss dich‘. Die beiden sind angetrunken aus dem Bierzelt gekommen, haben lauthals diskutiert und dann hat er geschrien: ‚Ich hab’ so die Schnauze voll.‘ Er hat bei mir das Herz gekauft, ist ihr hinterhergerannt, hat es ihr in die Hand gedrückt und sich mit den Worten ‚Hier hast du dein Herz. Jetzt will ich dich nie mehr sehen‘ verabschiedet. Auch solche Situationen gibt es – und wir haben für sie das passende Lebkuchenherz“, schmunzelt die Verkäuferin.
Aktuell sind ähnliche Varianten im Sortiment: die rosa „Diva“ und die „Tussi“ mit Playboyhase. Im Trend sind ein umgedrehtes und mit Augen zum Kothaufen-Emoji umdekoriertes Lebkuchenherz oder welche mit schwarzem Dekor und Sprüchen wie „Deine Haare sind gezählt“ und „Ich liebe dich nicht“.
Noch mehr zu erzählen gibt es, wenn Herzen individuell beschriftet werden. „Die Leute kommen mit Sprüchen, das glauben Sie nicht. Früher haben meine Kollegin und gute Freundin Anja Karl und ich abends bei einem Absacker das Herz des Tages gekürt“, erinnert sich Roie. Karl hat ihren Süßwarenstand vor einigen Jahren allerdings aufgegeben und einen Ausschank übernommen. Immer weniger Buden beschriften Herzen vor Ort. Auf dem Augsburger Plärrer gibt es nur noch eine: das Zuckerparadies Kapfinger.
Der Stand von Stephanie und Dieter Kapfinger befindet sich am Ausgang zur Badstraße. Auf wenigen Quadratmetern reihen sich gebrannte Mandeln, kandierte Äpfel und Magenbrot aneinander. Auf einem Seitentisch liegen leere Herzen und Spritzbeutel mit Zuckerguss. Auf einer etwa 30 auf 60 Zentimeter großen Ablage im hinteren Teil des Wagens erfüllt Dieter Kapfinger Kundenwünsche. An Wochenenden können Anfragen im zweistelligen Bereich zusammenkommen.
Wichtig ist: Die Idee muss aufs Herz passen. Auf einem mit 100 Gramm haben drei, vier Wörter Platz. Ein Riesenherz eignet sich für Gedichte. „Mein Mann ist ein Künstler. Er hat die schönere Schrift und kann kleiner schreiben – so bringt er oft lange Texte drauf“, verrät Kapfinger. Das Beschriften dauert etwa eine Viertelstunde. Nach einem kurzen Antrocknen wird das Herz eingeschweißt und foliert. So kann der Kunde es gleich mitnehmen. Allerdings braucht die Zuckerguss-Schrift mehrere Stunden, bis sie fest ist. Deshalb raten die Kapfingers:
„Vorsichtig transportieren und nicht hineinlangen!“Stephanie und dieter kapfinger
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Besonders beliebt sind Klassiker mit Namen, also „Ich liebe dich, Andrea“ oder „Für meinen Schatz Matthias“. Auch Herzen zu Hochzeiten mit den Namen des Brautpaars, dem Hochzeitsdatum und zwei Ringen oder zur Taufe mit dem Namen, Geburtsdatum, Gewicht und der Größe gehen gut. Im Frühjahr sind welche zur Kommunion, Konfirmation und Firmung, im Herbst zum Schulanfang gefragt. „Wenn man mir Wünsche auf Papier vorschreibt beziehungsweise -malt, beschrifte ich sogar in anderen Sprachen“, erklärt Dieter Kapfinger. Was er und seine Frau wohl nie vergessen: ein Herz, das sie vor Jahren für eine Beerdigung gefertigt haben. Es zeigt: Die Zeit vergeht, die Erinnerung bleibt. Lebkuchenherzen sind eben für die Ewigkeit.
Dieser Artikel stammt aus unserer Sonderbeilage "Heimat mit Herz".