Die Tierheime sind voll, viele haben einen Aufnahmestopp verhängt. In "freier Wildbahn" kommen die ehemaligen Hauskatzen aber kaum zurecht - ihr Zustand ist erbarmungswürdig. Ausgerechnet Tierschützer rufen nun nach radikalen Maßnahmen - und finden bei den Kommunen zunehmend Gehör: Möglichst viele der nach Schätzungen etwa 8,2 Millionen Katzen in deutschen Privathaushalten sollen beim Tierarzt zur Zwangskastration antreten, um die Kätzchenflut einzudämmen. Denn die "Stubentiger" sorgen durch ihr Herumstreunen mit für den ungewollten Nachwuchs bei ihren verwilderten Artgenossen. Die 70 Euro für den Eingriff bei der Hauskatze sollen die Besitzer berappen.
Als Vorreiter kann Paderborn auf gute Erfahrungen verweisen. Schon seit 2008 müssen Hauskatzen, die in der westfälischen Stadt die Wohnungen zum Herumstreunen verlassen, kastriert sein. Andernfalls drohen dem Halter 120 Euro Bußgeld. Das Kastrationsgebot sei sehr gut angenommen worden, berichtet Udo Olschewski, Leiter des städtischen Ordnungsamtes. Jährlich würden zwischen 500 und 600 Katzen kastriert, im Jahr 2009 seien es fast 800 gewesen. "In vielen Tierheimen wurden die Aufnahmestopps für Katzen bereits Ende letzten Jahres aufgehoben", sagt Olschewski.
Das Ordnungsamt kontrolliert die Katzenhalter nur bei Beschwerden, etwa aus der Nachbarschaft. Wer seine Katze bewusst nicht kastrieren lässt, zahlt ein Bußgeld von 120 Euro. In Düsseldorf steht die Kastrationspflicht kurz bevor. Zwei Ausschüsse des Stadtrats haben schon mit parteiübergreifender Mehrheit zugestimmt. Peter Steinbüchel, Leiter des Amtes für Verbraucherschutz in Düsseldorf, sieht in der Kastrationspflicht das "Gebot der Stunde".
Den Plan, alle Hauskatzen zu kastrieren, hat die Tierschutzorganisation Peta angestoßen. Sie schrieb 120 Städte an, um sie von der Kastrationspflicht zu überzeugen. Inzwischen hätten viele Kommunen Interesse signalisiert. In Kontakt stehe man etwa mit Lokalpolitikern in Duisburg, Aachen und Siegen. In Essen dagegen ist die Zwangskastration kein Thema: "Wir sehen dafür bei uns keinen Bedarf", heißt es von der Stadt. Der NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg unterstützt den Kurs und empfiehlt den Kommunen, die Kastrationspflicht einzuführen - besonders dort, wo die Vermehrung der freilebenden Tiere ein Problem ist.
"Eine unkastrierte Katze kann in sieben Jahren theoretisch auf 420 000 Nachkommen kommen", sagt Peta-Katzenexpertin Nadja Kutscher. "Katzen sind auf den Menschen und die tierärztliche Versorgung angewiesen. Auf lange Sicht kann nur ein Kastrationsgebot helfen", sagt Kutscher. In sozialen Härtefällen könnten die Tierschützer bei den Katrastionskosten einspringen, stellt Peta in Aussicht.
Katzen-Züchter seien von der Pflicht ausgenommen, dennoch sei "nicht jeder Katzenhalter begeistert", räumt Kutscher ein, hält deren Gegenargumente aber nicht für stichhaltig: Auch wer für jedes Katzenbaby einen Abnehmer vorweisen könne, sorge mit dem Nachwuchs seines Haustieres letztlich dafür, dass die Tierheime voll bleiben. Dass bei einer flächendeckenden Kastrationspflicht die Hauskatze bald vom Aussterben bedroht sein könnte, glaubt Kutscher nicht: "Darüber müssen wir uns noch gar keine Gedanken machen."