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Gute Aussichten: Tiergestützte Intervention in der Region

Gute Aussichten

Tiergestützte Intervention in der Region

Ein Herz und eine Seele: Ina und Norwegerstute Samara.
Ein Herz und eine Seele: Ina und Norwegerstute Samara. Foto: Melanie Schiele

Rechts um den Kegel herum, lautet die Aufgabe. Samara läuft gemächlich los, dreht sich, bleibt nach einer halben Runde stehen. Was ist los? „Ina, du musst dich konzentrieren“, fordert Jana ihre Schülerin auf. Ina strafft ihren Körper, dreht den Kopf und gibt Samara damit das Zeichen, in welche Richtung es weitergehen soll. Die Stute setzt sich wieder in Bewegung, rechts um den Kegel herum. „Pferde brauchen eine Ansage“, erklärt Jana. „Sonst bleiben sie entweder stehen oder haben eigene Ideen, wohin es gehen soll.“

Und nun? Ina hat den Fokus verloren, Samara weiß nicht weiter und bleibt stehen.
Und nun? Ina hat den Fokus verloren, Samara weiß nicht weiter und bleibt stehen. Foto: Melanie Schiele

Samara hat also nur zu verstehen gegeben, dass sie nicht weiterweiß. Dieses Zeichen zu lesen, ist die Aufgabe von Jana. Sie übersetzt dann für die Reiterin auf dem Pferd. Doch die hat längst selbst bemerkt, dass sie den Fokus verloren hat. „Da habe ich jetzt nicht richtig aufgepasst“, sagt Ina. Sie kennt Samara eben auch schon. Und was noch wichtiger ist: Sie weiß, dass Samara nur das befolgt, was sie als Reiterin vorgibt. Sie erlebt sich als selbstwirksam, als kompetent.

Ina kommt seit rund zweieinhalb Jahren jede Woche nach Gut Eschenlohmühle in Lamerdingen. Sie nimmt dort keine gewöhnlichen Reitstunden, die Begegnung mit Samara ist Teil einer Tiergestützten Intervention. Gleichgewichtssinn und Körperhaltung werden dabei geschult, Muskeln werden aufgebaut und gleichzeitig hypertone Muskeln entspannt. Doch das sind nur positive Begleiterscheinungen. Denn dass sie körperliche Defizite hat, spielt für Ina keine Rolle. Vielmehr ist für die 14-Jährige wichtig, mit ihren Lieblingstieren zusammen zu sein. „Pferde und Minipferde“, verrät sie. Auf Gut Eschenlohmühle gibt es beides. Ina darf je nach Laune mit den Miniponys knuddeln oder auf Samara reiten.

TGI hilft, Fähigkeiten zu verbessern

Aus der Begegnung mit den Tieren entwickelt sie ein positives Selbstbild, beim Reiten erfährt Ina ihren Körper intensiv und in der Arbeit mit den Tieren verbessert sie ihre Fähigkeiten. Und von denen hat Ina mehr als genug: Vor jeder Stunde putzt sie Samara. Das ist nötig, die Norwegerstute steht ganzjährig mit ihrer Herde auf der Koppel. Deswegen haart sie gerade auch sehr stark. „Fellwechsel“, kommentiert Ina wissend. Auch Satteldecke und Voltigiergurt legt sie an, Jana ist nur unterstützend dabei. Und selbst den Parcours in der Reithalle legt Ina selbst fest. „Sie weiß immer, was sie will“, weiß Jana über ihre Schülerin.

Erst die Satteldecke, dann der Gurt. Ina legt selbst Hand an. Jana hält sich im Hintergrund.
Erst die Satteldecke, dann der Gurt. Ina legt selbst Hand an. Jana hält sich im Hintergrund. Foto: Melanie Schiele

Jana Klöck ist Fachkraft für Tiergestützte Interventionen (TGI) und leitet die TGI-Anwendungen auf Gut Eschenlohmühle. Sie ist Teil des therapeutischen Dreiecks zwischen Tier, Klient und Therapeut. Sie vermittelt, motiviert, leitet an – und zwar sowohl Mensch als auch Tier. Im Grunde genommen ist sie sowohl für die Zwei- als auch für die Vierbeiner die Vertrauensperson, bei der sie sich in einem sicheren Umfeld wissen und ungestört interagieren können. „TGI ist viel Vertrauensarbeit“, erklärt Jana. „Erst dann schöpfen alle Beteiligten aus ihrem Potenzial.“

Gut Eschenlohmühle in Lamerdingen

Und genau das, die Ausschöpfung persönlichen Potenzials, das Fördern individueller Fähigkeiten, das Stärken eines positiven Selbstbildes, sind die Zielsetzungen der M.U.T.I.G. gGmbH, die das Gut Eschenlohmühle betreibt.

Der Hof ist seit über 60 Jahren in Familienbesitz. 2013 übernimmt Silvia Adani den Hof von ihren Eltern und erfüllt sich einen lang gehegten Traum: Sie eröffnet eine Begegnungsstätte für Mensch und Tier. Keinen Streichelzoo, keinen Reiterhof, sondern ein Idyll, in dem sich Tiere und Menschen auf Augenhöhe begegnen und voneinander profitieren können. Die Tiere von einer artgerechten Haltung, die Menschen von der kompromisslosen Zuneigung der Tiere. „Tiere sehen keine Behinderung, keine körperlichen Defizite, kein psychisches Leid, sie sehen nur den Menschen selbst und reagieren mit ihren arttypischen Eigenschaften auf dessen Verhalten“, erklärt Silvia Adani.

Für die TGI eignen sich verschiedene Tierarten.

Auf Gut Eschenlohmühle gibt es neben Samara und ihrer Herde – drei Ponys, ein Islandpferd und ein Kaltblut – auch fünf amerikanische Miniaturpferde, vier Esel, zehn Schafe, vier Kaninchen, elf Hühner und sechs Katzen. Sie alle werden in der TGI eingesetzt – jede Art ihrer Natur entsprechend.

Die Schafe etwa erfüllen das Bedürfnis nach Nähe. „Sie erfassen sehr schnell die Stimmungslage eines Menschen und passen ihr Verhalten an“, erklärt Silvia Adani. Der Umgang mit Eseln dagegen erfordert Geduld, Konsequenz und Disziplin. Kaninchen und Hühner fordern ein ruhiges Wesen ein – wer zu laut oder zu hektisch auf sie zugeht, verschreckt die Tiere.

Mensch und Tier: Begegnung ohne Zwang

Mensch und Tier begegnen sich auf Gut Eschenlohmühle nur, sofern beide Parteien darauf Lust haben. „Unsere Klienten dürfen mit entscheiden, nach welcher Tierbegegnung ihnen ist – oder ob überhaupt“, sagt Alexandra Passolt. Sie ist Silvia Adanis Schwester und auf Gut Eschenlohmühle für die Therapeutische Leitung zuständig, führt etwa Aufnahmegespräche und macht Elternarbeit. „Und auch die Tiere dürfen selbst entscheiden. Man kann sie nicht zwingen“, sagt Jana Klöck. „Sonst wird ihr Verhalten unberechenbar und das darf bei uns nicht passieren.“

Ein Herz und eine Seele: Ina und Norwegerstute Samara.
Ein Herz und eine Seele: Ina und Norwegerstute Samara. Foto: Melanie Schiele

Denn obwohl Tiere immer authentisch und intuitiv reagieren, ist ihr Verhalten vorhersehbar und nie feindselig. Auch das Kopfschütteln von Samara nach der Reitstunde ist nicht aggressiv. „Jetzt reicht’s ihr einfach“, weiß Ina. „Genug gekuschelt.“ Samara darf wieder auf die Koppel. Ina fährt nach Hause, müde nach der Einheit, und glücklich.

Der Artikel erschien in unserer Sonderbeilage "Gute Aussichten - Mit Mut in die Zukunft".  Dort finden Sie weitere Themen, die Mut machen.

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