Mai Aly ist Mutter, Freundin, Ehefrau und vor allem eines: Architektin. In Ägypten übte sie diesen Beruf leidenschaftlich aus. Sie arbeitete an einem Projekt für Sozialbauwohnungen mit und war am Bau einer Gated Communitiy – eine für wohlhabende Ägypter typische geschlossene und bewachte Wohnanlage – beteiligt. An der Ain-Shams-Universität und der Kairo-Universität absolvierte sie ihr Masterprogramm und arbeitete als Dozentin mit Studentinnen und Studenten zusammen.
Als ihr Mann beruflich in einen anderen Firmenstandort nach Deutschland versetzt wurde, zog die junge Familie Ende 2018 nach Augsburg. „Mein zweites Kind wurde hier geboren, das andere ging bereits in Ägypten in einen deutschen Kindergarten“, erzählt Mai Aly.
Nachdem ihre Kinder nun alt genug für die Schule und den Kindergarten sind, die Corona-Pandemie überstanden und sie die deutsche Sprache immer besser beherrscht, will Aly nun wieder als Architektin arbeiten. Doch trotz Fachkräftemangel ist der berufliche Einstieg für eingewanderte Fachkräfte in Deutschland gar nicht so einfach. Besonders, wenn es um Stellen geht, die ihrem akademischen Niveau entsprechen.
„Man muss sich verkaufen können und die eigenen Fähigkeiten beschreiben“, berichtet Aly von den Problemen, die sie mit vielen anderen teilt. Ein Anschreiben und einen Lebenslauf zu verfassen sowie ein Motivationsschreiben auf die entsprechende Stelle anzupassen – Dinge, die man hierzulande bereits in der Schule gelernt hat, muss sie sich neu aneignen. Denn in vielen anderen Ländern werden Bewerbungsprozesse ganz anders gehandhabt. „Meine Freunde arbeiten als Ärzte oder Ingenieure. Sie konnten mir auch nicht weiterhelfen“, führt die gelernte Architektin weiter aus.
Doch mit diesen Herausforderungen ist Aly nicht mehr alleine. Unterstützung erhält sie nun von ihrer Mentorin Anne Giermann. Diese studierte in Berlin Architektur und arbeitet mittlerweile als Architektin für die Stadt Augsburg. Vor etwa drei Jahren wurde sie von einer Kollegin auf das Projekt aufmerksam gemacht. Vor zwei Jahren übernahm sie dann ihre erste Mentoring-Partnerschaft. Aly ist nun die zweite Mentee, die sie auf dem Weg in den Beruf begleitet.
Die Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH ist eine gemeinnützige Organisation in Augsburg, die sich für verbesserte Lebensbedingungen und mehr Teilhabe benachteiligter Personen in den Bereichen Arbeit, Wohnen und Kultur einsetzt. Dabei hat sich die Organisation auch auf die Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten spezialisiert.
Mit der Mentoring-Partnerschaft verfolgt Tür an Tür das Ziel, eingewanderte Fachkräfte, sogenannte Mentees, bei ihrem beruflichen Einstieg in ihrem akademischen Bereich zu unterstützen. Potenzielle Mentees, die an dem Projekt teilnehmen wollen, können sich bei der Tür an Tür bewerben. Das Projektteam bildet dann Tandems aus einem Mentee und einem Mentor oder einer Mentorin aus dem gleichen Fachbereich.
Die Mentoring-Partnerschaft dauert fünf Monate und umfasst etwa 30 Stunden. Das Tandem verabredet sich dann etwa einmal die Woche für ein bis zwei Stunden.
„Wir treffen uns meist in einem Café und kümmern uns um die Bewerbungsunterlagen“, berichtetet Giermann. Dass man im Bereich der Architektur auch Arbeitsproben der eigenen Projekte benötigt und wie man das Motivationsschreiben für die entsprechende Ausschreibung anpasst, sind wertvolle Tipps, die sie ihrer Mentee mitgeben kann. „Man muss immer dranbleiben und darf nicht den Mut verlieren, das ist die Hauptsache“, rät Giermann.
Unter anderem versucht sie Aly auch bei der Stellensuche zu unterstützen, indem sie ihr zeigt, welche Weiterbildungen gerade relevant sind oder dass ein Praktikum ein möglicher Einstieg ist, um in der Region wichtige Netzwerke aufzubauen. „Ich hatte jetzt schon zwei Bewerbungsgespräche und warte gerade auf die Antwort für eine Weiterbildung“, bekräftigt Aly. Für sie ist jedes Gespräch ein persönlicher Erfolg. „Ich war sehr aufgeregt. Aber es hilft mir auch zu lernen, wie ich meine Fähigkeiten beschreibe“, so Aly.
Um an dem Programm von Tür an Tür teilzunehmen, müssen die Mentees einen Studienabschluss, gute Deutschkenntnisse auf B2 Niveau, eine Arbeitserlaubnis sowie Berufserfahrung im Ausland besitzen. Nach der Anmeldung erfolgt noch ein Vorstellungsgespräch, anhand dessen das Projektteam von Tür an Tür ein passendes Tandem zusammenstellen.
Anschließend gibt es für die Mentorinnen und Mentoren sowie die Mentees entsprechende Workshops, die sie auf das Programm vorbereiten. Dann erfolgt das erste Treffen. „Unser Tandem ist im Oktober gestartet“, berichtet Giermann. Enden tut es im März.
„Ich finde es toll und wichtig, dass es ein solches Programm gibt“, lobt Giermann. „Tür an Tür gibt mir Tipps und alles, was ich brauche“, bestätigt auch Aly, die bereits mehrere Workshops der Organisation besucht hat. Dabei sei es vor allem wichtig, den Mut aufzubringen, sich zu bewerben, nachzufragen und keine Angst vor Konfrontationen zu haben.
„Den letzten Weg müssen die Mentees dann selbst gehen. Dazu gehört nicht nur die Bewerbung, sondern auch herauszufinden, wie sie ihre Familie organisieren und vieles mehr“, berichetet Giermann, die in den vergangenen Monaten ihr Bestes gegeben hat, um Aly auf diesen Schritt vorzubereiten. „Vor dem Programm war ich damit sehr allein. Wirklich danke für alles“, endet Aly an ihre Mentorin gewandt.
Die Mentoring-Partnerschaft Südostbayern der Tür an Tür – Integrationsprojekte GmbH startet ab Juni 2024 in den nächsten Durchgang.
Mentorinnen und Mentoren können sich noch bis Montag, 29. April 2024, bewerben. Mentees können sich noch bis Montag, 18. März 2024, bewerben.