Die Knie beim Schwingen nach hinten abwinkeln, dann nach vorne strecken und den Bauch hinausdrücken – Cindy Wagner, 1,54 Meter groß, 56 Kilogramm schwer, bringt damit ihren ganzen Körper in Bewegung. Sie lässt den Reifen, an dem sie hängt, los und fliegt mehrere Meter durch die Lüfte. Ihr Ziel? Eine Reckstange, die sie noch im Flug konzentriert fokussiert. Wenige Sekunden später hat es die Sportlerin geschafft: Sie konnte sich am Metall festhalten und auffangen.
Nur eines der Videos, das die 26-Jährige auf ihrem Instagram-Account geteilt hat, um ihren Trainingserfolg festzuhalten. Aufgenommen wurde es in der Free Ground Academy in Leipheim zwischen Augsburg und Ulm. In der Freerunning- und Parcours-Halle trainiert die Lehramtsstudentin nicht zum ersten Mal. Seit drei Jahren passiert Wagner Hindernisse, sogenannte Obstacles. Angefangen hat sie damit, um sich auf ein Ninja-Battle vorzubereiten, dessen Anzeige die leidenschaftliche Turnerin ganz zufällig im Internet gesehen hat. Aus Neugier verschickte sie die Bewerbung. Tatsächlich wurde sie angenommen und durfte damit eine ganz neue Sportart für sich entdecken.
Weil sich Wagner im Hangeln und Schwingen gut anstellte, ist sie daraufhin nämlich öfter ins Ninja-Training gegangen und hat sich kurze Zeit später bei der Fernsehshow Ninja Warrior Germany beworben. Hunderte Kandidaten müssen dort mehrere trickreiche Parcours, auch Stages genannt, möglichst erfolgreich und schnell meistern. Nur die Besten schaffen es in die nächste Runde. Ihnen wird viel Griffkraft, Körperbeherrschung, Kondition und Kraft-Ausdauer abverlangt.
Schon 2018 durfte Wagner in der zweiten Vorrunde, 2019 dann im Halbfinale ihr Können unter Beweis stellen. Dazwischen war sie Teil der Retrokids bei einer Sondersendung der Show, genannt Team Ninja Warrior Germany. Ihre Gruppen-Kollegen Christian Balkheimer – auch bekannt als Super Mario – aus Leipheim und Daniel Gerber aus Ostfildern kannte sie vom vorherigen Training. „Dort haben sie mich auch gefragt, ob ich bei ihnen im Team mitmachen möchte. Ich habe sofort Ja gesagt! Es war mir eine Ehre, mit zwei Top-Athleten, die beide schon mal bis ins Finale gekommen waren, anzutreten“, erzählt Wagner und freut sich auch heute noch.
Doch es war nicht ohne: „Die Griffkraft lässt nach, die Unterarme gehen zu, man muss alles am Stück machen – ganz anders als bei der Vorbereitung im Vorfeld. Außerdem ist man aufgeregt und der Druck ist durch die vielen Kameras und Zuschauer unglaublich groß“, berichtet die ehemalige Kandidatin. Selbstverständlich ist man unter solchen Bedingungen aufgeregt, kann sich nicht ganz so gut konzentrieren.
Erst kürzlich ist Wagner dem Ninja-Fieber dennoch wieder verfallen. Im April hat sie an einem Allstars-Special der Sendung teilgenommen. Dort musste sie gegen eine andere Sportlerin, die 20-jährige Julia Koch, im 1:1-Duell antreten. Anders als in der eigentlichen Show ging es darum, möglichst schnell die Hindernisse zu meistern und als Erste den Buzzer am Ende des Parcours zu drücken. Weil sich die Athletin zwei Wochen vor der Aufzeichnung im Training am Sprunggelenk verletzt hätte, konnte sie in der Show nicht richtig abspringen und landete ziemlich schnell im Wasser.
In der klassischen Version der Fernsehsendung springen die Kandidaten nämlich zu Beginn meist von einer Plattform zur nächsten, müssen sich bei einer Rutsche an einem Ring oder an einer Stange festhalten und dann Balance-Hindernisse mit präzisen Schritten überwinden. Anschließend geht es ans Schwingen oder Springen, an ein Hangelelement und zum Schluss mit drei Versuchen an die 4,25 Meter hohe Wall beziehungsweise mit einem Versuch an die 5,50 Meter hohe Mega-Wall. Je nach Kraft, Lust, Laune und Zielsetzung können sich die Sportler für eine der beiden entscheiden.
Damit sie ihr Können vor den Kameras überhaupt beweisen können, müssen sie mit einem umfangreichen Fragebogen überzeugen. „Man muss zum Beispiel angeben, welche Hobbys man hat, was man mit dem Preisgeld machen würde und warum man sich als Ninja-Athlet sieht. Außerdem habe ich ein Porträt- und ein Action-Foto sowie ein Bewerbungsvideo angehängt“, erzählt Wagner. Kommt man dabei gut an, werden beim Casting Fitness, Sprungkraft, Balance und Ausdauer getestet. Zum Beispiel muss man in drei Minuten möglichst viele Liegestützen und Boxjumps schaffen.
Bei der Aufzeichnung vor Ort gibt es dann noch einen Outfitcheck. Die Kandidaten dürfen nämlich weder Grün noch Kleinkariertes tragen und müssen Logos auf ihrer Kleidung mit Tape bedecken. In einer Greenbox nehmen sie anschließend ihre Kampfansage auf, geben ein kurzes Interview und stehen danach für Fotos bereit. In einem kleinen Raum mit Yogamatten, Hangelelementen und einigen Geräten können sie sich aufwärmen.
Wie der Parcours funktioniert und welche Regeln gelten, erklärt ein Profi kurz vor der Show. Die Teilnehmer können sich von ihm zwar die Technik abschauen, dürfen die Hindernisse im Vorfeld aber nicht selbst ausprobieren. Erst wenn sie auf der Startplattform stehen, die Moderatoren, Frank Buschmann und Jan Köppen, sie angesagt haben und alle Kameras entsprechend ausgerichtet sind, ertönt ihr Startsignal.
Mittlerweile gibt es auch ein Promi- und 4-Nationen-Special sowie eine Kids-Version. Doch eine Sache haben die Teilnehmer aller Sendungen gemeinsam: Sie bereiten sich mehrere Monate, teilweise sogar Jahre intensiv auf die sportliche Herausforderung vor. Einige von ihnen besuchen dafür Trainingshallen mit speziellen Übungsparcours, andere bauen sich die Hindernisse in der eigenen Garage nach – mit Stricken, Seilen, Hangelbalken, Gymnastik-Ringen, Überhang und der gefürchteten Himmelsleiter. Letztere besteht aus einer Stange, die links und rechts auf Sprossen liegt. Ähnlich wie bei einem schnellen Klimmzug muss man diese hochspringen.
Wagner schafft das inzwischen. Der Weg war allerdings nicht leicht. Die Studentin hat dem täglichen Turntraining dreimal in der Woche ein spezielles Krafttraining angehängt, joggt danach oft nach Hause und besucht in ihrer Freizeit Ninja-Hallen – unter anderem ist sie dafür sogar schon nach Köln, Kirchheim und Erlangen gefahren. Dort sammelt sie Erfahrungen an den Hindernissen und bringt sich selbst die Technik bei. Die anderen Ninja-Athleten sind hilfsbereit, geben Tipps oder machen die Übungen teilweise sogar vor. „Man motiviert und unterstützt sich gegenseitig. Statt Konkurrenz ist man eine Gemeinschaft“, erzählt die 26-Jährige begeistert.
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Einer, der sie auf ihrer Reise unterstützte, war Robert Donderer. Der Augsburger war 2018 selbst beim Casting der Fernsehshow und möchte sich, weil die beiden seitdem viel trainiert haben, für die kommende Staffel auch wieder bewerben. „Er hat mich motiviert, mir Tipps gegeben und wir haben Ninja-Ausflüge in die verschiedensten Parcourshallen gemacht“, erzählt die Sportlerin.
Einige dieser Hallen sind nicht nur für Athleten, sondern – natürlich abgesehen von der Corona-Situation – für alle zugänglich. So kann jeder testen, wie viel Griffkraft, Balance und Ausdauer er hat. Der Ninja-Bereich vieler Trampolinhallen sei allerdings nicht mit der richtigen TV-Show vergleichbar, meint Wagner, die neben ihrem Studium selbst in einer arbeitet. Keine Kameras, keine Zuschauer, weniger Druck, mehr Konzentration – und auch ganz andere Schwierigkeitslevels. Ihr Tipp: Eine der Ninja-Hallen, die den tatsächlichen Parcours nahekommt, befindet sich seit knapp zehn Jahren in einem umgebauten Kuhstall in Leipheim. Ninja-Kollege Christian Balkheimer hat sich dort auf 370 Quadratmetern mit gekauften sowie teilweise sogar selbst gebauten Hindernissen zum Schwingen, Hangeln, zur Balance und mit einem Trampolinbereich im Dach ausgetobt. Mittlerweile dürfen das alle in der Free Ground Academy beim freien Training.
„Das Gefühl, wenn man schwingt, fliegt und es schafft oder beim Hangeln die Kraft behält – das macht mich gleichzeitig glücklich und stolz“, schwärmt Wagner. Sie ist nach Corona sicherlich wieder regelmäßig in der Parcourshalle anzutreffen. „Wenn man bei der aktuellen Ninja Warrior Germany Staffel wieder richtig Lust auf Ninja-Training hat. Vielleicht bin ich nächstes Jahr doch wieder am Start“, schreibt sie auf Instagram unter dem Video, das in eben dieser unscheinbaren Halle direkt neben einer Kuhherde in Leipheim entstanden ist. Ob die Athletin, sobald ihre Verletzung verheilt und Sport möglich ist, nur für sich selbst weitertrainiert oder bald auch wieder im Fernsehen zu sehen ist, weiß sie noch nicht ...
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