Dabei ist es seitdem im Prinzip geblieben. "Ich habe seit 25 Jahren keine Haare", sagt die heute 45-Jährige. "Die meiste Zeit habe ich Wimpern und Augenbrauen, in einem Schub fallen sie auch aus." Kerstin Zienert hat eine schwere Form des kreisrunden Haarausfalls.
Die Alopecia areata - so der medizinische Fachbegriff - ist eine entzündliche Haarausfallerkrankung. Dabei entstehen typischerweise auf dem Kopf - es können aber auch andere Körperstellen wie etwa der Bart betroffen sein - eine oder mehrere münzgroße, haarlose Stellen, wie Christoph Liebich, Hautarzt in München und Mitglied des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen, erläutert. Jeder kann eigentlich unabhängig vom Alter und vom Geschlecht jederzeit erkranken.
Mitunter kann der Haarausfall auf dem Kopf sich wie bei Kerstin Zienert weiter ausbreiten - dann ist von einer Alopecia totalis die Rede. Ist der ganze Körper betroffen, spricht man von einer Alopecia universalis. "Es muss nicht in eine totale Form des Haarausfalls übergehen", betont Liebich. Die Ursache ist weitgehend unklar. Nach derzeitigem Stand der Forschung handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. Dass etwa Stress oder Vererbung bei der Erkrankung eine Rolle spielen, ist nicht wissenschaftlich belegt.
Die Erkrankung ist weder lebensbedrohlich, noch haben die Betroffenen Schmerzen oder Juckreiz. Aber: "Die Menschen haben einen hohen Leidensdruck, und die Behandlung ist sehr limitiert", sagt Prof. Hans Wolff, Leiter der Haarsprechstunde an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Nichtsdestotrotz sollten Betroffene zum Dermatologen gehen, wenn sie eine oder mehrere kahle Stellen bemerken - auch um andere Erkrankungen auszuschließen. In der Regel bekommt man zunächst für drei bis sechs Monate Zinktabletten. Dass das hilft, sei nicht wissenschaftlich belegt, betont Wolff. Auch eine Behandlung mit Kortison komme infrage, wenn das Haar plötzlich und büschelweise ausfällt. Die Behandlung sei allerdings in der Regel mit Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme verbunden und führe fast nie zu einem nachhaltigen Haarwachstum, sagt Wolff.
Eine weitere Möglichkeit ist die sogenannte topische Immuntherapie mit einem Kontaktallergen wie Diphencyprone (DCP), wie Wolff sagt. Er betont aber: Das Kontaktallergen DCP ist nicht als Medikament zugelassen - es handelt sich dabei um eine Chemikalie. Diese wird auf die Kopfhaut aufgetragen. Durch die Reizung soll das Haarwachstum wieder angeregt werden. "Im Extremfall kann man davon Ausschlag am ganzen Körper bekommen."
Einige Ärzte empfehlen auch die immunsuppressive Behandlung, wie sie bei Schuppenflechte und Rheuma durchgeführt wird, sagt Wolff. Dabei wird das Immunsystem mit Medikamenten unterdrückt, damit soll der Haarausfall verhindert werden. Patienten werden dadurch aber unter anderem auch anfälliger für Infekte. Er selbst wende diese Methode nicht an, sagt Wolff. Zuvor müsse die Behandlung in klinischen Studien genauer geprüft werden.
Hautarzt Liebich betont, dass die Erkrankung gerade zu Beginn oft mit großer Angst verbunden ist. "Man sollte versuchen, die Angst gegebenenfalls auch mit therapeutischer Hilfe möglichst klein zu halten." Vielleicht kann der Dermatologe einen guten Ansprechpartner empfehlen. Betroffene klammern sich oft an jeden Strohhalm - und geraten dann an die Falschen, weiß auch Wolff. "Es gibt viele Scharlatane", betont er. Etwa wenn ein Behandler versucht, teure Therapiemethoden zu verkaufen oder Heilung verspricht, sollten die Alarmglocken schrillen.
Immer wieder hört Kerstin Zienert von Freunden oder Bekannten, dass Haare etwas Oberflächliches seien. Dass man sie nicht braucht. "Nein!", betont sie. "Die Haare sind ein Teil von mir. Und wenn der geht, darf ich auch weinen." Sie engagiert sich in der Selbsthilfegruppe Alopecia Areata Deutschland. Und sie trägt eine Perücke - aus echten Haaren, das ist ihr wichtig. "Als Frau mit Glatze wird man angestarrt. Mit Perücke gehe ich ganz normal in der Masse unter." (dpa)
Selbsthilfegruppe Alopecia Areata Deutschland e.V.