Willemstad (dpa) - Nachts stinkt es besonders. Dann, wenn die Flammen meterhoch aus den Schornsteinen schlagen, wirkt die Isla-Raffinerie in Willemstad auf der Karibikinsel Curacao noch bedrohlicher, als bei Tageslicht. Nachts sind die Ausstoßwerte besonders hoch. Dann riecht es, als würden alte Autoreifen verbrannt. Eine gesundheitsgefährdende Dreckschleuder, die so gar nicht passen mag zu den Traumwelten mit Korallenriffen, türkisem Meer und weißen Karibikstränden.
Laut einer Erhebung der Universität Süd-Florida gehört Curacao wegen der Raffinerie gemessen an der Bevölkerung zu den Top Ten der Gebiete mit den schlimmsten Emissionswerten, 60 Prozent der Kinder im Alter bis 14 Jahren litten an Asthma, hat Forscher Erin Pulster ermittelt.
2019 läuft der Leasingvertrag mit dem venezolanischen Staatskonzern PDVSA aus. Und bislang scheint niemand so recht zu wissen, wie es mit der Anlage weitergehen soll. Am 30. August war der Ausstoß von Schwefeldioxid besonders hoch, er lag bei fast 800 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Den ganzen Monat August über lagen die Tageshöchstwerte um die 500er-Marke.
Zum Vergleich: Liegt in einem EU-Staat der Messwert an drei aufeinanderfolgenden Stunden über 500 Mikrogramm, "muss der betroffene Mitgliedsstaat umgehend geeignete Maßnahmen ergreifen". So sieht es die Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 vor. Schwefeldioxid gilt, wenn es eingeatmet wird, als krebserregend.
Hinzu kommen andere Substanzen wie die Schwermetalle Nickel oder Vanadiumpentoxid. Letzterer ist dafür verantwortlich, dass viele Gebäude und Straßenlaternen auf der Windseite der Insel einen grünen Bezug haben. Und auch dieser Stoff verursacht Krebs. Curacao war einst niederländische Kolonie, ist seit dem 10. Oktober 2010 politisch weitgehend autonom, aber noch immer Teil des Königreichs Niederlande und somit auch Teil Europas, wenn auch ein 7800 Kilometer entfernter.
Aber nicht ganz: Es gehört zu dem Bereich "überseeische Länder und Hoheitsgebiete" der Europäischen Union. In diesen Gebieten gelten nur einzelne Aspekte des Europarechts. Die Raffinerie stammt noch aus der Zeit, als Curacao Kolonie war. Während des Ersten Weltkriegs baute Shell die Anlage, bis heute eine der größten Raffinerien der Welt. Von dort aus wurde der karibische Raum bis hinauf zu den USA mit Treibstoffen versorgt.
Mitte der 80er Jahre verkaufte Shell die Raffinerie für einen symbolischen Gulden an die Inselregierung. Im Paket enthalten eine ganze Reihe von Problemen und Altlasten. Schon damals galt die Anlage als technisch überaltert, zudem war Shell nicht besonders rücksichtsvoll mit der Umwelt umgegangen.
Die Inselregierung, über Nacht Ölraffineriebesitzer, fand im venezolanischen Staatskonzern PDSVA einen dankbaren Mieter. 20 Millionen US-Dollar fließen jährlich an Miete. Investiert hat der Eigentümer, also die Inselregierung, seither kaum.
Die Zukunft ist offen. Venezuela wird von einer schweren Wirtschaftskrise geplagt, es gibt derzeit kein ernst zu nehmendes Szenario, woher die nötigen zwei bis drei Milliarden US-Dollar kommen sollen, um die Anlage zukunftsfähig zu machen. PDVSA hat diese nicht, der Inselstaat Curacao auch nicht.
Zwischen vier und neun Prozent trägt die Anlage in Curacao zum Bruttoinlandsprodukt bei. Während des Zweiten Weltkriegs war fast jeder vierte der damals 50 000 Inselbewohner wirtschaftlich von der Raffinerie abhängig. Heute arbeiten dort nur noch 1000 Leute.
Der Tourismus hat die Raffinerie längst als Zugpferd der Wirtschaft hinter sich gelassen. Im Jahr kommen rund eine halbe Million Touristen nur mit Kreuzfahrtschiffen. Air Berlin hat Mitte August angekündigt, die Insel vom Winterflugplan an zweimal wöchentlich direkt von Düsseldorf anzufliegen. Aber der Tourismus ist abhängig von intakter Natur. Schließlich kommen die Touristen vornehmlich zum Tauchen und Schnorcheln. Für das Ökosystem ist die Raffinerie nicht nur jetzt schon eine Belastung, sie ist eine Bedrohung.
"Wir sagen ja gar nicht: ihr müsst die Raffinerie schließen", sagt Peter van Leeuwen. Der Pharmazeut ist Vorsitzender der Umweltorganisation Stichting SMOC, die seit 15 Jahren auf die Missstände rund um die Raffinerie aufmerksam macht. Stichting SMOC- Mitglied Arjen Linthorst zeigt die grünen Ablagerungen, die vom Vanadiumpentoxid aus der Isla-Raffinerie stammen. "Aber die Luft auf Curacao muss atembar sein und die Gesetze müssen eingehalten werden", betont van Leeuwen. Eine Verbesserung könnte sofort eintreten, würden in der Raffinerie weniger schwefelhaltige Rohöle verarbeitet. "Das würde die Emissionen auf einen Schlag um 50 Prozent senken."
Die Insel-Regierung stecke in einem Dilemma, die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen gegeneinander abzuwägen, sagt der Minister für Innere Angelegenheiten, Ronald Plasterk. Nach einem Durchregieren, über die lokale Regierung hinweg, sieht es aber nicht aus: "Das ist Aufgabe der autonomen Regierung, da auch mit den Folgen einer Entscheidung lokal umgegangen werden muss", sagt Plasterk. Es wird wohl noch viele Nächte geben, an denen Flammen aus den Schloten der Raffinerie schlagen und es stinkt, als würden alte Autoreifen verbrannt. Zum Leidwesen der Bürger und der vielen Touristen auf Curacao. (dpa)