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Vierschanzentournee: Ex-Skisprung-Trainer Schuster spricht über die Chancen der Deutschen

Vierschanzentournee

Ex-Skisprung-Trainer Schuster spricht über die Chancen der Deutschen

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    Werner Schuster wird die Tournee nicht wie zuletzt in den Stadien miterleben, sondern vom Fernsehsessel aus. Seine Meinung hat dennoch Gewicht.
    Werner Schuster wird die Tournee nicht wie zuletzt in den Stadien miterleben, sondern vom Fernsehsessel aus. Seine Meinung hat dennoch Gewicht. Foto: Daniel Karmann, dpa (Archiv)

    Herr Schuster, Ihr letzter Arbeitstag als Skisprung-Bundestrainer liegt genau neun Monate zurück? Sie wollten nach elf Jahren mal raus aus dem Hamsterrad. Ist es denn gelungen?

    Werner Schuster: Ja schon. Natürlich mach’ ich immer ein bisschen was. Und wenn ich genau überlege: Ich mache mehr, als ich gedacht habe. Die Berater-Tätigkeit mit Gregor Schlierenzauer war so nicht geplant. Aber er liegt mir eben sehr am Herzen. Ich war sein Jugendtrainer und kann jetzt nicht sagen: Du Gregor, komm in drei Jahren wieder. Entweder man hilft ihm jetzt oder nicht.

    Bevor wir über Schlierenzauer und Sie reden: Was treiben Sie denn sonst so?

    Schuster: Ich würde mich im Moment als klassischen Selbstständigen bezeichnen, der halt gewisse kleinere Projekte macht. Im Sommer hatte ich noch eine beratende Tätigkeit beim DSV. Im Herbst hatte ich ein paar Vorträge für Führungskräfte gehalten. Das sind für mich willkommene Möglichkeiten, mal in ganz andere Themen einzutauchen.

    Und wie war’s?

    Schuster: Anfangs hat es mich schon ein bisschen gestresst. Vor 140 Top-Managern fragst du dich: Reichen meine Erfahrungen aus dem Sport überhaupt, um denen Tipps zu geben. Aber es gibt so viele Vergleichbarkeiten zwischen

    Könnte das Ihr neues Steckenpferd werden?

    Schuster: Ich war sehr glücklich, dass die Resonanz so positiv war. Von daher werde ich sicher noch den einen oder anderen Vortrag halten. Aber was genau die Zukunft bringt, weiß ich noch nicht. Dafür brauche ich noch mehr Zeit.

    Und privat? Sie wollten mehr Zeit mit Frau und Kindern verbringen.

    Schuster: Ja, ich wollte mich den Kindern widmen und meine Frau entlasten. Jetzt übernehme ich viele Taxifahrten. Außerdem will ich als Kind des Winters versuchen, künftig mit der Familie wieder etwas mehr Wintersport zu treiben.

    Wie war die Advents- und Weihnachtszeit diesmal?

    Schuster: Es ist nicht so, dass ich jetzt die Zeit im Überfluss habe. Viele Dinge, wie Arzt- oder Elternbesuche zum Beispiel, hab’ ich in der Vergangenheit aufgeschoben. Dazu bin ich jetzt gekommen. Weihnachten hatten wir ja zum Glück immer frei. Aber es war immer eine Hetze. Diesmal konnte ich entspannt zum Skifahren. Und ja, jeden Sonntag dabei zu sein, wenn eine Kerze mehr angezündet wurde, ist mir auch noch nie passiert. Heuer hab’ ich das geschafft.

    Geht’s Ihnen gut dabei?

    Schuster: Ja, diesen mentalen Rucksack ablegen zu können, ist sicher der größte Gewinn. Meine Position brachte immer viel Verantwortung mit sich - für das große System Skispringen in Deutschland, an dem so viele dranhängen: die Athleten, die Trainerkollegen, Journalisten, Fans, Wirtschaft, Sponsoren. Geistig war das eine hohe Beanspruchung. Das lässt einen schon sehr oft rastlos sein. Dann kannst du am Abend eben nicht einfach abschalten ...

    Jetzt gelingt das besser?

    Schuster: Ja klar, nun dürfen andere Verantwortung übernehmen.

    Am Samstag beginnt in Oberstdorf die Vierschanzentournee. War da der Druck nicht immer besonders hoch?

    Schuster: Ich habe es eher als Privileg gesehen, dass das Interesse an einer Veranstaltung so groß ist, obwohl diesen Sport nur ein Bruchteil der Bevölkerung selbst ausüben kann. International gesehen ist die Tournee ja schon eine tolle Veranstaltung. Eine Tradition mit großen Geschichten, großen Siegern. Immer wieder begehrenswert. Aber in Deutschland ist es dann nochmal größer als groß. Medial super inszeniert hat die Tournee einen extrem hohen Stellenwert. Alle wünschen sich einen deutschen Sieger.

    Was länger nicht mehr geklappt hat ...

    Schuster: Ja wir haben nicht immer gute Leistungen geliefert. Wir mussten lernen und schauen, dass sich die Sportler aufs Wesentliche konzentrieren können. Und siehe da: in den letzten Jahren wurden wir ein paar Mal Zweiter oder Dritter.

    Was sagen Sie als gebürtiger Kleinwalsertaler zum Nachbarort Oberstdorf, der ersten Tournee-Etappe?

    Schuster: Oberstdorf hat sich zu den absoluten Highlights im Weltcup-Zirkus entwickelt. Eine ähnliche Atmosphäre gibt es annähernd nur in Innsbruck oder Zakopane. Abendspringen, volles Stadion, da ist immer Gänsehaut-Stimmung im Kessel. Aber Oberstdorf ist auch verdammt selektiv, wenn am Abend vom Schattenberg der Wind runterkommt. Da fahren 15 bis 20 Leute mit berechtigten Siegchancen hin. Und zehn spuckt es gleich mal aus, weil sie von den äußeren Verhältnissen benachteiligt werden.

    Wer ist Ihr Tournee-Favorit? Sagen Sie bitte nicht der Japaner Kobayashi.

    Schuster: Er springt heuer nicht mehr in einer anderen Liga und musste lange um sein erstes Podium kämpfen. Seit Klingenthal ist er aber wieder in der Spur. Und erst recht nach dem Sieg in Engelberg würde ich ganz nüchtern sagen: Wer die Tournee gewinnen will, muss Kobayashi schlagen.

    Was trauen Sie Karl Geiger zu, dem derzeit besten Deutschen?

    Schuster: Wenn er am Anfang ein Quäntchen Glück hat, kann er wirklich ganz vorn mitspringen. Er macht derzeit einen sehr sortierten Eindruck. Seine letzten Ergebnisse spiegeln seine langsame, aber stete Weiterentwicklung wieder. Er ist der Springer, an dem sich das deutsche Team hochziehen kann.

    Aber bei Wettkämpfen an seiner Heimschanze hat er nie geglänzt...

    Schuster: Als Lokalmatador hat er keine leichte Aufgabe. Man muss Geduld haben. Er konnte sich aber auch in Oberstdorf von Jahr zu Jahr steigern und ist heuer meiner Meinung nach sehr nah dran. Karls schwierigste Schanze war ja lange nicht Oberstdorf, sondern Garmisch. Auch die hat er vor zwei Jahren mit Rang vier geknackt. Innsbruck kann er sowieso, da ist er ja Vize-Weltmeister geworden. Von daher ist er sicher einer der Springer, die ganz oben stehen können.

    Nun zu Gregor Schlierenzauer. Bringen Sie den zurück an die Weltspitze?

    Schuster: Ich glaube zumindest daran. Sonst hätte ich es ja nicht angepackt. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden. Er punktet nach einer sehr langen Durststrecke wieder regelmäßig. Aber so ganz stabil ist er noch nicht. Im Gesamtweltcup steht er momentan auf Rang 17.

    Sie kitzeln ihn manchmal mit der Geschichte von Golf-Profi Tiger Woods, der auch mal komplett von der Bildfläche verschwunden war.

    Schuster: Ja, da sehe ich viele Parallelen. Woods ist ein Beispiel, dass man erfolgreich zurückkehren kann. Auch wenn Gregor selbst merkt, dass er sich verbessert hat: Für so ein Rennpferd wie ihn geht es nie schnell genug. Ich muss ihn eher bremsen.

    Gibt es kein Kompetenzgerangel mit den Trainern in Österreich?

    Schuster: Nein. An den Wochenenden ist er mit dem ÖSV-Team und Cheftrainer Andi Felder unterwegs, ich bin dann am Dienstag oder Mittwoch beim Krafttraining dabei. Er erzählt mir ein bisschen was und ich gebe ihm ein Feedback. Im Sommer war ich Berater in Sachen Material, Athletik und Technik, jetzt sind es mehr psychologische Inhalte.

    Ist er ein schwieriger "Schüler"?

    Schuster: Er ist wahnsinnig anspruchsvoll. Ständig kommt er mit einer Frage oder Idee ums Eck, bei der du immer eine schlüssige Antwort parat haben musst. Nur wenn die geliefert wird, wächst nach und nach das Vertrauen. Aber das Schöne ist: Gregor ist nach wie vor besessen von dieser Sportart.

    Für den Deutschen Skiverband haben Sie sich mit dem Thema Verletzungen beschäftigt. Gibt’s erste Ergebnisse?

    Schuster: Ausgangspunkt waren die Kreuzbandrisse von Severin Freund, Carina Vogt und Andreas Wellinger. Ich habe die Entwicklung des Skispringens 40 Jahre aus verschiedensten Blickwinkeln miterlebt. Ich möchte, dass die Verletzungen nicht mehr vom Tisch gewischt werden. Es sind keine Einzelfälle mehr.

    Was sind die Ursachen?

    Schuster: Wir sollten vor drei Dingen die Augen nicht verschließen: Bei der Materialentwicklung wurde fast alles aufs Fliegen abgestimmt. Die Ski müssen flach gestellt werden. Schuhe, Keile und Bindungen sorgen für immer noch unnatürlichere Fußstellungen. Irgendwann muss der Athlet ja auch noch landen. Zum zweiten hat durch die hohe Wettkampf-Dichte eine hohe Spezifizierung stattgefunden und das Allgemein-Training gelitten. Und drittens: Die Schanzen werden so gebaut, dass möglichst viele an den K-Punkt heranspringen sollen, um möglichst attraktive Wettkämpfe zu haben. Das führt zu anderen Flugkurven.

    Was wäre eine Lösung? Der Verzicht auf die Telemark-Landung?

    Schuster: So weit möchte ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Ich will eine Debatte loslösen. Wir sollten jetzt verantwortungsvoll handeln und nicht warten, bis noch zehn Kreuzbänder reißen. In der Formel 1 wurde nach dem Tod von Ayrton Senna Grundlegendes im Regelwerk geändert. Die Anzahl der Todesfälle wurde so deutlich reduziert. Vorher hieß es immer nur: Mei, das ist halt ein Wilder-Hund-Sport.

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