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Nordische Ski-WM: Es ist Ski-WM und kaum einer darf hin: Eindrücke aus Oberstdorf

Nordische Ski-WM

Es ist Ski-WM und kaum einer darf hin: Eindrücke aus Oberstdorf

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    Sonnenbaden statt Skispringen-Gucken: Im Ortskern von Oberstdorf geht es während der WM beschaulich zu.
    Sonnenbaden statt Skispringen-Gucken: Im Ortskern von Oberstdorf geht es während der WM beschaulich zu. Foto: Ralf Lienert

    Sogar das Nebelhorn spielt mit und macht seinem Namen nicht alle Ehre. Kein Wölkchen ist zu sehen. Die verschneiten Spitzen von Fellhorn, Höfats oder Himmelschrofen glitzern unter einem stahlblauen Himmel in der Sonne. In Oberstdorf flanieren wenige Menschen durch fast leere Gassen. Im Kurpark treiben die tiefgrünen Spitzen der Tulpenblätter aus der Erde. Frühlingsstimmung im Bergparadies, fast schon kitschig. Und so gar nicht überlaufen. Lediglich vor dem Eiscafé Riviera neben der Kirche St. Johannes Baptist stehen Kunden Schlange. Sanddorn und Stracciatella kommen gut an. Plakate und einige über die Gassen gespannte Fähnchenleinen erinnern an die Nordische Ski-Weltmeisterschaft.

    Ski-WM: Die Geschäftsinhaber lassen sich nicht unterkriegen

    Die Fußgänger hinauf zur Schattenbergschanze gehen an meist geschlossen Geschäften vorbei, die sich Mühe geben, so etwas wie WM-Flair zu verbreiten. Auch das Bettengeschäft von Evelyn Högerle in der Nebelhornstraße darf nicht öffnen. Die Inhaberin lässt sich nicht unterkriegen. „Wir haben die Markisen ausgefahren und dekorieren einmal die Woche die Schaufenster neu“, erklärt die gebürtige Augsburgerin, die seit vielen Jahren in der Marktgemeinde lebt. „Wir wollen zeigen: Wir sind da.“

    Wo sonst bei Sportgroßveranstaltungen in Oberstdorf Tausende durch den Ort strömen, sind die Polizisten auf Streife derzeit häufig alleine unterwegs.
    Wo sonst bei Sportgroßveranstaltungen in Oberstdorf Tausende durch den Ort strömen, sind die Polizisten auf Streife derzeit häufig alleine unterwegs. Foto: Benedikt Siegert

    Die WM-Aufkleber auf dem Schaufenster und die braunen Einkaufstüten mit dem WM-Signet sollen weltmeisterliches Flair verbreiten. „Oberstdorf hat alles gegeben, was es kann, aber Stimmung kann nur mit Menschen entstehen“, sagt die Vorsitzende des Gewerbeverbandes „Oberstdorf Aktiv“, dem rund 100 Geschäfte vom Bäcker bis zum Buchladen angehören. Bei Bilderbuchwetter in den ersten WM-Tagen ist die Stimmung in den Gassen und auf den Plätzen seltsam gedämpft „Ich bin ein positiver Mensch. Aber trotzdem ist das alles befremdlich. Wer nicht gut gesattelt ist, dem macht das Angst“, sagt die Geschäftsfrau. Die längste Schlange bildet sich vor dem Covid-Testcenter im Eisstadion.

    In den Hotels herrscht bei der Ski-WM in Oberstdorf Stille

    Normalerweise brummt es in der Wintersporthochburg um diese Zeit. „Der Februar wäre auch ohne WM einer der umsatzstärksten Monate hier“, erzählt Peter Strauss. Sein Hotel „Löwen & Strauss“ mit rund 60 Betten war bis vor wenigen Wochen von einem skandinavischen Konsortium komplett ausgebucht. Sie haben längst abgesagt. Keine Finnen und Schweden, die ihre Sportler lautstark anfeuern und das für ihre Verhältnisse spottbillige bayerische Bier genießen. Stattdessen herrscht Stille im Hotel.

    Ein Journalist hat in der ersten Woche eingecheckt, am Freitag ist ein Pärchen hinzugekommen. „Es ist der ruhigste Februar meines Lebens“, erzählt der Sternekoch, der Hotel und Restaurant vor zehn Jahren umgebaut und zu einer Gourmet-Adresse entwickelt hat. Auch wenn es sich „kaum lohnt“, hat sein Betrieb geöffnet. Geschäftskunden dürfen übernachten, abends bietet das Restaurant Essen zum Mitnehmen an. „Seltsamerweise ist es in den Wochen vor der WM noch besser gelaufen als jetzt. Seit dieser Woche ist es bei mir mit dem Essensverkauf noch ruhiger geworden“, erzählt der 50-Jährige. „Aber wir wollen nach außen präsent sein, damit der Ort nicht wie eingeschlafen wirkt.“

    Ski-WM: 40 Millionen Euro kosteten die Modernisierungen

    Viele Jahre lang hat sich die Marktgemeinde mit 10.000 Einwohnern um die WM bemüht. Nach fünf Bewerbungen kam 2016 der Zuschlag. 40 Millionen verschlang die Modernisierung des Langlaufstadions und der Schanzen. Einen Großteil der Summe steuerten der Bund und der Freistaat Bayern bei. Dennoch, die mit rund 60 Millionen Euro verschuldete Gemeinde muss mit spitzem Bleistift rechnen. Der Umbau des Busbahnhofs ist abgeschlossen, die Nebelhornbahn wird neu gebaut und über eine neue Therme diskutiert der Gemeinderat leidenschaftlich. „Es hätte eine fantastische Kulisse sein können, wir haben uns alle auf die WM gefreut. Dann kam Corona, aber dafür kann keiner etwas“, sagt Strauss.

    Bilder von der Eröffnung einer WM ohne Zuschauer.
    Bilder von der Eröffnung einer WM ohne Zuschauer. Foto: Benedikt Siegert

    Bei der WM 2005 verwandelten über 350.000 Besucher den Ort in eine Partymeile. 2021 sind null Zuschauer erlaubt. Unter den 4500 WM-Teilnehmern machen Athleten und Betreuer (1650), freiwillige Helfer (1400) und Medien (800) die größten Gruppen aus.

    Nun gehen zumindest die TV-Bilder via Fernsehen als Werbung in die ganze Welt. Der Hotelier verteidigt die Titelkämpfe, denn „man muss Werbung nachhaltig machen“. Nicht alle sehen das so, erzählt Strauss: „Die wenigsten sagen etwas, aber der Ort ist gespalten.“

    Ski-WM in Oberstdorf: Es gibt aber auch Kritiker

    Einer der Kritiker, die kein Blatt vor den Mund genommen haben, ist Jürnjakob Reisigl. Der Hotelier bringt kein Verständnis für das Event auf und kritisierte gegenüber unserer Zeitung: „Diese WM passt nicht in diese Zeit. Das ist doch pervers, wenn alles stillsteht und wir hier ein Fest des Sports feiern wollen.“ Nun ja, von einem Fest ist im Zentrum wenig zu spüren. Am Freitag genießt eine Oberstdorferin an ihrem 85. Geburtstag Kaffee und Kuchen auf der Parkbank, während Helfer durch fast leere Straßen in Richtung Schattenbergstadion eilen. Evelyn Högerle macht das Beste aus der seltsamen Situation. „Wir haben uns die Eröffnungsfeier im Internet angeschaut und dazu eine Flasche aufgemacht. Und wir werden weiter die Wettkämpfe verfolgen.“ 24 Goldmedaillen werden bis zum 7. März vergeben.

    Im Möbelhaus Kerle steht mit Kreide per Hand auf eine Werbetafel hinter der Eingangstür geschrieben: „Wir lieben deutschlandweit.“ Eine rätselhafte Weltmeisterschaft.

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