Es ist eine Binsenweisheit des Sports, dass Rekorde dazu da sind, um gebrochen zu werden. Speziell jene, die den Zusatz „für die Ewigkeit“ tragen. In den USA sind sie diesbezüglich besonders engagiert und lieben den Superlativ fast genauso wie den zugehörigen Helden. Die Jagd auf Rekorde ist dort ein Ereignis, das mit großer Begeisterung (medial) begleitet wird. Und es tut sich Bemerkenswertes. In der NHL, der besten Eishockeyliga der Welt, thront mit Wayne Gretzky einer dieser ewigen Helden an der Spitze fast aller bedeutsamen Bestenlisten, so auch der Bedeutsamsten: 894 Tore hat der Kanadier in seiner NHL-Karriere erzielt. Keiner war erfolgreicher. Ein Rekord für die Ewigkeit? Dachten alle. Inzwischen allerdings hat sich ein gewisser Alexander Ovechkin an die Fersen Gretzkys geheftet. Mittlerweile steht er schon bei 809 Treffern und wirkt nicht so, als würde er trotz seiner 37 Jahre in Kürze in den Ruhestand gehen.
LeBron James wird bald den NBA-Rekord brechen
Ähnliches tut sich in der Basketball-Liga NBA. Dort ist damit zu rechnen, dass LeBron James bald schon an Kareem Abdul-Jabbar vorbei zieht. Letztgenannter hält (noch) den Punkte-Rekord und brachte es in den 1970ern und 1980ern auf 38.387 Zähler – kein Rekord für die Ewigkeit mehr. LeBron James steht schon bei 37.965 Punkten und trifft munter weiter.
Angesichts dieser Zahlenungetüme ging in den USA fast ein bisschen unter, was der Amerikanerin Mikaela Shiffrin gerade im alpinen Skizirkus gelungen ist. Dort hat die 27-Jährige am vergangenen Wochenende in Kranjska Gora mit ihrer Landsfrau Lindsey Vonn in Sachen Weltcupsiegen gleichgezogen. Derer 82 haben die beiden nun auf dem Konto und sind damit die erfolgreichsten Skifahrerinnen aller Zeiten. Bald schon wird Shiffrin dieses Prädikat exklusiv für sich beanspruchen können, denn es zweifelt niemand daran, dass sie in diesem Winter noch das ein oder andere Mal ganz oben auf dem Treppchen stehen wird.
Ingemar Stenmark brachte es einst auf 86 Weltcupsiege
Und damit rückt ein weiterer dieser vermeintlichen Ewigkeitsrekorde in greifbare Nähe. Der legendäre Ingemar Stenmark brachte es zwischen 1974 und 1989 auf 86 Weltcupsiege. Als Vonns malader Körper im Jahr 2018 streikte und keine weiteren Rennen mehr zuließ, schien die Bestmarke des Schweden erst einmal sicher. Dann aber setzte Shiffrin zur Jagd an.
Wie keine andere drückt sie dem Skizirkus ihren Stempel auf. Zwei Olympiasiege, sechs Weltmeistertitel und bislang vier große Kristallkugeln für den Triumph im Gesamtklassement hat Shiffrin schon in ihrer Vita stehen. Ihr überragendes skifahrerisches Talent war schon früh erkannt worden. In Shiffrin trifft dieses Talent auf extremen Trainingsfleiß. Eine seltene Kombination, die Weltklasseathleten hervorbringt. Mit 15 Jahren fuhr die US-Amerikanerin erstmals im Weltcup, mit 17 schaffte sie dort ihren ersten Sieg. Das war 2012 im norwegischen Are.
Lindsey Vonn zog das Blitzlichtgewitter auf sich
Zu dieser Zeit zog aber vor allem ihre sechs Jahre ältere Landsfrau Vonn das Licht der Öffentlichkeit auf sich. Sie liebte das Blitzlichtgewitter, schmückte Hochglanzmagazine, bekam Gastauftritte in Krimi-Serien und hatte eine viel beachtete Beziehung mit Golf-Superstar Tiger Woods. Vonn polarisierte. Shiffrin ist eine Art Gegenentwurf. Sie pflegt in den sozialen Medien das Image einer umgänglichen, skandalfreien Sportlerin. Liiert ist sie mit dem norwegischen Weltklasse-Skifahrer Aleksander Aamodt Kilde.
Als 2020 überraschend Shiffrins Vater starb, bedeutete das einen tiefen Einschnitt. „Es fühlte sich an, als würde man mir ein Messer ins Herz rammen“, sagte sie einmal. Shiffrin zog sich aus dem Weltcup zurück, ließ die Welt aber auf Instagram an ihrem Schmerz teilhaben. Längst ist sie wieder zurück und schickt sich an, die Grenzen des alpinen Skirennsports zu verschieben. Rekorde interessierten sie nicht, hatte sie im Vorfeld ihres 82. Weltcupsieges gesagt. Was man eben sagt, wenn man der Konkurrenz Gelassenheit demonstrieren will. Als der Sieg dann geschafft war, gewährte Shiffrin ehrlichere Einblicke in ihr Innenleben. „Ich war so nervös, dass ich sogar Flecken im Gesicht hatte. Es war ein Kampf“, sagte sie im Ziel.
Und jetzt? „So wie sie im Augenblick fährt, ist die 100 nicht unerreichbar für sie“, sagte der deutsche Alpin-Direktor Wolfgang Maier in Kranjska Gora. Keiner da, der dem Mann widersprechen wollen würde.