Italien gilt seit jeher als Sehnsuchtsziel der Deutschen. Zurecht. Nirgendwo sonst schmeckt der Espresso besser, ist der Himmel azurblauer und das Leben so süß. Für Robin Gosens, der in Nordrhein-Westfalen an der niederländischen Grenze aufwuchs, ist das Land längst zu einer Wahlheimat geworden, sechs Jahre spielte er für Atalanta Bergamo und Inter Mailand. Italien scheint aber auch das Land zu sein, in dem der Linksverteidiger zu seiner besten Form aufläuft. Seit seinem Wechsel von Union Berlin zum AC Florenz läuft es für den 30-Jährigen wieder. Gosens ist Stammspieler bei der Fiorentina, hat in zehn Spielen jeweils zwei Tore und Vorlagen gesammelt und berechtigte Chancen, für den DFB in der Nations League am Samstag gegen Bosnien-Herzegowina (20.45 Uhr, RTL) zum Einsatz zu kommen. Im Sommer sah das noch anders aus, bei der EM im eigenen Land war für Gosens kein Platz im DFB-Kader. In einer TV-Doku beschrieb Gosens seine Gefühlswelt nach dem entscheidenden Telefonat mit Bundestrainer Nagelsmann: „Ich habe für mich selber geweint, dann sofort meine Frau angerufen und gesagt: ‘Hey Schatz, ich habe es leider nicht geschafft.’ Dann haben wir zwei Minuten zusammen am Telefon geweint.“
Nagelmann habe ihm den Schritt mit der schwachen Saison mit Union Berlin erklärt. Nachvollziehbar war das, aber hart. Auch jetzt, ein halbes Jahr später, scheint Gosens die Erinnerung an die Situation noch zu schmerzen. „Da ist eine Welt zusammengebrochen“, erinnert sich der Außenbahnspieler an diesem Donnerstag in Frankfurt daran. „Maßlos enttäuscht“ sei er damals gewesen, schließlich war der Wechsel in die Bundesliga vor allem darauf gemünzt, für die Öffentlichkeit und vor allem den Bundestrainer sichtbarer zu sein als in der Serie A. Das Jahr in Berlin geriet aber in fast allen Bereichen zur Enttäuschung.
Robin Gosens' emotionale Achterbahn: Von Berlin zurück nach Italien
Und jetzt eben Italien. Das Land, in dem aus Gosens erst ein Nationalspieler wurde, in dem ihn Atalantas Trainer Gian Piero Gasperini drillte und das Beste aus ihm herauskitzelte. „Italien ist ein Land, das mir als Mensch sehr liegt, ich habe es lieben gelernt“, sagte er nun an diesem Herbsttag und bezieht sich nicht in erster Linie auf das Wetter. „Ich denke, dass ich fußballerisch ein Stück weit hierher gehöre. Hier werden meine Qualitäten geschätzt.“ Und ein im Verein funktionierender Gosens hat gute Chancen auf einen Platz in der deutschen Nationalelf.
Sein letztes Länderspiel von Anfang an machte Gosens vor über einem Jahr. Im Oktober vergangenen Jahres machte er die Reise des DFB nach Nordamerika mit, gab gegen Mexiko und die USA jeweils eine Vorlage. Nun geht es darum, diese neue Chance zu nutzen: „Die Nationalmannschaft wird für mich als Sportler immer das Größte sein, was man als Sportler erreichen kann. Jetzt will ich so lange dranbleiben, um mir den Lebenstraum von der WM 2026 zu erfüllen.“
Mit 18 Jahren jobbte Robin Gosens noch an einer Tankstelle
Gosens betont stets, dass er vieles an seinem jetzigen Leben noch mehr zu schätzen weiß als so mancher Mitspieler. Denn lange Zeit deutete bei ihm wenig bis nichts auf eine Karriere als Profi hin, erst recht nicht auf eine Laufbahn als Nationalspieler. Gosens spielte nie in einem Nachwuchsleistungszentrum, ein Probetraining bei Borussia Dortmund scheiterte krachend. Mit 18 spielte er noch in der Landesliga und jobbte an einer Tankstelle. Zum Vergleich: In diesem Alter hatte Kai Havertz bereits sein erstes Länderspiel absolviert. Über den Umweg bei kleineren niederländischen Vereinen landete er 2017 in Bergamo. Erst damals nahm seine Karriere an Fahrt auf.
Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass Gosens von der Verletzung von David Raum profitiert. Der Leipziger verletzte sich am Sprunggelenk und fällt erstmal aus. Gosens weiß das, wünscht seinem Mitspieler und Konkurrenten aber alles Gute: „Er wird wieder stark zurück kommen, da bin ich mir sicher. Ich muss eben meine Leistung im Verein bringen.“
Gosens ist kein typischer Profi. Als solcher präsentierte er sich auch an diesem Nachmittag auf der Bühne in der DFB-Zentrale nicht. Dankbar sei er, dass er neben der Profilaufbahn Psychologie studiert hat und gewisse Begleiterscheinungen des Geschäfts dadurch etwas anders einschätzen könne. Hasskommentare in sozialen Medien seien für ihn schlichtweg „Gift“ – aber eines, dem man sich nicht alleine stellen müsse. Gosens nimmt selbst regelmäßig psychologische Hilfe in Anspruch und wirbt dafür, psychische Erkrankungen ernst zu nehmen. Hinterfragen sollten sich auch jene, die diese Kommentare verfassen: „Wenn Scheiß-Kommentare abgesetzt werden, in denen einem der Tod gewünscht wird, weil man vielleicht ein schlechtes Spiel gemacht hat, dann macht das etwas mit einem Menschen. So kommen wir als Gesellschaft nicht weiter.“
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden