Mit dem 2:1-Sieg Portugals gegen Tschechien endete am Montagabend der erste Spieltag der Fußball-EM. Bedeutet: Jede Mannschaft war nun im Einsatz, jeder Spielort war mindestens einmal Gastgeber. Die ersten Trends dieser EM scheinen sich herauszubilden.
EM 2024: Keine Rudelbildungen und Weitschusstore
1. Dank neuer Regel gibt es keine Rudelbildung mehr: Etwa einen Monat vor EM-Start hatte die Uefa bekannt gegeben, dass sich im Umgang der Spieler mit den Schiedsrichter etwas grundlegend ändern soll: Künftig sollen nur noch die jeweiligen Spielführer mit den Referees Austausch halten. Uefa-Schiedsrichterchef Roberto Rosetti hatte das wie folgt erläutert: "Die Captains sind dafür verantwortlich, dass ihre Mitspieler den Schiedsrichter respektieren, Abstand halten und ihn nicht bedrängen."
Damit soll verhindert werden, dass mehrere Spieler nach einer strittigen Entscheidung den Unparteiischen belagern – laut Rosetti "ein Unding". Mit der neuen Regel soll ein vertrauensvollerer Umgang ermöglicht werden: "Die Spielleiter werden dazu ermutigt, sich offen mit den Kapitänen auszutauschen." Eine Regel, die sogar von vielen Trainern und Spielern begrüßt wurde, etwa von Bundestrainer Julian Nagelsmann. Der befand: "Im Fußball wird zu viel gequatscht, auch von mir." Nach den ersten Spielen lässt sich bilanzieren: Selten kam eine Regeländerung so gut an. Rudelbildungen gehören – Stand jetzt – der Vergangenheit an.
2. Weitschusstore: Dieses Turnier wird aller Voraussicht nach nicht als Hochphase des Tikitaka-Kurzpassspiels in die Geschichtsbücher eingehen. Klar gibt es schön herausgespielte Treffer, wie etwa das deutsche 2:0 gegen Schottland: Steckpass Gündogan auf Havertz, der bedient im Strafraum Musiala – Tor. Sehr viel öfter sind hingegen Treffer nach dem Muster des deutschen 1:0 gegen die Schotten zu sehen, als Florian Wirtz von der Strafraumkante abzog. Weitschusstreffer sind schwer in Mode bei dieser EM. Beim türkischen 3:1 gegen Georgien etwa fielen alle drei Treffer der Türken von außerhalb des Strafraums. Insgesamt, hat das Portal The Overlap errechnet, waren von den 34 Treffern des ersten Spielstags elf Weitschusstore – in zwölf Partien, wohlgemerkt. Das entspricht einer Quote von 32 Prozent. Nie zuvor war dieser Prozentsatz bei einer EM so hoch. Zum Vergleich: Bei der Europameisterschaft 2021 fielen in 51 Spielen nur 18 Tore von außerhalb des Strafraums. Kleiner Vorteil für die Zuschauer: Meist sind Distanztore auch recht schön anzusehen. Einer der Gründe für den Weitschusstrend droht indes auch zu einem Muster zu werden: Es gab schon einige Wackler und Torwartfehler zu sehen, etwa von Schottlands Angus Gunn oder vom ukrainischen Schlussmann Andriy Lunin.
3. Es ist die EM der Talente: Klar dominieren Superstars wie der 25-jährige Kylian Mbappé, der 34-jährige Toni Kroos oder der 39-jährige Cristiano Ronaldo die Schlagzeilen. Selten waren bei einem Turnier aber derart viele extrem junge und extrem vielversprechende Talente zu sehen. Der Spanier Lamine Yamal etwa gilt als kommender Superstar – und wurde beim Sieg gegen Kroatien mit 16 Jahren nicht nur zum jüngsten EM-Spieler aller Zeiten, sondern gab auch noch eine Vorlage beim 3:0-Erfolg. Bei den Türken schoss Real-Spieler Arda Güler ein Traumtor gegen Georgien. Er ist nur 19 Jahre alt. Da wirken der Spanier Pedri vom FC Barcelona, der Leipziger Xavi Simons bei den Niederlanden oder das deutsche Mittelfeld-Duo Jamal Musiala und Wirtz mit ihren 21 Jahren fast schon ein bisschen alt. Englands Jude Bellingham kommt zwar schon reichlich weltfußballerisch daher, ist aber auch erst 20 Jahre alt.
Gästefans bringen gute Laune zur EM mit – trotz Bahnchaos
4. Multipler Heimvorteil: Klar ist es erst mal eine Heim-EM für die deutsche Mannschaft. Wer aber die frenetische Unterstützung für Albanien und die Türkei in Dortmund, die Niederländer in Hamburg oder die Österreicher in Düsseldorf gesehen hat, muss zum Schluss kommen: Es scheint mehrere Heimteams bei dieser EM zu geben. Offenbar ist die Lust auf das erste Turnier seit sechs Jahren, das nicht im Schatten von Corona oder im ungeliebten Wüstenstaat Katar stattfindet, bei vielen Anhängergruppen so groß, dass sie – wie die Österreicher – so waghalsig sind, mit der Deutschen Bahn anzureisen. Viele türkische Anhänger dürften für das Spiel im Westfalenstadion ohnehin keine große Anreise gehabt haben. Während die deutsche Euphorie noch etwas zu brauchen scheint, um sich zu entwickeln, bringen die Gästefans die gute Laune mit.
5. Bahnchaos: Das ist ein Trend, auf den jeder gerne verzichtet hätte – der sich aber zum Dauerthema zu entwickeln scheint. Bei den ausländischen Schlachtenbummlern hinterlässt die Deutsche Bahn einen verheerenden Eindruck. Speziell die um 21 Uhr beginnenden Abendspiele werden für manche Fangruppen, die danach noch längere Wege zurücklegen müssen, zum Fiasko. Das war so beim Spiel der Engländer im (ohnehin offenbar nicht innig geliebten) Gelsenkirchen, als viele in ihre Hotels nach Köln oder Düsseldorf wollten. Und dieser Unmut steigerte sich beim Auftritt der Österreicher gegen Frankreich noch. Viele Fans der Rangnick-Truppe waren erst am Spieltag aus Österreich nach Düsseldorf angereist und erst mal am Passauer Bahnhof gestrandet. Auch zurück ging lange Zeit nichts mehr, weil Züge sich verspätet hatten oder ganz ausgefallen waren. Zumindest auf dieses Problem waren die Schotten eingestellt und hatten ihre Fans im Vorfeld des Turniers vor der Bahn gewarnt. Der Bahn droht aber im Laufe des Turniers ein veritabler und europaweiter Imageschaden zu entstehen.