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Vor 25 Jahren Sieg in Wimbledon: Boris Beckers ganz persönliche Mondlandung

Vor 25 Jahren Sieg in Wimbledon

Boris Beckers ganz persönliche Mondlandung

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    ARCHIV - Der "Becker-Hecht": Der 17jährige Boris Becker hechtet während des Turniers in Wimbledon (Archivfoto vom 30.06.1985) hinter einem Ball her. Ein Nicken und ein leises Lächeln: So verfolgt Boris Becker in einem Werbespot den Moment, der sein Leben und die deutsche Tennis-Welt für immer veränderte. «Einerseits kommt's mir vor wie gestern. Andererseits habe ich das Gefühl, dass es 100 Jahre her ist», meint Becker über jenen 7. Juli 1985, an dem er Sportgeschichte schrieb. Foto: Schrader +++(c) dpa - Bildfunk+++
    ARCHIV - Der "Becker-Hecht": Der 17jährige Boris Becker hechtet während des Turniers in Wimbledon (Archivfoto vom 30.06.1985) hinter einem Ball her. Ein Nicken und ein leises Lächeln: So verfolgt Boris Becker in einem Werbespot den Moment, der sein Leben und die deutsche Tennis-Welt für immer veränderte. «Einerseits kommt's mir vor wie gestern. Andererseits habe ich das Gefühl, dass es 100 Jahre her ist», meint Becker über jenen 7. Juli 1985, an dem er Sportgeschichte schrieb. Foto: Schrader +++(c) dpa - Bildfunk+++ Foto: hk

    Es ist Sonntag, der 7. Juli 1985. In dem Londoner Vorort Wimbledon wird Tennis auf Rasen gespielt, wie jedes Jahr im Sommer. Ein junger Mann mit rotblonden Haaren wirft den Ball nach oben. Dann drischt er ihn mit seinem Schläger über das Netz. Er drischt ihn mit einer solchen Heftigkeit, dass der Südafrikaner Kevin Curren dem Anflug nicht gewachsen ist. Den Ball kann er nur noch auf die Tribüne befördern. Es ist genau 17.26 Uhr. Es steht: 6:3, 6:7, 7:6, 6:4. Spiel, Satz, Sieg. Der junge Mann reißt die Arme nach oben, lässt als Zeichen der Erleichterung ein deutliches "Yeeeaah" hören. Das Publikum ist hingerissen. Der junge Mann lässt es auf sich wirken. Er heißt Boris Becker.

    Die Tenniswelt hat ihre Sensation. Dieser 17-Jährige stand auf keiner Favoritenliste. Und er gewinnt das wichtigste Turnier der Welt. Dieses Kunststück ist zuvor noch nie einem deutschen Spieler gelungen.

    Mit einem Schlag wird das kleine badische Leimen als die Keimzelle eines nationalen Sportwunders bekannt. "Die Generation des Baby-Booms hat ein Ass auf den Tisch gelegt", titelt eine Zeitung euphorisch. "Das war meine persönliche Mondlandung", wird Boris Becker später in einem Werbespot sagen.

    Es war ein kleiner Schritt für einen Tennisprofi, aber ein riesiger für die deutsche Branche der Schlagfertigen. "Vielleicht war er zu jung, um zu wissen, dass er zu jung war, um Wimbledon zu gewinnen", analysiert die Washington Post Beckers unglaublichen Triumph.

    Dessen Folgen waren einschneidend und in einem Punkt fatal: "Ich habe diesen frühen Sieg manchmal als Fluch empfunden, plötzlich war ich Legende und Denkmal zugleich", sagt Becker. Er ist heute 42 Jahre alt. Sein erster Wimbledon-Sieg liegt inzwischen ein Vierteljahrhundert zurück.

    Seit jenem Tag 1985 ist er in Deutschland für über ein Jahrzehnt die Kultfigur der Fitnessgeneration: 50 Jahre zuvor hatte Gottfried von Cramm als Tennis-Edelmann den damals leicht versnobten Sport hierzulande bekannt gemacht. Der "Rote Baron" Becker macht das Geschäft mit dem gelben Filzball zu einer Spielwiese der Gefühle. Eine andere Tenniszeit ist in

    Die Schiedsrichter haben es schwer, für Ordnung auf dem Platz und im Stadion zu sorgen, wenn Becker spielt. Der Jungprofi wird zur Pop-Ikone. Boris hechtet entgegen jeder Fach-Etikette wie ein wild gewordener Volleyballer nach scheinbar unerreichbaren Bällen. Er wird dafür gefeiert, wenn er nach Siegen verdreckt wie ein Lausbub von dannen zieht. Die Becker-Faust wird das Markenzeichen seines bedingungslosen Erfolgswillens. Den demonstriert er besonders nachhaltig mit seinem Sieg im legendären Sechs-Stunden-Davis-Cup-Match gegen den Amerikaner John McEnroe. Die Nation fiebert 1987 vor dem Fernseher mit, und die Tennisvereine werden von einer Eintrittswelle neuer Mitglieder überrollt. Viele wollen nachempfinden, wie sich Netzattacken anfühlen.

    Fast alle lieben Boris - trotz seiner zunächst gewöhnungsbedürftigen Ansprachen samt inflationärem "Ääähh"-Anhängsel. Sein Clan wird berühmt: Mutter Elvira und Vater Karl-Heinz sitzen die Daumen drückend auf der Tribüne neben dem Trainer Günther Bosch und dem schnauzbärtigen Manager Ion Tiriac. Der will auf den ersten Blick so gar nicht in die heile Leimener Welt passen. Tiriac wirkt eher wie ein rumänischer Gebrauchtwagenhändler. Er hat aber früh erkannt, welch üppige Einnahmen sich mit der Ausstrahlung des jungen Profis erzielen lassen.

    Becker ist im Profizirkus das Energiebündel. Gerade im Vergleich zum schweigsamen Schweden Stefan Edberg, zum unterkühlten Ivan Lendl aus Amerika oder zum österreichischen Sandplatzwühler Thomas Muster. Der stöhnt sich von Meisterschaft zu Meisterschaft. Becker hasst Tennis auf Asche. Es passt nicht zu seinem Spiel und seinem Körper. Dementsprechend laut und unbeherrscht kann er dabei werden, wenn sein spektakuläres Offensiv-Steffi Graf. Die sammelt ihre Titel wie eine perfekt funktionierende menschliche Ballmaschine ein.

    B.B. kann auch mit Siegen dienen. Der Mann mit dem Künstlernamen "Bum-Bum-Boris" gewinnt 49 Turniere und rund 25 Millionen US-Dollar Preisgeld, dazu den Daviscup und olympisches Gold. Nach drei Wimbledonsiegen (1985, 1986, 1989) nennt er die Tennisanlage auf der englischen Insel liebevoll sein Wohnzimmer. Es ist nur konsequent, dass er dort 1999 seinen Abschied vom großen Sport gibt. Noch heute hat er in London einen Wohnsitz.

    Aber nicht nur in England, sondern auch in der Schweiz, auf Mallorca. Becker trägt inzwischen statt Tennisklamotten vor allem feinen Zwirn und der Centre-Court des Lebens wird zur Bühne seiner persönlichen Seifenoper, mit Steuerhinterziehung und reichlich Frauengeschichten: Die Scheidung von Erst-Ehefrau Barbara wird live im Fernsehen übertragen. Eine weitreichende Mini-Affäre mit einer Dame namens Angela Ermakova (Becker: "Nicht in der Besenkammer") und der Anlauf zur Hochzeit mit Zweit-Ehefrau Lilly sind ganze Beschäftigungsprogramme für Boulevard-Magazine weltweit.

    Deshalb nimmt die deutsche Öffentlichkeit auch weniger überrascht als genervt zur Kenntnis, dass der Termin der Trauung 2009 bei Thomas Gottschalk publikumswirksam in Wetten, dass . . .? verkündet wird. Becker schreckt dabei auch nicht vor einem Sprung durch ein brennendes Herz zurück.

    Die Feierlichkeiten zur Hochzeit im noblen St. Moritz ähneln einer Marketing-Mustermesse. Denn der Wimbledonsieger im Ruhestand versteht sich als Geschäftsmann - und verkauft in erster Linie den eigenen Namen und seine großartige Vergangenheit.

    Becker sieht sich aber auch als Familienmensch. Er sagt: "Ich habe alles probiert und entschieden, dass es mir mit einer festen Partnerin besser geht." Vier Sprösslinge hat er von drei Frauen - es leuchtet ein, dass Familienmensch Becker auch einen Ratgeber für Kindererziehung veröffentlicht hat. Interessenten am Becker'schen "Lifestyle" versorgt er seit längerem schon auf einem eigenen Video-Kanal im Internet mit neuesten Nachrichten aus seiner Umgebung. Bei Boris-Becker.TV erfährt der Besucher, wie die Geburt des jüngsten Sohnes Amadeus Benedict Edley Luis verlaufen ist, aber auch, dass Sportfachmann Becker fälschlicherweise die Brasilianer für den kommenden Fußball-Weltmeister hielt.

    Den Kickern fühlt er sich besonders verbunden. Selbst eine Managerkarriere bei einem Verein könnte er sich vorstellen. Beim Lieblingsklub FC Bayern München saß er schon neun Jahre im Verwaltungsbeirat, ließ sich dann aber aus Zeitgründen 2009 nicht mehr aufstellen.

    Becker ist immer noch gefragt: unter anderem als BBC-Tennis-Experte, als Mitwirkender einer Comedyshow im englischen Fernsehen und eben mit seinen Lebensbeichten in deutschen Talkshows. Als das ZDF 2003 per Publikumsbefragung nach den größten Deutschen ("Unsere Besten") fahndet, landet Becker auf Rang 35 - noch vor Franz Beckenbauer, aber hinter Steffi Graf.

    Der ehemalige Profi macht den Eindruck, dass er im TV-Studio lieber häufiger fragen als antworten würde. Noch fehlt ihm dafür allerdings die geeignete Plattform. Das DSF-Format "Becker 1:1" wurde jedenfalls schnell wieder abgesetzt. Der Unternehmer Becker muss sich deshalb notgedrungen mit anderen Geschäften befassen. Ihm gehören Autohäuser, er hat das Nutella-Messer erfunden, ist als Werbefigur bei Pokerturnieren im Einsatz. Er arbeitet auch für den guten Zweck, etwa in der Cleven-Becker-Stiftung und der Laureus Sports for Good Foundation.

    Sportsmann Becker bleibt unruhig und auf Achse. Und es bleibt deshalb ein Rätsel, warum ausgerechnet eine Meeresschnecke nach ihm benannt wurde. Sie heißt "Bufonaria borisbeckeri". Von Peter Deininger

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