Herr Schmitt, Herr Hannawald, neulich standen sie bei der Promi-Ausgabe von Ninja Warrior vor der Kamera – als sportliche Rivalen, die sich bestens verstehen. Wie ist Ihr Verhältnis wirklich?
Martin Schmitt: Kumpelhaft – oder?
Sven Hannawald: Ich würde es sogar freundschaftlich nennen (lächelt).
Schmitt: Ja, passt.
Hannawald: Unsere Bindung ist sehr eng, weil wir schon, noch ehe es mit der Karriere richtig losging, viel Zeit miteinander verbracht haben. Zugleich war es immer so, dass der eine besser sein wollte als der andere. Dieser Konkurrenzkampf, den wir nie ins Private übertragen haben, hat uns am Ende beide zu erfolgreichen Sportlern gemacht.
Und zu erstaunlichen Ninja-Athleten.
Schmitt: Als Sven am Mount Midoriyama am Seil bis ganz nach oben geklettert war, musste ich natürlich nachziehen.
Hannawald: Klar. Zweiter zu sein, ist komisch. Immer noch.
Schöne Überleitung. Sie haben Geschichte geschrieben, weil sie als Erster die Tournee mit Siegen in allen vier Springen gewonnen haben – das ist nun 20 Jahre her. Welche Erinnerungen haben Sie an diese verrückten zehn Tage?
Hannawald: Zuerst kommt das Bild hoch, als der damalige Bundestrainer Reinhard Heß in Bischofshofen vor mir auf die Knie ging und seinen Hut gezogen hat. Das war schon bewegend. Und dann natürlich die Szene, als ich mit der Deutschland-Fahne in der Hand auf der Schulter von ihm und Co-Trainer Wolfgang Steiert saß und von den Massen gefeiert wurde.
War das der bewegendste Moment Ihrer Karriere?
Hannawald: Auf jeden Fall. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass dieser Sieg über allem steht, weil mich die Tournee schon als kleiner Junge geprägt hat. Ich bin stolz darauf, in einem starken Team Olympiasieger und Weltmeister geworden zu sein, aber das waren alles Erfolge an einem Tag. Dazu gehört immer auch Glück. Zehn Tage Glück? Gibt es nicht! Folglich gibt es auch keinen glücklichen Tournee-Sieg. Und aus diesem Grund für mich persönlich keinen größeren Erfolg.
Was war damals der entscheidende Faktor für diese historische Leistung?
Hannawald: Es hat einfach alles gepasst. Das Paket, das ich für mich geschnürt hatte. Aber auch alles andere – das Wetter, der Wind, der große Favorit Adam Malysz, der nicht optimal gesprungen ist. Da kam sehr viel zusammen.
Wie haben Sie den Triumph Ihres Teamkollegen erlebt, Herr Schmitt?
Schmitt: Er war total fokussiert, das ist schon beeindruckend gewesen. Es gab damals ja eine enorme deutsch-österreichische Rivalität, und die Österreicher waren sich sicher, dass sie ihn nach seinen beiden Siegen in Oberstdorf und Garmisch auf der neuen Schanze in Innsbruck stoppen werden. Doch dann hat Sven am Bergisel mit seinem Schanzenrekord gleich eine richtige Ansage gemacht. Da ist jedem die Spucke weggeblieben. Er war so im Flow drin, dass ihm absolut Außergewöhnliches gelungen ist. Da kam keiner mit. Das war grandios.
Auch mental.
Schmitt: Absolut. Natürlich haben ihn die drei Siege enorm gepusht. Aber gleichzeitig war der Druck vor dem vierten Springen gewaltig. Hätte er zu viel nachgedacht und zu viel kontrollieren wollen, wäre es nicht gegangen. Einfach laufen lassen konnte er die Sache aber auch nicht.
Wie hat er dieses Dilemma gelöst?
Schmitt: Er war wahnsinnig gut darin, sich vom Umfeld nicht ablenken zu lassen, Störfaktoren auszuschalten, bei sich zu bleiben. Und er hat bei jeder Gelegenheit geschlafen – im Bus, im Auto, auf dem Zimmer.
Hannawald: Es war von Tag zu Tag schwieriger, irgendwie zur Ruhe zu kommen. Ich lag oft um 2 Uhr nachts wach im Bett und hätte eigentlich schon frühstücken gehen können. Da musste ich jede Chance zur Regeneration nutzen, die sich bot. Sonst wäre nichts mehr gegangen.
Am Ende stand der ganz große Erfolg. Wie haben die Teamkollegen darauf geschaut – mit Neid?
Schmitt: Mit Bewunderung! Natürlich hätte jeder von uns die Tournee gerne gewonnen, am liebsten mit vier Siegen. Aber jeder wusste auch, wie schwer das ist, deshalb sind wir alle schon beim Zuschauen nervös geworden. Wir haben bei Svens Sprüngen mitgefiebert. Es war krass, was er geleistet hat. Das war ein Meisterstück.
Mit Folgen. Wo immer die deutsche Skisprung-Boygroup auftauchte, gab es kreischende Mädels, manche hielten Schilder mit eindeutigen Avancen hoch. Wie wild waren die Zeiten damals?
Hannawald: Die Alimente hätten teuer werden können (lacht). Man hört ja, dass Musiker derartige Angebote öfter mal annehmen würden. Bei uns war das anders. Ich habe die Unterstützung, die super Stimmung, das Rambazamba als schön empfunden. Aber ich habe nie geschaut, wie die Mädels mit den Schildern aussehen. Anders als Martin (lacht laut).
Schmitt: Ich weiß nicht mehr, wer genauer hingeguckt hat. Im Ernst: Es war sicher eine verrückte Zeit, wir haben uns über die Begeisterung gefreut, obwohl sie uns im Privatleben natürlich eingeschränkt hat. Dazu gehörte, die Fans, die uns zu nahe kamen, auch mal enttäuschen zu müssen.
In den vergangenen 20 Jahren haben deutsche Skispringer alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt – nur nicht die Vierschanzentournee. Woran liegt das?
Hannawald: Ein Sieg bei der Tournee ist eben nicht planbar. Der frühere Bundestrainer Werner Schuster hat das mal auf ganz akribische Art und Weise versucht.
Wie?
Hannawald: Er ist mit seinen Springern die Tournee-Orte im Sommer abgefahren, um entsprechende Reize für den Körper zu setzen. Sie haben den Rhythmus Hotel, Training, Wettkampf, Hotel simuliert. Das war schön und gut, aber der Hauptreiz bei der Tournee spielt sich im Kopf ab – und das kann man im Sommer nicht üben.
Was aber noch keine Erklärung ist, dass seit 20 Jahren kein Deutscher mehr bei der Tournee den goldenen Adler geholt hat.
Schmitt: Die Generation nach uns hat extrem viel gewonnen, jetzt hat sie das Problem, dem Tournee-Sieg schon sehr lange hinterherzulaufen. Deshalb wirkt die Aufgabe nun umso größer – auch für den Einzelnen, der die Chance hat. Aber irgendwann reißt jede Serie.
Vielleicht ja Keine Zuschauer und viel mehr Geld: Das ist neu bei der Vierschanzen-TourneeSkispringenin den nächsten Tagen?
Schmitt: Möglich. Dazu braucht es Konstanz und Dominanz über vier Springen. Eine solche Serie im Weltcup hatten aus der jetzigen Generation nur Severin Freund und jetzt auch Karl Geiger.
Hannawald: Ich hätte mich jedenfalls schon vor fünf Jahren oder zehn Jahren über einen Nachfolger gefreut. Umso mehr hoffe ich, dass es diesmal klappt. Zeit wäre es.
Karl Geiger ist derzeit die Nummer eins Weltcup und einer der Tournee-Favoriten. Was zeichnet ihn aus?
Hannawald: Mir imponiert, dass er sich nie aus der Ruhe bringen lässt, selbst dann nicht, wenn der erste Trainingssprung auf einer Schanze mal nicht funktioniert. Er ruft sein Können trotzdem über ein gesamtes Wochenende ab. Bei Markus Eisenbichler ist das anders. Er arbeitet zwar ebenfalls hart, sagt dann aber auch mal, dass die Schanze nicht mit ihm spricht. Vielleicht hört er auch nicht richtig zu, ehe er den Sprung in den zweiten Durchgang verpasst. Karl Geiger ist dagegen zuletzt noch stabiler, konstanter, selbstbewusster geworden. Allerdings ist Ryoyu Kobayashi der effektivere Springer – und ebenfalls in Topform.
Schmitt: Mein Favorit ist Ryoyu Kobayashi. Aber Karl Geiger ist natürlich klar der stärkste, gefestigste deutsche Springer. Er hat die Erfahrung gemacht, dass er Springen mit seiner Dynamik aus eigener Kraft gewinnen kann, ist brutal stark und mit Kobayashi auf Augenhöhe. Das wird ein spannendes Battle. Und am Ende siegt dann vielleicht Stefan Kraft (lächelt).
Geiger, Eisenbichler, Wellinger, dazu Severin Freund, Constantin Schmid, Stephan Leyhe oder Pius Paschke – vor dieser Saison ist, auch mit Blick auf Olympia in Peking, viel über die hohe Qualität im deutschen Team gesprochen worden. Ist das die beste deutsche Mannschaft, die es je gab?
Schmitt: Auch wir hatten damals ein superstarkes Team. Aber klar: Geiger ist ein absoluter Siegspringer, Eisenbichler ist mehrfacher Weltmeister, Wellinger Olympiasieger, Freund alles zusammen und dazu noch Gesamtweltcupsieger – diese Breite hat es noch nie gegeben.
Hannawald: Zu unserer Zeit gab es nie vier oder fünf Deutsche, die im Weltcup in die Top Ten hätten springen können. Maximal zwei. Diese geballte Stärke ist super. Von der Kompaktheit her gab es definitiv nie ein besseres deutsches Team.
Sie begleiten die Tournee als TV-Kommentatoren. Gibt es zwischen Ihnen nun ein Duell um die beste Quote?
Schmitt: Beim reinen Sportsender Eurosport hätte ich da wahrscheinlich keinen leichten Stand.
Hannawald: Es geht uns beiden darum, unseren Sport bestmöglich zu präsentieren und zu transportieren. Da hilft es natürlich, dass wir uns in die Springer gut reinfühlen können. Mit unseren Erfahrungen und unserem Wissen können wir dann oft eins und eins gut zusammenzählen.
Schmitt: Über meine Tätigkeit als Talentscout beim Deutschen Skiverband bin ich schon noch nah dran. Aber angesichts der Dynamik im Weltcup muss ich mich auf so ein Großereignis schon immer noch intensiv vorbereiten.
Auch zwischen den Feiertagen werden noch Geschenke ausgetauscht. Was würden Sie noch besorgen, wenn Sie erfahren, dass Ihr Kumpel zur Tournee ein Päckchen für Sie mitbringt…
Hannawald: (überlegt) Einen ultraschnellen Internetzugang. Dann kann Martin noch schneller seine ganzen Skisprungstatistiken googeln und mir zuflüstern …
Schmitt: Eine Klimmzugstange. Dann kann Sven schon mal ein bisschen fürs nächste Ninja Warrior trainieren …