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Verlieren im Sport: Die Schönheit des Scheiterns: Warum Niederlagen interessanter als Siege sind

Verlieren im Sport

Die Schönheit des Scheiterns: Warum Niederlagen interessanter als Siege sind

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    Ein Mann als Leidensfigur: Wenige mussten so oft in großen Spielen so leiden wie Michael Ballack. Hier weiß er, dass es auch mit dem FC Chelsea nichts wird mit der Champions League. Ein schwacher Trost für ihn: Aus literarischer Sicht geben seine Niederlagen mehr her als seine Siege.
    Ein Mann als Leidensfigur: Wenige mussten so oft in großen Spielen so leiden wie Michael Ballack. Hier weiß er, dass es auch mit dem FC Chelsea nichts wird mit der Champions League. Ein schwacher Trost für ihn: Aus literarischer Sicht geben seine Niederlagen mehr her als seine Siege. Foto: Matthias Hangst, Witters

    Kurzes Gedankenexperiment zu Beginn dieses Textes. Welches Spiel ist Ihnen besser in Erinnerung geblieben – die dramatische Niederlage des FC Bayern im Finale der Champions League 1999 oder ein beliebiges Spiel aus einer der vergangenen elf Meistersaisons? Zugegeben: Das ist ein bisschen ungerecht. Auf der einen Seite das maximale Drama, auf der anderen Seite meist eine – mit Ausnahme der vergangenen Saison – recht klare Angelegenheit. Und natürlich freuen sich Fans über die Siege und Erfolge ihrer Mannschaft, aber sind es nicht gerade die bitteren Niederlagen, die eher haften bleiben als die glanzvollen Siege? Definitiv ist das so – sagt einer, der es wissen muss. Professor Dr. Mathias Mayer ist Lehrstuhlinhaber der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg und erklärt, warum es spannender ist, von Rückschlägen als von Erfolgen zu erzählen. 

    Titel und Tore, so der 65-Jährige, sind natürlich für die Fans und die Sportler selbst toll, aber aus rein literarischer Sicht eben sterbenslangweilig. "Siege sind zu einem gewissen Teil langweilig: Sie sind nicht so ergiebig, bieten nicht die Tiefe wie die Rückschläge." Ein Sieg, ein Erfolg bildet deswegen meistens auch den Abschluss einer Erzählung – das viel zitierte Happy End. Danach bleibt Leere, die Geschichte wirkt auserzählt. "Der Vorhang fällt in einer Komödie, wenn das Liebespaar sich gefunden hat. Von einer glücklichen Geschichte lässt sich weniger erzählen. Der Sieg gibt weniger Fantasie frei, er hat etwas Abgeschlossenes, Endgültiges."

    Michael Ballack
    Michael Ballack Foto: Matthew Ashton, Witters

    Michael Ballack blieb bis zuletzt der Unvollendete

    Über Michael Ballack beispielsweise lässt sich viel erzählen. Der Ex-Spieler von Bayern München und Chelsea London sah aus wie der geborene Held, war teilweise der einzige deutsche Feldspieler im Weltklasse-Format, gewann fünf deutsche Meistertitel – und doch sind es bei ihm vor allem die bitteren Rückschläge, die in Erinnerung bleiben. Ballack brachte es 2002 fertig, vier zweite Plätze zu belegen: Mit seinem damaligen Klub Leverkusen wurde er Vizemeister, verlor die Finals der Champions League und im DFB-Pokal. Mit der Nationalmannschaft wurde er Vizeweltmeister. Und wie um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, musste Ballack im WM-Endspiel zusehen: Er hatte einen Fehler seines Mitspielers Carsten Ramelow ausgebügelt, sah Gelb und war gesperrt. Insgesamt blieb Ballack der Unvollendete: Mit dem FC Chelsea scheiterte er 2008 erst im Elfmeterschießen gegen Manchester United. Als der entscheidende Ball über die Latte segelt, sinkt Ballack im Kreis seiner Mitspieler vor Enttäuschung auf dem Rasen zusammen. Es ist das Bild des Spiels. Vielleicht das Bild der Karriere Ballacks?

    Die ganz großen Titel hat Ballack nicht gewonnen, die ganz großen Herz-Schmerz-Storys hat er hingegen schon produziert. Es gibt eben Geschichten, die nicht aufgehen, die einen Widerspruch in sich tragen, so Mayer. Und selbst ein Sieg wird erst durch die vorherigen Rückschläge so richtig wertvoll. "Erst das Ringen, der Kampf, die Überwindung von Widerständen erzeugt im Zuschauer die nötige Empathie." Beispiele dafür finden sich genug, etwa in Märchen oder der Bibel. "Der kleine David besiegt den großmäuligen Goliath. Der kleinste oder jüngste Bruder erweist sich als derjenige, der am Ende Glück hat und siegt."

    Im DFB-Pokal versuchen sich stets die Davids gegen die Goliaths

    Tatsächlich werden sehr bald in der ersten Runde des DFB-Pokals wieder viele Davids versuchen, den übermächtigen Goliaths aus der Bundesliga ein Bein zu stellen. Und war der WM-Triumph 2014 vor allem deswegen so wertvoll, weil es zugleich die letzte Chance für eine ganze Generation von Spielern war, diesen Pokal noch zu holen? Lahm, Podolski und Schweinsteiger haftete lange das Manko an, dass sie zwar schönen Fußball produzieren, aber keine Titel gewinnen können. 

    Einen großen Unterschied zwischen der Kunst und dem Kicken gibt es dann aber schon: Zumindest irgendwann sollten sich auch im Sport mal die Erfolge einstellen, sonst wenden sich hier sowohl Publikum als auch die Sponsoren ab. In der Literatur kann es aber problemlos bücherweise ums Scheitern gehen. "Theater oder Literatur wiederum haben eine Affinität zum Untergang, zum Unglück." Das zeige sich auch in der vielleicht größten Liebesgeschichte aller Zeiten, Romeo und Julia. Die sei auch deswegen so prominent, weil sie unglücklich endet. "Die schwierigen Fälle sind eben interessanter", so Mayer. Es dürfte ein schwacher Trost für Michael Ballack sein. 

    Prof. Dr. Mathias Mayer ist Lehrstuhlinhaber für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Augsburg.
    Prof. Dr. Mathias Mayer ist Lehrstuhlinhaber für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Augsburg. Foto: Ulrich Wagner

    Zur Person:

    Prof. Dr. Mathias Mayer, 65 Jahre, ist seit 2002 Lehrstuhlinhaber für Neuere Deutsche Literaturwissenschaften an der Universität Augsburg. 

    Unsere Serie "Reden wir übers Verlieren"

    Schmerzhafte Niederlagen gehören zum Sport dazu. In unserer Serie zeigen wir, wie sie prägen, welche Folgen aus ihnen resultieren. Wir lassen Experten und Sportler zu Wort kommen, die uns verraten, wie sie mit Rückschlägen umgegangen sind und welche Niederlage am meisten geschmerzt hat.

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