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Ukraine-Krieg: So erlebt ein ukrainischer Weltklasse-Sportler den Krieg

Ukraine-Krieg

So erlebt ein ukrainischer Weltklasse-Sportler den Krieg

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    Der ukrainische Schwimmer Mykhailo Romanchuk kann sich die Rückkehr russischer Sportler zu Olympia nur unter einer Bedingung vorstellen.
    Der ukrainische Schwimmer Mykhailo Romanchuk kann sich die Rückkehr russischer Sportler zu Olympia nur unter einer Bedingung vorstellen. Foto: Petr David Josek, AP/dpa

    Seit einem Jahr ist Mykhailo Romanchuk nicht mehr in seiner Heimat gewesen. Anfang März verließ er die Ukraine, in der plötzlich Krieg herrschte. Ein Großteil seiner Familie und viele Freunde blieben zurück, sein Vater kämpft als Soldat gegen die Angreifer aus Russland. "Ich telefoniere jeden Tag mit meinen Eltern und mit den Eltern meiner Frau. Einfach um zu wissen, dass alles okay ist", sagte er unserer Redaktion.

    Romanchuks Schicksal ist eines von vielen, die der Krieg dramatisch verändert hat. Über Instagram bekam er unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffs eine Nachricht von Florian Wellbrock. Der ist Deutschlands derzeit erfolgreichster Schwimmer und einer von Romanchuks härtesten Rivalen auf den langen Strecken. Trotzdem bot er ihm an, in seine Trainingsgruppe nach Magdeburg zu kommen. Am 21. Februar des vergangenen Jahres hatte Romanchuk das letzte Mal in seiner Heimat trainiert, drei Tage vor Kriegsbeginn. Wenig später zerstörten russische Raketen die Halle dort. Der Ukrainer nahm das Angebot an. Seitdem lebt er in Magdeburg. 

    Die Ukraine profitiert von den Erfolgen ihrer Sportler

    Die ukrainische Regierung erlaubt es den Top-Sportlern, im Ausland zu leben und zu trainieren. Sie sollen erfolgreich sein und damit positive Schlagzeilen schreiben. "Manchmal ist es sehr schwer, auf das Schwimmen konzentriert zu bleiben. Die Russen greifen jeden Tag mein Land an. Aber ich muss meinen Job machen. Trotzdem nimmst du das alles mit in jedes einzelne Training", beschreibt Romanchuk seine Situation. Jeden Tag hört er die Geschichten von Menschen, die in der Ukraine ausharren. "Ich habe Freunde, die in der Nähe der Front leben. Für sie ist es sehr hart. Die Russen beschießen die Stadt manchmal fünf-, sechsmal am Tag." Zwar versuche jeder, trotzdem ein normales Leben zu führen, "aber es ist unglaublich schwer, in dieser Situation. Sie haben keine andere Wahl, als sich immer wieder zu verstecken. Jeder in der Ukraine versucht, ein normales Leben zu leben. Gleichzeitig weiß jeder, dass Krieg ist. Und jeder will der Welt zeigen, dass wir Ukrainer stärker sind." 

    Es ist dieses Beschwören des Zusammenhalts, der einem auch im Gespräch mit Romanchuk immer wieder begegnet. Der Krieg habe etwas in den Köpfen der Menschen verändert. "Wir sind jetzt wirklich ein Land. Vorher hat sich niemand um den anderen gekümmert. Jeder hat nur auf sich selbst geschaut. Jetzt arbeitet jeder für das große Ziel: diesen Krieg zu gewinnen und damit zu beenden." 

    Erfolgreiche Sportler sind ein Zeichen der Hoffnung

    Zusammen mit seiner Frau Maryna Bech-Romanchuk, einer erfolgreichen Leichtathletin, lebt der Schwimmer in einem Appartement in Magdeburg. Dort findet er perfekte Trainingsbedingungen vor. In der Ukraine ist das nicht mehr der Fall. Die meisten Pools sind entweder geschlossen oder zerstört. "Natürlich vermisse ich meine Heimat, meine Eltern. Aber jeder muss jetzt für das große Ziel arbeiten. Und ich kann am besten helfen, wenn ich als Sportler erfolgreich bin und die Ukraine so in der Öffentlichkeit vertrete. Die Welt muss sehen, was in der Ukraine passiert", sagt Romanchuk. Jeder Athlet und jede Athletin seien wichtig für die Menschen in der Ukraine, "denn wenn sie gewinnen, ist das etwas Gutes in den Nachrichten. Das gibt Hoffnung". Deswegen habe er nicht zur Waffe gegriffen, um in den Krieg zu gehen. "Für mich ist es das Beste, bei einer Welt- oder Europameisterschaft die Ukraine zu vertreten. Wir alle werden bis zum Ende kämpfen und wir werden gewinnen."

    Wichtig sei, dass die Welt den Krieg nicht vergesse. Romanchuk sagt, dass die Menschen in Europa kriegsmüde geworden seien. "Aber wir Ukrainer verteidigen nicht nur unser eigenes Land, wir verteidigen ganz Europa. Niemand weiß, was Putin als Nächstes machen würde, wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen. Es sterben keine Deutschen, keine Polen, keine Franzosen – jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde sterben Ukrainer. Die Welt muss dieses kleine Land unterstützen, das von einem anderen angegriffen wird." Natürlich hoffe er, dass der Krieg bald beendet ist. Das liege aber nicht in den Händen der Ukrainer. "Alles hängt von Europa und den USA ab, wie stark sie die Ukraine unterstützen." Daran, dass Putin den Befehl zum Rückzug geben könnte, glaubt Romanchuk nicht. 

    Olympia: Die Rückkehr russischer Sportler lehnt Romanchuk ab

    Eine klare Meinung hat Romanchuk auch, wenn es um die Rückkehr russischer und belarussischer Sportler auf die internationale Sportbühne geht. Diese könnte bis zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris unter neutraler Flagge möglich sein. Das IOC mit seinem Präsidenten Thomas Bach treibt das Vorhaben voran. "Ich denke, dass sie nur dann an den Olympischen Spielen teilnehmen sollten, wenn sie das Flüchtlingsteam repräsentieren. Auch unter neutraler Flagge würde jeder wissen, dass sie Russland vertreten. Im Flüchtlingsteam würden die Sportler zeigen, dass sie Russland nicht unterstützen und für den Frieden sind", sagt Romanchuk.

    Einen Boykott seinerseits schließt er aber aus, auch wenn das IOC seine eigenen Pläne in die Tat umsetzt. "Wenn ich die Spiele boykottieren würde, würde niemand merken, dass ich nicht da bin. Deshalb muss ich zeigen: Ich bin da – selbst wenn russische und belarussische Athleten teilnehmen. Um mein Land zu repräsentieren und der Welt zu zeigen, dass wir stark sind. Wenn du die Medaille nicht gewinnen willst, tut das jemand anders", sagte er bei Sky.

    IOC–Präsident Thomas Bach und Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Für das Großereignis war in Russland offenbar systematisch gedopt worden.
    IOC–Präsident Thomas Bach und Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Für das Großereignis war in Russland offenbar systematisch gedopt worden. Foto: dpa

    Romanchuk wird auch in Paris zu den Topfavoriten auf den langen Strecken im Pool gehören. Bei den Sommerspielen in Tokio 2021 gewann er über 1500 Meter Silber hinter dem US-Amerikaner Bobby Finke – und vor Wellbrock. Trotzdem pflegen die beiden Konkurrenten eine Freundschaft. "Im Pool sind wir Konkurrenten. Aber danach gehen wir alle zusammen ins Restaurant. Das ist kein Problem für uns. Jeder weiß, dass er heute vielleicht gewonnen hat, aber morgen kann das schon wieder ganz anders aussehen."

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