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Titelthema Tradition: Investor Ismaik und die Stadionfrage: 1860 München ist ein gespaltener Verein

Titelthema Tradition

Investor Ismaik und die Stadionfrage: 1860 München ist ein gespaltener Verein

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    Seit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga spielt 1860 München wieder im 1911 errichteten Grünwalder Stadion.
    Seit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga spielt 1860 München wieder im 1911 errichteten Grünwalder Stadion. Foto: Tobias Hase, dpa (Archiv)

    Dass beim TSV 1860 München nie Ruhe einkehrt, ist im deutschen Profifußball fast schon ein ungeschriebenes Gesetz. Man denke nur an den Bestechungsskandal um die Allianz-Arena, der den damaligen Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser zu Fall brachte. An den beispiellosen, von Fanausschreitungen überschatteten Absturz der Löwen in die Regionalliga vor gut drei Jahren. Oder an die immer wieder aufflammenden Streitereien zwischen Verein und Investor Hasan Ismaik, der den Klub 2011 vor der Insolvenz rettete.

    Das Engagement des jordanischen Geschäftsmanns spaltet die Anhänger des Traditionsvereins aus dem Münchner Stadtteil Giesing. Genauso wie die immer wieder angeheizte Stadionfrage: Während manche Fans am liebsten für immer im Grünwalder Stadion bleiben würden, wollen andere mittelfristig ein modernes, bundesligataugliches Zuhause.

    Beim TSV 1860 München gibt es eine Abteilung Vereinsgeschichte

    Was die Löwen-Fans jedoch vereint: ihr Stolz auf die ebenso lange wie bewegte Geschichte des Klubs. „Welcher andere Verein ist schon so alt?“, fragt Christian Dany, seit mehr als 40 Jahren ein „Sechzger“, in Anspielung auf das im Vereinsnamen verewigte Gründungsjahr. Die einzige deutsche Meisterschaft im Jahr 1966 ist in den Köpfen ebenso präsent wie legendäre Derbysiege gegen den Stadtrivalen FC Bayern.

    Bereits 1848 wurde im Saal der „Buttleschen Brauerei zum Bayerischen Löwen“ der Münchner Turnverein gegründet – und zwölf Jahre lang von der Obrigkeit als „Anstalt der Verpestung“ verboten. 1899 rief der Verein schließlich seine Fußballabteilung ins Leben. Seit vergangenem Februar gibt es bei den Löwen sogar eine Abteilung Vereinsgeschichte mit mehr als 30 Mitgliedern, die alte Eintrittskarten, Wimpel und Erinnerungsstücke sammelt. Das langfristige Ziel: die Gründung eines eigenen Museums.

    Passt es, dass ein so traditionsreicher und stolzer Verein von einem Investor und dessen Launen abhängig ist? 60 Prozent der Aktien der aus dem Gesamtverein ausgegliederten Profiabteilung hält das Unternehmen von Hasan Ismaik. Der heute 44-Jährige versprach einst ein neues Stadion inklusive eines Löwenparks „mit allen Löwenrassen der Welt“. Nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga 2017 verwehrte er dem Verein die für eine Drittliga-Lizenz erforderlichen Zahlungen.

    Geldgeber Hasan Ismaik ist bei den Fans des TSV 1860 München umstritten.
    Geldgeber Hasan Ismaik ist bei den Fans des TSV 1860 München umstritten. Foto: Andreas Gebert, dpa

    Löwen-Fan: „Wirklich pro Ismaik sehe ich kaum jemanden“

    Löwen-Fan Christian Dany, früher Delegierter im Verein, sieht das Engagement des jordanischen Kreditgebers kritisch. Vor rund zehn Jahren, als die Löwen vor der Insolvenz standen, wäre ein kompletter Neuanfang seiner Meinung nach die bessere Option gewesen. „Es wurde nicht genug hinterfragt, ob diese Geschäftspartnerschaft auch wirklich fruchtbar sein kann. Jetzt haben wir Ismaik im Boot, und offensichtlich bleibt das so“, sagt Dany. Auch wenn es in der Anhängerschaft Leute gebe, die sich mit dem Investor abfinden: „Wirklich pro Ismaik sehe ich auf weiter Flur kaum jemanden.“

    Roman Wöll, ebenfalls seit seiner Kindheit ein Löwe, ist hingegen eher dem Lager der Ismaik-Befürworter zuzurechnen. Der Investor habe in der Vergangenheit Fehler gemacht, aber: „Wir brauchen ihn einfach. Andere Vereine wären froh, wenn sie jemanden hätten, der ihnen finanziell hilft.“ In Wölls Leben dreht sich vieles um den TSV 1860. Der 66-Jährige gehört zu den sogenannten „Allesfahrern“ – vor der Corona-Krise verpasste er auch auswärts kein Spiel seiner Mannschaft. „Einmal Löwe – immer Löwe klingt banal, aber es ist etwas dran“, sagt er. Die schweren Zeiten machten den Klub in gewisser Weise sympathisch – im Leben laufe ja auch nicht immer alles glatt. Der anhaltende Erfolg der Roten – Wöll möchte den Namen des Stadtrivalen gar nicht aussprechen – sei im Gegensatz geradezu langweilig.

    Ex-1860-Spieler Miller: Bei den Löwen herrscht immer Druck

    Thomas Miller schnürte selbst acht Jahre lang für die Löwen die Fußballschuhe. Nach seinem Wechsel vom FC Augsburg 1989 entwickelte sich der Verteidiger wegen seiner kompromisslosen Spielweise zum Liebling der Fans. Von der Bayernliga ging es während seiner Zeit über die zweite Liga in die Bundesliga. Bei einem Traditionsverein wie 1860 – das habe Miller schon damals zu spüren bekommen – herrsche immer Druck: „Die Fans stehen immer hinter dir, wollen aber auch, dass man sich mit Leib und Seele für den Verein einsetzt.“ Auch die Verantwortlichen stünden unter Dauerbeschuss – gerade in einer Medienstadt wie München. „Sie treffen oft überhastet falsche Entscheidungen, damit sie Ruhe vor den Fans haben“, sagt Miller. In Hoffenheim oder Leipzig sei das Umfeld weniger hektisch. „Dort wird sehr gute Arbeit geliefert, das muss man honorieren. Vereine mit einer echten Fankultur sind mir aber lieber“, sagt Miller.

    Momentan stehen die Sechzger auf Rang zwei der dritten Liga. Was die Zukunft angeht, ist der 57-Jährige, der heute als Finanzbeamter arbeitet, optimistisch gestimmt. Über kurz oder lang sei sogar die Bundesliga wieder drin – wenn denn alle an einem Strang ziehen: „Das Potenzial im Verein ist riesig.“ Und wenn sich der sportliche Erfolg wieder über einen längeren Zeitraum einstellt, könne man sich auch der Stadionfrage intensiver widmen. Ein weiteres Thema, das unter den Fans die Emotionen hochkochen lässt.

    Nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga zogen die Löwen zurück ins Grünwalder Stadion.
    Nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga zogen die Löwen zurück ins Grünwalder Stadion. Foto: Tobias Hase, dpa

    Die Stadtteilidentität spielt bei den Sechzgern eine große Rolle

    Nach dem Absturz in die Regionalliga wurde der Mietvertrag der Löwen für die Allianz-Arena aufgelöst. Seitdem spielt der Klub wieder in seiner ursprünglichen Heimat, dem 1911 erbauten Grünwalder Stadion, mitten im Stadtteil Giesing. Wo der Spielstand auf einer manuellen Zifferntafel angezeigt wird und die Löwen laut Fan Christian Dany unbedingt hingehören: „Die Stadtteilidentität ist bei uns ein wichtiger Teil der Vereinsidentität.“ Mit der Allianz-Arena, die der TSV 1860 gemeinsam mit dem FC Bayern baute, habe sich der Verein vor allem aus finanzieller Sicht einst einen Klotz ans Bein gebunden. Dany selbst sei zu Arena-Zeiten nicht oft ins rund 16 Kilometer von Giesing entfernte Fröttmaning gefahren. Er ging lieber ins Grünwalder Stadion, wo die zweite Mannschaft spielte.

    Es gibt offenbar viele, die ähnlich denken wie Dany. Der Verein „Freunde des Sechzger Stadions“, in dem er selbst Mitglied ist, kämpft für den dauerhaften Erhalt und eine vielfältige Nutzung des Stadions an der Grünwalder Straße. „Das Ziel, wieder im Grünwalder zu spielen, ist bereits erreicht. Ich sehe keinen Grund, da wieder wegzugehen“, sagt Dany. Das Problem: Derzeit fasst das Stadion lediglich 15.000 Zuschauer. Eine Machbarkeitsstudie der Stadt München hält einen Ausbau auf 18.000 Plätze für denkbar. Dany spricht von einer „Willkür-Zahl“: Eine Erhöhung der Kapazität auf mehr als 20.000 wäre in seinen Augen umsetzbar.

    Auch Roman Wöll hat eine emotionale Bindung zur aktuellen Heimat der Löwen. „Ich bin dort groß geworden. Aber 18.000 Zuschauer – das ist ein Witz.“ Er könnte sich damit abfinden, für ein neues, größeres Stadion aus Giesing wegzuziehen. In einem Punkt sind sich sowohl Wöll als auch Dany allerdings einig: Bei beiden herrscht Erleichterung, dass die Zeiten in der bei vielen Löwen-Fans verhassten Allianz-Arena vorbei sind.

    Dieser Artikel gehört zum Titelthema Tradition, das unsere Volontäre des Abschlussjahrgangs 2020 gestaltet haben. In ihren Texten setzen sie sich mit verschiedenen Aspekten von Tradition auseinander.

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