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Thomas Müller: Der Abschied von einer Bayern-Legende und seine Zukunftspläne

In letzter Zeit war Thomas Müller eher auf der Bank als auf dem Spielfeld zu sehen. Nach dieser Saison wird er wahrscheinlich gar nicht mehr für den FC Bayern auflaufen.
Foto: Frank Hörmann, Sven Simon
FC Bayern

Müller spielt nimmer

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    Thomas Müller dürfte der letzte Fußballer von Weltrang gewesen sein, auf den sich alle Sachverständigen einigen konnten. Bei anderen Weltstars schwingt sofort das „Oder“ mit. Ist da vielleicht ein anderer doch ein bisschen besser, rennt schneller oder trifft häufiger? Ronaldo – oder Messi. Mbappé – oder Vinicius. Zu Thomas Müller und seiner ganzen Kreisklassigkeit gibt es Millionen Alternativen. Und doch keine einzige. Einer von uns. Und doch auch „Einer wie keiner“.

    So lautet der Titel der Dokumentation, mit der Amazon Prime versucht hat, sich dem Phänomen Müller zu nähern. Nach 17 Jahren als Profi beim FC Bayern München tis nun Schluss sein für den 35-Jährigen. Im Sommer trennen sich die Wege von Müller und dem FC Bayern. Der Klub ist offenbar nicht mehr gewillt, einem alternden Ergänzungsspieler 15 Millionen Euro im Jahr zu überweisen. Dabei ist Müller natürlich viel mehr als ein Ergänzungsspieler. Außenminister, Co-Trainer, Stimmungsmacher und -regulierer. Möglicherweise sind 15 Millionen gar nicht zu viel für den vielseitigen Müller. Trainer haben eine Zeit lang gesagt, ihre Spieler seien „polyvalent“ einsetzbar, wenn sie auf mehreren Positionen spielen können. Vorteil Müller: Er kann seine unterschiedlichen Rollen zeitgleich spielen.

    Das war für Louis van Gaal allerdings nicht der Grund, weshalb er sich kurz nach einem Amtsantritt zu jenem Dogma verstieg, das Müller jahrelang begleiten sollte. „Müller spielt immer“, sagte der kauzige Holländer zu einem Zeitpunkt, als Müller noch fast gar nicht gespielt hatte. Also zumindest in der Bundesliga. Der mindestens ebenso kauzige Co-Trainer Hermann Gerland hatte seinem Chef geraten, diesen storchenbeinigen Offensivspieler mal genauer anzuschauen. Unter Gerland hatte Müller zuvor bei den Amateuren des FC Bayern gespielt.

    Van Gaal fand sofort Gefallen an Müller. Wie van Gaal an fast jedem Spieler Gefallen fand, der seine Ideen weisungsgetreu umsetzte. Mit Franck Ribéry beispielsweise verband den Trainer nicht zwingend ein Band des Vertrauens. Ein Thomas Müller aber ist kein Franck Ribéry. Auch kein Messi, Mbappé oder Ronaldo. „Er ist durchschnittlich schnell, seine Technik ist Durchschnitt, sein Dribbling ist Durchschnitt“, fasst Karl-Heinz Rummenigge ziemlich präzise das Leistungs-Portfolio Müllers zusammen, um noch zu ergänzen: „Aber er ist Thomas Müller.“

    Keiner schaffte es, Thomas Müller die Müllerigkeit auszutreiben

    All die Nachwuchstrainer, selbst ernannten Förderer, Spieleragenten und Schulterklopfer haben es über zweieinhalb Jahrzehnte nicht geschafft, ihm die oberbayerische Müllerigkeit auszutreiben. Wer in Pähl, Landkreis Weilheim-Schongau, groß geworden ist, hat es schwerer abzuheben, als im nur eine Landkreisgrenze entfernten Starnberg oder aber in München. Rund 2400 Einwohner, ein Sportplatz. Recht viel mehr gibt es nicht. Und doch natürlich alles, was man so braucht. Mit dem Fahrrad ist es eine halbe Stunde Plackerei hoch zum heiligen Berg nach Andechs. Die nächstgrößere Stadt ist das 15 Autominuten entfernte Weilheim. Was man hier bekommt: Fesch statt Fashion. Jerome Boateng und David Alaba haben sich immer mal wieder über den Modegeschmack Müllers amüsiert. War Müller egal.

    In diesem Juni veranstalten die Freiwillige Feuerwehr, die Trachtenkapelle und der Trommlerzug die Pähler Festtage. Zusammen feiern die Vereine ihr 255. Jubiläum. Im bayerischen Oberland feiert man die Feste, wie sie fallen. Es treten unter anderem die Kapellen Hundskrippln und LaBrassBanda auf, der Comedian Harry G lästert über bayerisch-dekadente Stereotype. Die Wochenend-Kitzbühel-Fahrer, Lastenradsojadrink-Mamis, dergleichen. Grad raus. Scheiß da nix, dann feid da nix.

    So spielt Müller Fußball. Im ersten Spiel der WM 2014 nervte er die menschgewordene Axt Pepe so inständig, dass sich der Portugiese zu einer Tätlichkeit hinreißen ließ, die in einem Platzverweis mündete. Ein Großteil von Müllers Qualität ist andauernde Nerverei. Weil er immer und immer wieder in die Tiefe der gegnerischen Hälfte läuft und die Verteidiger irgendwann mal die Lust verlieren, diesem ja nur durchschnittlich schnellen Spieler hinterherzulaufen. Müller selbst bezeichnete sich bereits 2011 als „Raumdeuter“ und deutete damit seine rhetorischen und analytischen Fähigkeiten an.

    Münchens Spieler Thomas Müller reagiert, nachdem er während des UEFA Champions League-Finales zwischen dem FC Bayern München und dem FC Chelsea in der Fußball Arena München in München (Deutschland) am 19. Mai 2012 das 1:0 erzielte. (zu "Thomas Müller und FC Bayern trennen sich im Sommer") +++ dpa-Bildfunk +++
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    Nach 17 Jahren als Profi beendet Thomas Müller seine Karriere beim FC Bayern München im Sommer. Für seinen Club brach der Fußballstar aus Pähl zahlreiche Rekorde.

    Kaum eine Partie, nach der Müller den Journalisten nicht Auskunft geben würde. Da Müller Zeit seiner Profikarriere ausschließlich für die Bayern spielte, durfte er meist über Siege referieren, er antwortete aber auch ausdauernd nach Enttäuschungen. Das ist für sich genommen bereits eine Leistung. Müllers Ausführungen aber haben in den allermeisten Fällen einen Mehrwert. Sie sind nicht reine Nacherzählungen und gleiten nie in die dem Fußball ergebene Welt der Phrasen ab. Weil er das auch im Englischen schafft, ist er für ausländische Journalisten ebenfalls ein gern gesehener Gesprächspartner. In Bayern daheim, in der Welt zu Hause. So würde es auch nicht verwundern, falls er nach Ablauf seines Vertrags im Sommer 2025 noch für ein bis zwei Jahre in die USA wechselt. Aus bajuwarischer Sicht hat das Tradition. Auch Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Lothar Matthäus und Bastian Schweinsteiger verbrachten den Spätherbst ihrer Karriere in den USA.

    Bei der Heim-EM im vergangenen Sommer war Lisa Müller noch bei Spielen ihres Mannes mit der Nationalelf im Deutschland-Trikot im Stadion zu sehen.
    Bei der Heim-EM im vergangenen Sommer war Lisa Müller noch bei Spielen ihres Mannes mit der Nationalelf im Deutschland-Trikot im Stadion zu sehen. Foto: Christian Charisius, dpa

    Müller allerdings ist gebunden. Zusammen mit seiner Frau Lisa ist er Besitzer eines Gestüts in Otterfing, ungefähr auf halber Strecke zwischen Tegernsee und München. Aber Lisa und Thomas Müller: Sind die wirklich noch ein Paar? Der Boulevard dröhnt seit Monaten. Lisa, die sämtliche gemeinsamen Bilder auf Instagram gelöscht hat. Thomas aber trägt den Schriftzug „Lisa“ auf seinen Schuhen. Beim letzten Wiesn-Ausflug der Bayern fehlte sie. Öffentliche Äußerungen gibt es nicht. Das war schon mal anders. Als ihr Mann 2018 gegen den SC Freiburg erst in der 71. Minute eingewechselt wurde, postete sie: „Mehr als 70 Minuten, bis der mal nen Geistesblitz hat.“ Der – das war der damalige Trainer Niko Kovac. Spätestens unter ihm galt die van Gaalsche Doktrin nicht mehr. Müller spielte nur noch manchmal. Es dauerte nicht mehr lange, ehe Kovac seinen Job in München los war.

    Thomas Müller: Der Pähler Fußballstar und seine unersetzliche Rolle beim FC Bayern

    Wem es gelang, den Raumdeuter in sein System einzubinden, wurde mit den wichtigsten Titeln entlohnt, die der Weltfußball zu bieten hat. Joachim Löw gewann auch dank Müller den WM-Titel 2014, unter Jupp Heynckes und Hansi Flick nahm der Offensivmann bei den Champions-League-Triumphen 2013 und 2020 eine tragende Rolle ein. Bei Kovac war Müller ebenso ein Nebendarsteller, wie bei Carlo Ancelotti und Thomas Tuchel. Alle drei wurden nicht glücklich in München. Müller ist ein gewiefter Kommunikator. Ein geschickterer jedenfalls als die drei geschassten Trainer. Die Boulevard-Medien berichteten jeweils vom schwierigen Schicksal des Münchner Eigengewächses und dass es höchstwahrscheinlich in der Mannschaft atmosphärisch nicht stimme.

    Dazu versteht er auch zu unterhalten. Menschen außerhalb des Mannschaftskosmos, aber auch das Team selbst. „Er kann mit den Rappern in der Mannschaft, aber auch mit denen, die jodeln“, sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann vor der EM im vergangenen Jahr. Müller agiere als ein „Schmiermittel und Bindeglied“. Er hat eine Bedeutung, die über das Rasenrechteck hinaus geht.

    Mit nun 35 Jahren aber fehlen Müller allmählich die spielerischen Argumente. Wen aus dem aktuellen Bayern-Kader sollte er verdrängen? Harry Kane? Jamal Musiala? Unwahrscheinlich. Obwohl Musiala sich gegen den FC Augsburg verletzte. Müller dagegen ist nie verletzt. Wer keine aufgepumpten Muskelpakete hat, zerrt sich seltener. Auch wegen der Vorzüge und Verdienste Müllers schien es unwahrscheinlich, dass die Münchner eher nonchalant den Vertrag mit ihm auslaufen lassen. Zum Jahresbeginn hatte Sportvorstand Max Eberl noch behauptet, dass Müller praktisch selbst bestimmen könne, ob er noch eine weitere Saison für den FC Bayern spielt. Sollte er Lust haben, „wird es wahrscheinlich das kürzeste Gespräch werden“, sagte er im Januar. Müller brauche nicht groß zu verhandeln. Nun schaut das anders aus.

    Nun schaut es anders aus. Wie Müller selbst auf Instagram schreibt, hätte er sich gut vorstellen können auch noch in der nächsten Saison für die Bayern auf dem Platz zu stehen. Aber: „Der Verein hat sich jedoch bewusst dafür entschieden, mit mir keinen neuen Vertrag für die nächste Saison zu verhandeln. Auch wenn dies nicht meinen persönlichen Wünschen entsprach, ist es wichtig, dass der Verein seinen Überzeugungen folgt. Ich respektiere diesen Schritt, den sich Vorstand und Aufsichtsrat bestimmt nicht leicht gemacht haben.“

    Der FC Bayern München hat die Trennung von Thomas Müller im Sommer mit der Kaderplanung begründet und zugleich ein eigenes Abschiedsspiel für den 35-Jährigen angekündigt. Seine letzten Pflichtspiele für die Münchner werde der Weltmeister von 2014 bei der im Sommer stattfindenden Club-WM in den USA bestreiten, hieß es vom Verein. Mit der Trennung von Müller endet bei den Münchnern eine Ära. „Einen wie ihn wird es nie wieder geben, keine Frage, und er hat den FC Bayern von klein auf verinnerlicht. Diese Entscheidung war extrem schwer, das kann jeder nachvollziehen“, sagte Sportdirektor Christoph Freund.

    Thomas Müller war nie Fußballer des Jahres

    Bislang hat Thomas Müller zwölf deutsche Meisterschaften gewonnen, zweimal die Champions League und ist Weltmeister geworden. Würde man in Bayern auf die Idee kommen, in die Alpen Mount-Rushmore-mäßig die Porträts der bedeutendsten Spieler der Münchner zu fräsen – Müller wäre wohl dabei.

    Dabei hat er in Deutschland nie individuelle Auszeichnungen erhalten. Berti Vogts wurde zweimal zum Fußballer des Jahres gewählt, Müller kein Mal. Die späten 70er-Jahre waren von einer Pflichtversessenheit geprägt, die der verteidigende Terrier wunderbar repräsentierte. Auch Müller ist ein zuverlässiger Verrichter aller aufgetragener Dienste. Einer, der selten glänzt und doch leuchtendes Beispiel ist. Einer aber auch, dessen Karriere sich dem Ende entgegen neigt.

    Bald wird es heißen: Müller spielt nimmer. Dann wird es für die Münchner darum gehen, das Klima so angenehm wie möglich zu gestalten. Schließlich kann und soll der 35-Jährige auch in Zukunft eine Rolle im Kosmos des FC Bayern spielen. Welche, ist noch völlig offen. Sein analytisches Denken gepaart mit dem fußballerischen Wissen und der Fähigkeit, intuitiv richtig zu reagieren, machen ihn zu einem Kandidaten für Führungsaufgaben. Einen wie Müller gibt es kein zweites Mal.

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    1 Kommentar
    Gerd Saxenhammer

    Müllern kann Müllern und Mehl kann schreiben. Eines haben beide gemeinsam . Es ist eine Freude , sie bei der Arbeit zu beobachten . Weil sie es können ! Der eine hört bald auf und vom anderen würde ich mir wünschen , dass er selber mehr schreiben würde - weil es eben mit beiden Spaß macht ….

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