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Themenwoche Zukunft: Warum kaum noch jemand Schiedsrichter werden will

Themenwoche Zukunft

Warum kaum noch jemand Schiedsrichter werden will

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    Pöbeleien, Beleidigungen und körperliche Gewalt: Schiedsrichter brauchen oft ein dickes Fell.
    Pöbeleien, Beleidigungen und körperliche Gewalt: Schiedsrichter brauchen oft ein dickes Fell. Foto: Robert Michael, dpa

    Die Situation ist verzwickt. Deutschland ist Fußballland, seit jeher. Zwei Tore, ein Ball, 90 Minuten und 22 Spieler oder Spielerinnen. Mehr braucht es nicht, damit des Deutschen liebster Sport funktioniert. Das stimmt nicht ganz. Denn ohne eine Personengruppe würde wohl auf jedem Rasen der Republik Anarchie herrschen: Schiedsrichter. Gerade im Amateurbereich ist die Situation jedoch angespannt. Immer mehr Unparteiische hören auf.

    Stefan Sommer ist Obmann der Schiedsrichtervereinigung Augsburg. Derzeit sind hier 261 Personen aktiv. Dazu zählen Schiedsrichter, Beobachter, Paten und Funktionäre. 13 davon sind weiblich. „Wir haben ganz klar zu wenig Schiedsrichter“, betont Sommer im Gespräch mit unserer Redaktion. Viele Unparteiische würden meist nur noch ein Spiel am Wochenende pfeifen, dieser Trend scheine auch nicht abzuflauen. Es gebe heutzutage eine große Menge an anderen Freizeitangeboten, so der Obmann, viele hätten in ihrer freien Zeit Besseres vor. „Daher bräuchte ich derzeit ungefähr 50 Schiedsrichter mehr“, sagt Sommer.

    Lediglich drei Prozent der Unparteiischen in Bayern sind Frauen

    Der DFB Mitgliederstatistik 2021/2022 zufolge sind in Bayern aktuell knapp elftausend Unparteiische aktiv. Davon sind 10.603 Personen männlich und 366 weiblich. Das entspricht gerade einmal 3,34 Prozent. Aus den Zahlen vom 30. Mai 2022 geht darüber hinaus hervor, dass in der abgelaufenen Saison 2932 Schiedsrichterinnen bzw. Schiedsrichter ausgetreten sind. Hinzugekommen sind im Freistaat hingegen nur 1271 insgesamt 243.293 Spiele haben Unparteiische in Bayern in der Saison 2021/2022 geleitet, deutschlandweit waren es mehr als 1,2 Millionen.

    Dass Schiedsrichter fehlen, ist ein offenes Geheimnis. „Gerade die Jüngeren haben keinen Bock mehr zu pfeifen, wenn sie beleidigt oder angegangen werden“, sagt Stefan Sommer. Das sei aber nur ein Grund. Abschlussprüfungen und andere Hobbys erschwerten die Situation zusätzlich. Ältere Unparteiische könnten ihr Schiedsrichterdasein oft gesundheitlich nicht mehr stemmen, erläutert der Obmann und ergänzt: „Wenn die Generation ab 50 Jahren aufwärts wegfällt, dann wird es ganz schwierig.“

    Schiedsrichter-Akquise muss durch Vereine erfolgen

    Wie kann also für Nachwuchs gesorgt werden? Obmann Sommer sieht hier in erster Linie die Sportvereine und nicht die Schiedsrichtergruppen in der Pflicht. Die Klubs müssten Werbung machen und Leute fragen. Es gebe Vereine, bei denen das sehr gut funktioniere, viele hätten aber noch Luft nach oben. Dass sich zum Beispiel Online-Kampagnen auszahlen können, zeigt ein vor kurzem von Sommers Schiedsrichtergruppe angebotener Neulingskurs, der auf großen Zuspruch stieß. „Hier waren viele unter 18-Jährige, gerade auch 14-15-Jährige dabei“, sagt der Obmann.

    Über einen ähnlichen Weg ist auch Lukas aus Augsburg vor gut zwei Jahren auf das Schiedsrichtersein aufmerksam geworden. Nachdem er aufgehört hatte aktiv Fußball zu spielen, suchte er nach einer Alternative mittels derer er seinem Lieblingssport treu bleiben konnte. „Bei mir läuft es super, ich habe noch nicht mit dem Gedanken gespielt, wieder aufzuhören“, sagt der 22-Jährige. Besonders schätzt er am Schiedsrichtersein das Gemeinschaftsgefühl in der jeweiligen Regionalgruppe. Es gehe nämlich nicht nur darum, eine Partie zu leiten. Da sind Stammtische, gemeinsames Training oder beispielsweise die Hin- und Rückfahrten zu Spielen. Darüber hinaus komme man viel herum in der Region, sagt Lukas. Gerade die Spielorte im Allgäu seien besonders schön.

    Natürlich gibt es auf dem Spielfeld immer wieder auch schwierige Situationen, die Unparteiische klären müssen. „Genau das macht mir Spaß. Als Schiri nimmt man den Fußball ganz anders wahr, das ist ein interessanter Perspektivenwechsel“, sagt Lukas. Ihm zufolge kommt es in Spielen, in denen es um viel geht, häufig zu verbalen Entgleisungen. „Das nehme ich den meisten Spielern nicht böse, weil das aus der Emotion heraus passiert. Sie sehen mich da nicht als Person, sondern sind unzufrieden und meist sauer auf ihre eigene Leistung.“

    Sommer: "Wir müssen Besetzungen rigoros streichen"

    Angriffe oder Drohungen gegen sich habe er bisher nicht erlebt. „Selbst wenn das passiert, dann weiß ich, dass ich von der Schiedsrichtergruppe und dem Verband Rückhalt bekomme und so etwas konsequent verfolgt wird“, betont Lukas. Das unterstreicht auch Schiedsrichterobmann Sommer: „Wenn Unparteiische angegriffen werden, dann gibt es in der Gruppe Augsburg eine Notfallnummer. Das kann man sich ein bisschen vorstellen wie bei der Polizei. Hier gibt es von Freitag bis Sonntag einen Ansprechpartner, der hilft.“

    Was sind die langfristigen Folgen, wenn viele junge Menschen keine Lust mehr haben regelmäßig zur Pfeife zu greifen? „Wir müssen immer mehr Besetzungen streichen und das machen wir auch rigoros“, sagt Sommer. Früher hätten die Einteiler oft fünf Leute angerufen, das gehe heute nicht mehr. Sobald ein Unparteiischer krank ist oder ein Spiel nicht mehr besetzt werden kann, dann muss der Heimverein einen Schiedsrichter stellen.

    Dieser Artikel ist Teil der Themenwoche Zukunft unserer Volontäre. Alle Themen und Texte zum Schwerpunkt finden sich hier in unserer Übersicht.

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