Alexander Zverev zieht den Moment so gut wie möglich in die Länge. Am Freitagvormittag trainiert er erstmals seit knapp einer Woche wieder. Der Oberschenkel zwickt noch ein wenig wegen der Zerrung aus dem Halbfinale in Monte Carlo. Zverev aber hat Spaß auf dem Center Court der BMW Open. Er schlägt sich mit dem Chilenen Christian Garin die Bälle um die Ohren. Warmmachen für den Turnierauftakt in München. Um 20 Minuten vor 12 Uhr ist allerdings Schluss. Zverev muss schnell in die Kabine, sich frisch machen für die Eröffnungspressekonferenz. Wenige Minuten später kehrt er auf den Sandplatz zurück. Er trägt jetzt ein orangefarbenes T-Shirt vom Team Deutschland, auf der Nase sitzt eine modische Brille.
In München fühlt sich Zverev wohl. Es sei eines seiner Lieblingsturniere, sagt er. Überhaupt spiele er gerne in Deutschland, seiner Heimat. Lange hatte sich der 25-Jährige hier missverstanden gefühlt. Nicht ausreichend von den Fans unterstützt. Aber spätestens durch seinen Olympiasieg im vergangenen Jahr habe sich das geändert. Zverev fühlt sich nun anerkannt.
Der Ausraster passt in das Bild von Zverev
Der Hamburger aber bleibt ein Spieler, der polarisiert. Es fällt nicht immer leicht, ihn bedingungslos zu unterstützen. Sein Talent ist riesig, manchmal aber steht er sich auf dem Weg nach oben selbst im Weg. Wie vor wenigen Wochen beim Turnier in Acapulco. Im Doppel verlor er die Beherrschung und schlug mehrmals mit seinem Schläger gegen den Schiedsrichterstuhll, auf dem der Unparteiische Alessandro Germani noch saß. Bilder, die schockierten. Eine Geldstrafe und eine achtwöchige Sperre auf Bewährung waren die Folge – sollte er sich innerhalb eines Jahres Ähnliches zuschulden kommen lassen, müsste er pausieren. Zverev aber schließt aus, dass sich ein solches Verhalten wiederholt. "Das war einer der größten Fehler, die ich je gemacht habe", sagt er. Schon mehrmals habe er sich entschuldigt und werde das auch weiterhin tun. "Das war unfassbar schlecht, was da passiert ist. Die Menschen aber werden sehen, dass ich daraus gelernt habe", so Zverev.
Irgendwie passt der Ausraster in das bisherige Bild in diesem Jahr. Zverev war mit großen Ambitionen gestartet. Unbedingt die Nummer eins der Welt zu werden, das war sein großes Ziel. Ein solches Vorhaben aber bringt auch eine Menge Druck mit sich. Damit umzugehen, ist schwierig. "Deswegen habe ich das Jahr schlechter angefangen, als ich es selbst erwartet habe", sagt er.
Vor allem bei den Australian Open in Melbourne sei nichts nach Wunsch gelaufen. "Ich habe mich nicht frei gefühlt, teilweise sogar unwohl", sagt er und überlegt lange. Schwierig sei diese Zeit gewesen. Den Spaß habe er verloren, die Lockerheit sowieso. So kann ein Sprung nach ganz oben nicht gelingen. Ungeduldig sei er gewesen. Im Training und in den Spielen. Die Folge war ein frühes Aus. Zverev hatte in Australien enttäuscht. Seine Fans, aber auch sich selbst. Jetzt sagt er: "Wenn du nicht das Tennis zeigst, was eine Nummer eins der Welt zeigen muss, wirst du es eh nicht." So einfach kann es sein. Aber eben auch so schwierig. Tennis ist häufig Kopfsache. "Ich muss anfangen, Tennis wieder zu genießen und Spaß zu haben." Den Anfang habe er vor wenigen Wochen in Miami gemacht. "Seit da spiele ich wieder gutes Tennis", sagt der 25-Jährige. In Florida bremste ihn allerdings eine Krankheit mit hohem Fieber. Zuletzt stoppte ihn eine Zerrung im Oberschenkel in Monaco. In München soll nun alles nach Plan funktionieren. Spaß haben, vielleicht sogar das Turnier gewinnen.
Mitte nächster Woche wird er zum ersten Mal auf dem Center Court aufschlagen. Die Zeit bis dahin nutzt er zu intensivem Training mit seinem neuen Trainer Sergi Bruguera. Die beiden arbeiten seit Miami zusammen, nachdem Zverev mehrere Monate ohne Chefcoach war. "Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen und der mich führen kann", sagt Zverev. Bislang scheint das Bruguera zu gelingen.
Zverev feuert den FC Bayern an
Am Samstag wird Zverev zudem in der Allianz-Arena sitzen. Er ist Fan des FC Bayern, die Münchner können gegen Dortmund die Meisterschaft perfekt machen. Vielleicht kommt es beim Tennis zu einem Gegenbesuch. Thomas Müller oder Joshua Kimmich würde Zverev gerne auf der Anlage des MTTC Iphitos begrüßen.
Unbeschwerte Tage möchte der 25-Jährige in München erleben. Sportlich könnte das gelingen. Das Thema Krieg in der Ukraine begleitet aber auch ihn. Wimbledon möchte russische und belarussische Spielerinnen und Spieler vom Turnier ausschließen. Das träfe auch die Spitzenspieler Daniil Medwedew und Andrej Rublev, der einer der besten Freunde von Zverev ist. "Was in der Ukraine passiert, ist unmenschlich", sagt Zverev. Er ist aber überzeugt, dass der Ausschluss einzelner Sportlerinnen und Sportler falsch sei. "Medvedev und Rublev haben öffentlich gesagt, dass sie der Ukraine helfen wollen und dass sie gegen den Krieg sind. Ich sehe keinen Grund, warum sie nicht in Wimbledon spielen sollten", sagt Zverev, der selbst russische Eltern hat. Und: "Die Entscheidung zeigt, dass die verschiedenen Tennis-Gemeinschaften nicht zusammenstehen." Zudem verliere so die Tennis-Rangliste an Wert. "Wenn du als Top-Spieler kein Grand Slam spielen darfst, macht es keinen Sinn, die Rangliste zu haben", sagt Zverev.