Novak Djokovic ist doch auch nur ein Mensch. Das mal zur Beruhigung aller, die in dem Serben womöglich anderes sehen. Als er am Sonntagabend in Turin das Endspiel der ATP-Finals gewonnen hatte, herzte er erst einmal seine Familie. Er nahm seine Kinder Stefan und Tara in den Arm, ganz menschliches Verhalten also. Er sei so froh, Vater dieser "beiden wunderbaren Engel" zu sein, sagte er gerührt. Djokovic, der liebevolle Familienvater.
Auf dem Platz hatte sich während des Saisonabschlusstreffens der acht besten Spieler der Verdacht aufgedrängt, der Serbe besitze Fähigkeiten, die außerhalb menschlichen Könnens anzusiedeln sind. 36 Jahre ist er mittlerweile, ein Alter, in dem schon einmal der ein oder andere Muskel zwickt oder die Beweglichkeit eher an einen tapsigen Bären als an einen flinken Gepard erinnert. Nicht bei Djokovic. Jim Courier, einst Nummer eins der Welt und als mittlerweile 53-Jähriger kritischer Beobachter der Tennisszene, ließ sich sogar zu einer bemerkenswerten Einschätzung hinreißen: "Niemals hat ein 36-Jähriger auch nur annähernd so gut Tennis gespielt."
Djokovic erteilt der Konkurrenz Lehrstunden
Djokovic sammelt Rekorde. Er hat 24 Grand-Slam-Turniere gewonnen, sieben Mal beim Finalturnier am Ende des Jahres triumphiert und führt mittlerweile in der 400. Woche die Tenniswelt von ganz oben an. Der Respekt und die Achtung der Konkurrenz ist entsprechend groß. In Turin hatte er die aufmüpfige, jüngere Generation in die Schranken gewiesen. 6:3, 6:3 gewann er das Finale gegen Jannik Sinner, am Samstag hatte er Carlos Alcaraz 6:3, 6:2 besiegt. Der Meister hatte seinen Schülern Lehrstunden erteilt.
Djkokovic spielt überragend – noch immer. Er verliert nichts von seiner Zielstrebigkeit und Akribie. Er findet immer einen Weg, den Gegner zu ärgern. Weil sein Repertoire riesig ist. Der Aufschlag mag nicht der brachialste sein, hier überzeugt er durch Finesse. Der Return, der Rückschlag nach dem Aufschlag des Gegners, ist sein Paradeschlag. Er scheint immer zu wissen, was kommt. Und entnervt damit die meisten Gegner.
Eine Partie hat Djokovic in Turin verloren, es war in der Vorrunde gegen Sinner. Es war bedeutungslos im Ergebnis, allerdings wichtig für seine taktische Gestaltung des Endspiels. Sinner jedenfalls war zum Entsetzen der 12.500 Fans chancenlos. Djokovic dominierte, wie es nur Djokovic kann. Er ist ein kluger Stratege, der zielsicher die Schwächen seines Gegners findet und sie konsequent anspielt. Damit verunsichert er ihn mehr und mehr.
Paris wird zum Sehnsuchtsort für Djokovic
Drei Grand-Slam-Turniere hat Djokovic 2023 gewonnen, in Wimbledon verlor er das Finale hauchdünn gegen Alcaraz. Ihm bleibt also noch das Ziel, alle vier großen Events eines Jahres für sich zu entscheiden. Hinzu kommt die Verlockung Olympia. Die Goldmedaille hatte er noch nicht um seinen Hals baumeln, 2008 in Peking hatte er immerhin Bronze gewonnen. London, Rio de Janeiro und Tokio waren ohne Medaille geblieben. Paris wird so zum Sehnsuchtsort für den 36-Jährigen.
"Ich habe immer die höchsten Ambitionen und Ziele. Das wird im nächsten Jahr nicht anders sein", sagte Djokovic am Sonntag. Er wird bei annähernd gleichbleibender Form seine Karriere nicht so schnell beenden. Auch erzieherisch will er weiter tätig sein. "Wenn sie gegen mich auf dem Platz stehen, sollen sie wissen, dass sie ihr bestes Tennis spielen müssen, um mich schlagen zu können", sagte der Serbe über die nachrückende Generation. Oft aber reicht nicht einmal das.
Es gibt kaum Athleten, die ihre Sportart über so lange Zeit dominieren wie Novak Djokovic. Die ihren Weg stur weitergehen. Auch das ist Djokovic, der wegen seiner Impfweigerung während der Corona-Pandemie wichtige Turniere verpasst hatte und wegen seiner Haltung stark in der Kritik stand.