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Tennis: Nicht nur die Jungstars vermissen Roger Federer

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Nicht nur die Jungstars vermissen Roger Federer

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    Roger Federer verabschiedete sich im Oktober vergangenen Jahres bei einem Fan Day in Shanghai von seinen zahlreichen Anhängern weltweit.
    Roger Federer verabschiedete sich im Oktober vergangenen Jahres bei einem Fan Day in Shanghai von seinen zahlreichen Anhängern weltweit. Foto: Wang Lili, Imago

    Jannik Sinner vermisst ihn, und er ist damit nicht der Einzige. Der frisch gebackene italienische Australien-Open-Sieger hätte nur allzu gerne auf der ATP-Tour wenigstens einmal gegen Roger Federer gespielt, weil der Schweizer nun mal sein großes Vorbild ist. Reizvolle Vorstellung, die Galionsfiguren ihrer jeweiligen Generation in einem direkten Duell gegeneinander, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Aber beide verpassten sich um einen Wimpernschlag der Sportgeschichte. Federer, den viele trotz eines Rafael Nadal und eines Novak Đjoković für den besten Tennisspieler aller Zeiten halten, packte im September 2022 für immer seine Schläger ein und verließ den Court. Und so bleibt es nach wie vor ein Rätsel, wie viel an diesem Abschied nun tatsächlich freiwillig war und wie viel einfach eine unvermeidliche Konsequenz einer schier endlosen Verletzungsgeschichte. 

    Der heute 42-Jährige hatte in seiner Karriere 20 Grand Slam-Titel, darunter achtmal Wimbledon, sowie 103 ATP-Titel, gewonnen und führte 310 Wochen lang die Weltrangliste an. Aber nicht nur deshalb hatte sein Abschied etwas von einem Staatsakt. Als er in London beim Rod-Laver-Cup wirklich sein allerletztes Spiel bestritt, da schienen alle extrem nah am Wasser gebaut; Federer sowieso, aber auch Nadal. Als sich beide gerade ein bisschen gefangen, die ersten Tränen weggewischt und auf der Spielerbank ihres Teams Platz genommen hatten, da begann die Sängerin Ellie Goulding ihren Hit „Still Falling For You“ zu singen. Und wieder flossen bei den einstigen Rivalen die Tränen. Irgendwann hielten sich beide gar an den Händen, um sich irgendwie Halt zu geben in einer Welt, die auseinanderzufallen drohte – ihrer Welt, in der sie fast in Überlänge die strahlenden Götter des Tennis verkörperten. Die Bilder der schluchzenden Superstars gingen um die Welt. 

    Händchenhalten mit Rafael Nadal

    Heute haben längst andere ihren Platz eingenommen. Rafael Nadals (37) Comeback-Versuch nach langwieriger Hüftverletzung erfuhr Anfang Januar einen jähen Stopp, und auch Novak Đjokovićs (36) trotzige Kriegserklärung nach dessen Halbfinal-Aus in Melbourne gegen Sinner, er wolle von einer Wachablösung nichts wissen, wirkt wie das berühmte Pfeifen im Wald. In Wirklichkeit hat die Gezeitenwende spätestens mit Roger Federers Abschied begonnen. Das neue Dreigestirn am Firmament trägt die Namen Yannik Sinner, Carlos Alcaraz und Holger Rune. Die jungen Wilden, gejagt von den etwas gesetzteren Alexander Zverev, Casper Ruud, Stefanos Tsitsipas oder Taylor Fritz. Und auch hier könnte man sich Federer als Blaupause für das Rudel vorstellen, als jemanden, der seine große Karriere bis zur absoluten Neige auskostete und genau den richtigen Moment erwischte, um von der Bühne abzutreten. Tatsächlich? 

    Der smarte Eidgenosse, der seit 2015 mit seiner Familie in Valbella im Bündnerland lebt und derzeit eine Villa auf einem 16.000 Quadratmeter großen Grundstück direkt am Zürichsee errichtet, steht für das klassische Dr. Jekyll- und Mr. Hyde-Syndrom. Alle heulen, wenn er geht, jeder postet gemeinsame Fotos auf sozialen Medien. Der Trick daran ist, schonungslos zu sein, fast skrupellos und trotzdem endlos beliebt. Das ist es, was Roger Federer über zwei Jahrzehnte lang auf der Tennistour gelang. Man mag es sich vielleicht wünschen, in einer idealen Welt, und, zugegeben, Federer lässt es so aussehen: Aber kein Tennisspieler gewinnt 20 Grand Slams, wenn er nicht zumindest auf dem Platz rücksichtslos und – ja, auch das muss gesagt sein – ein Schwein sein kann.

    Roger Federer musste mit vielen Verletzungen kämpfen

    Das Publikum erinnert sich nur an die Ästhetik, mit der er die Bälle schlug, die präzise Beinarbeit, die mühelose Eleganz. Dabei vergisst es, dass es eines kalten Ehrgeizes und schier unmenschlicher Trainingspensa bedarf, um einen Sport so zu dominieren, wie Federer das tat. Der Schweizer Blick listet allein 13 Verletzungspausen auf, in denen der „Maestro“ mit ähnlich brutaler Konsequenz an seinen diversen körperlichen Baustellen und der späteren Rückkehr arbeitete, die erste 2003, aufsteigend mit zunehmendem Lebensalter. Letztlich wurde Federer eine langwierige Knieverletzung zum Verhängnis, die ihn bereits 2021 relativ unmissverständlich zum Rücktritt drängte. Doch da wollte er noch nicht auf seinen geschundenen, lädierten Körper hören. 

    Roger Federer hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr er die Erfolge, die er hatte, auch wollte. Wie sehr er alle Rekorde brechen, der größte Sportler aller Zeiten sein musste, größer noch als Muhammed Ali, Michael Jordan, Michael Schumacher, Pelé, Tom Brady, Usain Bolt oder Wayne Gretzky. Nur wenige Sportler schaffen es zu Crossover-Stars – Stars, die ihre eigene, kleine Welt überstrahlen, die man nur noch beim Vornamen nennt. LeBron, Serena, Cristiano. Und Roger. Es geht um Sucht, um den Kick, für unmögliche Schläge, auferstanden wie der Phoenix aus der Asche bei hoffnungslos verlorenen Schlachten gefeiert zu werden, die Gegner in Grund und Boden gestampft zu haben, wie ein triumphierender Feldherr auf einem Häuflein verbrannter Asche zu stehen.

    Der Weg ist frei für die nächste Generation an Tennis-Stars

    Um davon loszukommen, bedurfte es schon einer klitzekleinen Fügung des Schicksals, auch um den Weg für die nächste Generation, die Sinners, Alcaraz und Runes, freizumachen. Roger Federer hat es heute verwunden, ist mit dem Alter sanfter geworden, zu anderen und zu sich selbst. Kaum vorstellbar, wenn sich beim Wimbledon-Finale 2025 ein 24-jähriger Südtiroler und ein 44-jähriger Schweizer die Bälle um die Ohren geschlagen hätten. Aber ganz unmöglich wäre das auch wieder nicht gewesen…

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