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Tennis: Mit einem Bein im Aus: Das Psychogramm des Novak Djokovic

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Mit einem Bein im Aus: Das Psychogramm des Novak Djokovic

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    Novak Djokovic, hier bei den Australian Open im vergangenen Jahr.
    Novak Djokovic, hier bei den Australian Open im vergangenen Jahr. Foto: Dave Hunt, dpa (Archivbild)

    Die letzten Vorbereitungstage auf die Australian Open verbringt Novak Djokovic gewöhnlich in einer der Fünf-Sterne-Luxusherbergen in Melbourne. Oder auch mal als prominenter Mieter einer exklusiven Villa in der australischen Millionenmetropole am Yarra River. Seine diesjährige Bleibe in der Grand-Slam-Stadt war zwischenzeitlich etwas weniger komfortabel, das Park Hotel in Melbournes Stadtteil Carlton ist zum schmucklosen Quarantänehotel und zur Flüchtlingsunterkunft umgerüstet worden, festgehaltene Asylsuchende wohnen hier teilweise seit vielen Monaten.

    Auch Djokovic war zuletzt ein Mann ohne Bewegungsspielraum, einer, der sich nicht gegen Vor- und Rückhand seines Centre-Court-Gegenspielers wehren muss. Sondern der wunderliche Superstar, der mit allen juristischen Mitteln um ein Aufenthaltsvisum, seinen Verbleib auf dem fünften Kontinent und die Teilnahme an dem Topturnier kämpfte – nachdem ihm die Einreise am Mittwoch vergangener Woche von der „Australian Border Force“, also der australischen Grenzkontrolle, wegen unzureichender Dokumente verwehrt worden war. Während sich rund um das Carlton-Hotel nun seit Donnerstag Fans von Djokovic und Protestierende gegenüberstanden und ihre Parolen schmetterten, bekam das Einreise-Drama immer neue Drehs und Wendungen. Zuletzt wurde am Freitag Djokovics Visum dann für ungültig erklärt. Allerdings könnte Djokovic Rechtsmittel dagegen einlegen. Wie es im Einreisekrimi weitergeht, bleibt damit offen.

    Djokovic spricht von einem positiven PCR-Test

    Am Samstag war bekannt geworden, dass Djokovics Anwälte bei der für Montagmorgen australischer Zeit angesetzten Gerichtsverhandlung mit einer gerade überstandenen Covid-Infektion ihres Mandanten argumentieren wollten. Djokovic habe am 16. Dezember in Belgrad einen positiven PCR-Testbescheid erhalten, deshalb sei er auch berechtigt, mit einer Ausnahmegenehmigung bei den Australian Open zu spielen.

    Allerdings warf diese Neuigkeit auch schon wieder neue Fragen auf. Etwa die, warum Djokovic am 17. Dezember an einer offiziellen Feier in Belgrad teilnahm, bei der eine Briefmarke zu seinen Ehren vorgestellt wurde – alles bei einer Veranstaltung ohne Masken und Abstandsregeln. Und warum der 34-jährige Weltranglisten-Erste an jenem Tag auch noch für ein Gruppenfoto mit erfolgreichen Tenniskids posierte und diverse Selfies zuließ? Ob Djokovic Schwierigkeiten bei der Einreise hatte, weil die Bescheinigung seiner Infektion den Grenzschützern nicht ausreichend valide erschien, weil sie Zweifel an seinen Papieren hatten, tritt erst vor Gericht klarer zu Tage. Fakt ist ja auch dies: Die festgesetzte Frist für den Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zum Start in Melbourne war am 10. Dezember verstrichen, zu diesem Zeitpunkt konnte Djokovic noch keine stichhaltigen Gründe vorgewiesen haben.

    Ein günstiges Licht wirft die Affäre nicht auf den kontroversen Charakter Djokovic, der seit zwei Jahren mit allerlei Corona-Irrungen und Wirrungen aufgefallen war. Und der nun sogar die Hauptfigur in einer Staatskrise zwischen Australien und seinem Heimatland Serbien ist, das gegen die Behandlung des Superstars protestierte, weil er am Mittwoch rund zehn Stunden am Flughafen festgesetzt worden war, getrennt von seinem Team verhört wurde und in einem Vorstadthotel schmorte.

    Auch seine Familie machte im Zuge des weltweit beachteten Schauspiels ganz nebenbei wieder von sich reden: Djokovics Vater ernannte seinen Sohn zum „neuen Anführer der freien Welt“, zum modernen Spartakus. Und er verstieg sich zur Behauptung, man könne Djokovics Behandlung mit dem Schicksal von Jesus vergleichen. Geliebt werde „Nole“, so der Papa, nur in China und Russland: „Dort respektieren ihn die Menschen.“

    Immer mehr Menschen versammeln sich vor dem Hotel, in dem Djokovic zuletzt auf seine Einreise wartete.
    Immer mehr Menschen versammeln sich vor dem Hotel, in dem Djokovic zuletzt auf seine Einreise wartete. Foto: Mark Baker, AP/dpa

    Bei seinen Tennis-Weggefährten hielten sich die Solidaritätsadressen in eher bescheidenen Grenzen. Vor anderthalb Jahren hatte Djokovic in einem ziemlich provokanten Akt, direkt vor den US Open 2020, eine neue Spielergewerkschaft gegründet und sich zum provisorischen Co-Präsidenten ernannt. Er wolle für mehr Gerechtigkeit, Solidarität, mediale Beachtung und eine bessere Bezahlung seiner Kollegen streiten, sagte Djokovic damals. Nun blickte der Rest der Tenniskarawane eher pikiert auf diesen Anführer, der mit der filmreifen Story die Schlagzeilen klaute und, wie ein Top-Ten-Spieler bemerkte, „kein gutes Bild von unserem Sport lieferte“.

    Nadal ruft zum Impfen auf

    Tatsächlich wird ja Down Under längst Tennis vor den Australian Open gespielt. Einer seiner großen Gegenspieler, der spanische Matador Rafael Nadal, trat in Melbourne bei einem Vorbereitungsturnier an, gab dabei klar und deutlich dies zur Causa Djokovic zu Protokoll: „Wenn er wollte, würde er hier ohne Probleme in Australien spielen. Er hat seine eigene Entscheidung getroffen. Jeder ist frei, seine eigene Entscheidung zu treffen, aber das hat Konsequenzen, oder? Die Welt hat schon genug gelitten. Lasst euch impfen.“

    In Zeiten von Corona war Djokovic zwar einer der schlagkräftigsten Akteure im Tennisbetrieb gewesen, im vergangenen Jahr gewann er drei von vier Grand-Slam-Titeln. Zugleich war der „Djoker“ aber nie ein Gewinner wie andere Superstars, die sich teils an die Spitze der Impfkampagne stellten – und die verstanden, wie privilegiert sie mit ihrer ungehinderten Reisetätigkeit in der weltweiten Gesundheitskrise waren. Djokovic aber redete Verschwörungspredigern und esoterischen Scharlatanen das Wort, er tat kund, dass er seit Jahren keine Zeitungen lese und Nachrichten verfolge, weil nur Propaganda verbreitet werde, „die den Eliten passt“.

    Rafael Nadal äußert sich klar zum Fall Djokovic.
    Rafael Nadal äußert sich klar zum Fall Djokovic. Foto: James Ross, dpa

    Als Djokovic vor einiger Zeit einmal gefragt wurde, wie er sich selbst jemandem beschreiben würde, der noch nie von ihm gehört habe, sagte er nach einigem Zögern: „Die schlechten Seiten? Er ist manchmal eifersüchtig. Er ist vielleicht ein Stück zu emotional, zu ehrgeizig. Das Gute: Er ist ein kommunikativer Mensch. Voller Energie, voller Leben. Er zeigt ganz offen seine Seele nach draußen. Und er ist verantwortungsvoll und freundlich.“ Manches könnte man auch jetzt noch, Anfang 2022, unterschreiben. Aber die schwere, längst nicht mehr unerhebliche Einschränkung gibt es schon. Denn in der Corona-Krise war er eben kein Vorbild, keine weitblickende, solidarische Führungsfigur. Sondern er trat als Mann mit einer Art Allmachtsfantasie auf, als ichbezogener Akteur, der Gemeinsinn in entscheidenden Momenten nicht vorlebte.

    Oft handelte Djokovic in der größten Gesundheitskrise der letzten Jahrzehnte nach dem Motto: Ich tue, was mir gefällt. So war das auch schon bei seiner missratenen Adria-Tour im Frühling 2020 gewesen, die vor vollen Zuschauerrängen und mit ausufernden Partynächten über die Bühne ging. Das fatale Nachspiel waren infizierte Beteiligte, am Ende steckten sich auch er selbst und seine Ehefrau Jelena an. Damals lästerte ein amerikanischer Profikollege in einer WhatsApp-Gruppe: „Es sieht so als, als habe er dem Erdball den Mittelfinger zeigen wollen.“

    Die Mutter sagt: "Novak fühlt sich auserwählt von Gott"

    Vielleicht fühlen sich Djokovic und seine Umgebung von irdischen Beschwernissen und Gesetzmäßigkeiten befreit. So erklärte sich Djokovics Mutter Dijana mit erstaunlicher Begründung zur heimlichen Wegbereiterin des Wimbledon-Triumphs 2018. Als sich Gegenspieler Roger Federer seinerzeit zwei Matchbälle im fünften Satz des Finalkrimis erkämpft habe, da habe sie zu ihrem Kreuz vom Fluss Don gegriffen und um den Sieg des Sohnes gebetet. „Und dann hat Novak die Matchbälle abgewehrt und gewonnen. Er wurde von Gott gerettet“, sagt die Mama. „Auch Novak glaubt an Gott. Er fühlt sich auserwählt. Er trägt ein Kreuz, das ihm Frieden und Glück bringt.“

    Boris Becker sprach beim ATP Cup im Februar 2020 mit Novak Djokovic.
    Boris Becker sprach beim ATP Cup im Februar 2020 mit Novak Djokovic. Foto: Darren England, AAP/dpa

    Allerdings vertraut Djokovic, wie man in der Corona-Lage erfahren musste, eher mehreren Göttern. Oder Götzen. Bei aller Vernunft und Kühle, die sein hocheffizientes Spiel inzwischen prägen, ist eins verwunderlich: sein Hang zu Esoterik, Pseudowissenschaft, zur alternativen Medizin. Auch seine Nähe zu Scharlatanen oder Mental-Gurus, die wie der Spanier Felipe Imaz ein merkwürdiges Frieden-und-Liebe-Mantra predigen. Als Djokovic sich den Parolen des asketischen Iberers zuwandte, verließ ihn bald Erfolgstrainer Boris Becker.

    Kurz nachdem er sich in der Corona-Krise als Impfgegner geoutet hatte, präsentierte er sich als Fan einer bizarren Theorie. In einem Gespräch mit seinem vermeintlichen „Bruder“ Chervin Jafariah, einem ehemaligen iranischen Immobilienmakler, stellte der Weltranglisten-Erste die Behauptung auf, Menschen könnten mit purer Gedankenkraft die Moleküle verschmutzten Wassers reinigen. Ob ihn Ehefrau Jelena einbremsen konnte? Eher zweifelhaft. Schließlich verstörte die ambitionierte Gattin ihrerseits mit der Weiterverbreitung eines dubiosen Instagram-Beitrags, in dem nebenbei die Corona-Pandemie als Folge der neuen 5G-Technologie erklärt wurde. Er und Jelena, sagt Djokovic, seien „Seelenverwandte“.

    In seiner Heimat unterstützt Djokovic benachteiligte Kinder

    Der Mann ist in der Tenniswelt bekannt dafür, seinem Tun und Handeln stets einen wortreichen philosophischen Überbau zu verleihen, das banale Analysieren von Taktik, Strategie und Schlägen ist ihm nicht mehr genug. Er kann sehr einnehmend sein, charmant, offenherzig, humorvoll. Stets zu Scherzen aufgelegt, so wie in seinen wilden Frühzeiten, als er bühnenreife Imitationen der lieben Mitstreiter zum Besten gab. Er ist auch ein bemerkenswerter Wohltäter, kümmert sich mit seiner Stiftung um benachteiligte Kinder vor allem in der Heimat. Viel habe er sich indes „kaputtgemacht“ in den letzten Wochen und Monaten, sagen selbst Bekannte und Freunde, die Bodenhaftung sei verloren gegangen.

    Viele Probleme haben auch mit der ewigen Rivalität Djokovics zu den anderen Weltstars der Szene zu tun, zum Schweizer Maestro Federer und zum spanischen Matador Nadal. Eine Rivalität, die Segen war, weil Djokovics Klasse mit der Herausforderung wuchs, die beiden Titanen vom Sockel zu stoßen. Aber auch ein Fluch, denn der „Djoker“ wollte nur zu gern auch genauso umschwärmt und geliebt werden wie seine beiden Mitbewerber um Titel und Trophäen, konnte auf dem Feld der Sympathie-Hitlisten aber nie mit dem etablierten Duo mithalten. Der verzehrende Ehrgeiz, sich in die Geschichtsbücher über alle möglichen sportlichen Rekorde einzutragen und die Wahrnehmung von Federer wie Nadal zu minimieren, schadete dem zweifachen Familienvater nicht selten. Oft beklagte Djokovic, er werde schlechter behandelt als seine vermeintlich privilegierteren Rivalen, er verrannte sich in Kontroversen und versuchte in der höheren und niederen Tennispolitik immer wieder die Macht und den Einfluss von „Fedal“ zu beschneiden.

    Djokovics Eskapaden erinnern an eine Mahnung, die einst der gewiefte Großmanager Ion Tiriac seinem Teenager-Schützling Boris Becker mit auf den Weg gab. Man könne sich über Jahre Hochachtung, Respekt und Anerkennung aufbauen, so Tiriac, „aber du kannst alles mit einem Fehler zerstören. An einem Tag“. In Australien jedenfalls ist die Liebe der Tennisfans zum neunmaligen Melbourne-Champion ziemlich erkaltet, dem Star aus dem Abschiebehotel in Carlton.

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