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Tennis: Jannik Sinner ist der neue "Rote Baron" der Tenniswelt

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Jannik Sinner ist der neue "Rote Baron" der Tenniswelt

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    Jannik Sinner setzte sich in Turin gegen den Weltranglisten-Ersten durch.
    Jannik Sinner setzte sich in Turin gegen den Weltranglisten-Ersten durch. Foto: Marco Alpozzi/LaPresse via AP, dpa

    Am Ende hatte er indirekt auch den Mann geschlagen, von dem er seinen Spitznamen geerbt hat. Jannik Sinner ist der neue "Rote Baron" in der Tenniswelt, und für den, den sie früher einmal im Wanderzirkus so nannten, Boris Becker nämlich, war am Donnerstagabend erst einmal die Trainermission beim jungen Dänen Holger Rune, 20, beendet. Sinner schlug Rune in drei hart umkämpften Sätzen mit 6:2, 5:7 und 6:4, für ihn, den beeindruckenden Lokalmatador, waren noch alle WM-Träume intakt. Das Gespann Rune/Becker aber musste die Koffer packen, auch weil Sinner nicht der Versuchung erlag, die letzte Vorrundenaufgabe mit gebremster Energie anzugehen. Und mit einer Niederlage Rune statt Novak Djokovic den Weg ins WM-Wochenende zu ebnen. "Daran habe ich keine Sekunde gedacht", sagte Sinner, "wenn du damit anfängst, hast du hier nichts verloren." Es sei wichtig, so Sinner, "nicht den starken Rhythmus und das Selbstbewusstsein aufs Spiel zu setzen".

    Es kann gut sein, dass Sinner es bei diesem Saisonfinale noch einmal mit Djokovic zu tun bekommt, am Sonntag im Endspiel vor den eigenen Fans. Aber zu fürchten braucht der 22-Jährige aus dem Südtiroler Pustertal gerade nichts und niemanden – bei der WM ist er bisher der einzige Akteur, der wirklich durchgehend Stärke und Überzeugung ausstrahlt. Schon jetzt hat er für sein Heimatland neue Bestmarken aufgestellt – als erster Tennisprofi, der es bei einer WM in die Vorschlussrunde geschafft hat, als Nummer vier der Weltrangliste. Und im Großen und Ganzen scheint er auf als einer, dem in der Zukunft alle Türen offen stehen, vielleicht als das größte Versprechen der Branche neben dem Spanier Carlos Alcaraz. Sinners Sieg über Rune war bereits der 60. Erfolg in dieser Spielzeit, in der er, ganz nebenbei, schon gegen zwei jeweils amtierende Nummer-eins-Spieler gewann – gegen Alcaraz und Djokovic.

    Carlos Alcaraz ärgerte sich über die vielen verschiedenen Bälle, die bei der ATP-Tour im Einsatz waren.
    Carlos Alcaraz ärgerte sich über die vielen verschiedenen Bälle, die bei der ATP-Tour im Einsatz waren. Foto: Marco Alpozzi, dpa

    Die terminlich überfrachtete Tennis-Saison fordert ihren Tribut

    Sinner wirkte zuweilen wie der einzige Aufrechte in einer müden, gebeugten Tennis-Karawane, die sich zum letzten großen Showdown im Norden Italiens versammelt hatte. Ein keineswegs neuer Tatbestand und Befund, denn die Aufregungen um angeschlagene, verletzte und erschöpfte Hauptdarsteller beim eigentlichen Star-Event mit Glitzerfaktor gehören inzwischen zur schlechten Tradition im Weltklassetennis. Die mit zu vielen Terminen überfrachtete und einem schlecht konstruierten Jahreskalender belastete Saison fordert inzwischen regelmäßig auf der Zielgeraden ihren Tribut. 

    Einige wenige Matches mit Klasse und Substanz können nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Tennisherbst das Niveau merklich absinkt und viele Branchengrößen beinahe buchstäblich am Stock gehen. Das Beste kommt zum Schluss – es ist schon länger, zu lange allenfalls ein PR- und Marketingslogan der Veranstalter. Trauriger Höhepunkt bei dieser WM: die Aufgabe des Griechen Stefanos Tsitsipas nach nur drei Spielen in der Partie gegen Becker-Schützling Rune – ein Eklat, den das zahlende Publikum in Turin mit Pfiffen, Buhrufen und derben Wortmeldungen in Richtung des lädierten Hellenen quittierte.

    Carlos Alcaraz ärgerte sich über die Bälle: "Es ist verrückt"

    Ein interner ATP-Streit sorgte zusätzlich für Unruhe – die hitzig geführte Diskussion um die Bälle im Wanderzirkus, die von beinahe jedem Turnierverantwortlichen eigenmächtig eingekauft werden. "Wenn ich richtig gehört habe, haben wir in diesem Jahr mit 20 oder 21 unterschiedlichen Bällen gespielt. Es ist verrückt", gab verärgert der spanische Himmelsstürmer Carlos Alcaraz zu Protokoll. Man müsse sich nicht wundern, wenn die Verletzungsanfälligkeit der Spieler weiter zunehme, so Alcaraz, "wer die besten Spieler bei seinen Turnieren haben will, muss da endlich was ändern". Der Wimbledon-Champion machte kein Hehl daraus, auf den letzten Metern des Tennisjahres nicht mehr ganz auf der Höhe seines Könnens und seiner Kunst zu sein, die zweite Saisonhälfte sei für ihn generell "schon sehr anspruchsvoll" gewesen: "Du merkst, was du alles hinter dir hast."

    Am Wochenende soll das Geschehen in den Halbfinals und im Endspiel noch einmal Fahrt aufnehmen – wenn das den ausgelaugten Meisterspielern denn noch möglich ist. Dabei ist die Saison am Sonntag mit dem letzten WM-Ballwechsel noch keineswegs zu Ende, in der kommenden Woche ist das Davis-Cup-Finalturnier in Malaga anberaumt. Djokovic, der Nummer-eins-Mann, will auch dort antreten, jedenfalls gilt bisher seine Startzusage für das Team Serbien. Die Winterpause, die Zeit für Regeneration danach, ist kurz, schmerzlich kurz. Schon Ende Dezember rollt die ganze Tennis-Maschinerie in Australien wieder aufs Neue an.

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