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Sportgeschichte: Als Tonya Harding die Karriere von Nancy Kerrigan zerstören wollte

Sportgeschichte

Als Tonya Harding die Karriere von Nancy Kerrigan zerstören wollte

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    Keines Blickes würdigen sich die beiden amerikanischen Eiskunstläuferinnen Tonya Harding (l) und Nancy Kerrigan während des Trainings im Februar 1994 in der Eishalle von Hamar/Norwegen.
    Keines Blickes würdigen sich die beiden amerikanischen Eiskunstläuferinnen Tonya Harding (l) und Nancy Kerrigan während des Trainings im Februar 1994 in der Eishalle von Hamar/Norwegen. Foto: Andrea Altwein, dpa

    Ihr Name ist ein anderer. Seit ihrer dritten Hochzeit im Jahr 2010 heißt sie Tonya Price. Und sie legt auch Wert darauf, so genannt zu werden. Das ist durchaus nachvollziehbar. Welche Frau möchte nach dem Ja-Wort nicht gerne mit dem Namen ihres Ehemannes angesprochen werden? Doch in ihrem Fall ist das eben etwas komplizierter. Sie ist keine gewöhnliche Frau. Sie hat eine ungewöhnliche Vergangenheit. Ihr Name ist verbunden mit einem der größten Skandale der US-amerikanischen Sportgeschichte. Und deshalb ist immer noch Tonya Harding – und wird dies wohl auch für den Rest ihres Lebens bleiben. Zumal sie selbst betont, dass "die Leute mich als Tonya Harding kennen".

    Es ist der 6. Januar 1994, als Tonya Harding nicht nur das Interesse der Eiskunstlauf-Fans auf sich zieht, sondern auch das des FBI. In der Detroiter Cobo Arena stehen die US-Meisterschaften an, bei denen die beiden amerikanischen Starterinnen für die Olympischen Winterspiele sechs Wochen später in Lillehammer ermittelt werden. Alle freuen sich auf das Duell von Tonya Harding gegen Nancy Kerrigan. Doch dazu kommt es nicht.

    Nancy Kerrigan schreit nach dem Training auf: "Why? Why?"

    Als Kerrigan nach dem Training vom Eis Richtung Katakomben geht, schreit sie plötzlich lautstark auf. Hinter einem Vorhang hatte jemand mit einem Polizeistock auf ihr rechtes Knie geschlagen. "Why? Why?", fragt Kerrigan am Boden sitzend vor Schmerz und unter Schock. Doch auf ihr "Warum?" gibt es zunächst keine Antwort. Während Kerrigan die Titelkämpfe absagen muss, betont Harding, wie leid ihr ihre Kontrahentin tue, dass sie ihr baldige Genesung wünsche und sich doch so auf den Wettstreit mit Kerrigan gefreut habe.

    Kerrigan gilt als Amerikas Darling. Sie kommt aus einem liebevollen Elternhaus, wirkt auf dem Eis elegant und graziös. Auch ohne WM-Titel und Olympiasieg verdient sie durch Werbung bereits viel Geld. Harding ist das komplette Gegenteil, wird von ihrer strengen Mutter oft getriezt. Und trotz ihrer unglaublichen Sprungkraft entspricht sie mit ihren blonden Locken und dem kräftigen Körper nicht dem Ideal der wunderschönen Eisprinzessin. Ihre Hoffnung: Olympiasiegerin werden und den Titel anschließend mit lukrativen Sponsorenverträgen vergolden. Den ersten Schritt macht sie in Detroit, gewinnt die US-Meisterschaften.

    Tonya Harding tritt trotz den Vorwürfen bei den olympischen Spielen an

    Auch Kerrigan fliegt nach Lillehammer, erhält vom US-Verband einen Freifahrtschein. Die allmählich aufkommenden Gerüchte, dass Harding etwas mit der Attacke zu tun haben könnte, weist die Beschuldigte entschieden zurück. "Ich verstehe gar nicht, warum mich jemand diskreditieren will." Das FBI weist letztlich nach, dass ihr einstiger Ehemann sowie dessen Kumpel jemanden bezahlt hatten, um Kerrigan zu verletzen. Der Druck auf Harding wächst und zwei Wochen vor den Winterspielen gibt sie zu, nach dem Vorfall einige Sachen mitbekommen, diese aber nicht der Polizei gemeldet zu haben.

    Viele erwarten, dass Harding die Konsequenzen zieht und auf einen Olympiastart verzichtet. Doch die denkt gar nicht daran. Ihr sei es egal, was man von ihr halte, sie wolle allen zeigen, dass sie zu den Besten gehöre, sagt Harding in Lillehammer. Halb Amerika sitzt am 25. Februar 1994 vor dem Fernseher, um Tonya gegen Nancy zu sehen. Da verkommt selbst das Olympia-Comeback von Katarina Witt zur Randnotiz. Doch das vermeintliche Duell um Gold ist keines. Kerrigan holt Silber, Harding reißt beim Warmlaufen zur Kür das Schuhband. Sie kommt komplett durcheinander, patzt mehrfach und wird nur Achte. Olympiasiegerin wird Oksana Bajul aus der Ukraine.

    Tonya Harding war erfolgreich – aber nie der Liebling der Öffentlichkeit.
    Tonya Harding war erfolgreich – aber nie der Liebling der Öffentlichkeit. Foto: Hpl, dpa

    Tonya Harding gehasst, beschimpft und verfolgt

    Kerrigan hat ihrer einstigen Widersacherin mittlerweile verziehen. "Ich habe ihr immer das Beste gewünscht. Sie hat Familie, ich auch – darauf sollten wir uns fokussieren. Es ist Zeit, nach vorne zu schauen", meinte sie in einem TV-Interview 2014. Während Kerrigan nach wie vor äußerst populär ist, wurde Harding gehasst, beschimpft und verfolgt. "Leute haben meine Haustür, meinen Briefkasten und meine Trucks mit Kot beschmiert", sagte sie der Tageszeitung New York Times. Das Image der Eishexe konnte sie bis heute nicht ablegen. Vielleicht liegt es an den mittlerweile vergangenen 30 Jahren, dass einige denken, Harding hätte damals Kerrigan mit dem Knüppel geschlagen. "Ich wusste, dass der Vorfall mein ganzes Leben lang mit mir verbunden sein würde", betont die mittlerweile 53-Jährige.

    Sie war die erste US-Amerikanerin, die einen dreifachen Axel gestanden hatte. Sie gehörte bei den Weltmeisterschaften 1991 in München zum erfolgreichen US-Frauen-Trio, das alle drei Medaillen gewann. Kristi Yamaguchi holte Gold, Harding Silber, Kerrigan Bronze. Nie zuvor und nie danach war das bei den Frauen einer Nation gelungen. Doch all das ist nicht wichtig oder schon vergessen. Wenn der Name Tonya Harding fällt, geht's um Kerrigans Knie und um einen Knüppel.

    Wenige Wochen nach Lillehammer wurde Harding wegen Justizbehinderung zu drei Jahren Haft auf Bewährung und 500 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Hinzu kamen diverse Geldstrafen, deren Gesamtsumme sich auf 160.000 Dollar belief. Und der US-Eislauf-Verband schloss sie auf Lebenszeit aus. Durch Tonya und Nancy ist Eiskunstlaufen in den USA nach den Winterspielen 1994 so populär wie nie geworden. Viele haben davon profitiert – nur Tonya Harding nicht. Sie hat bis heute finanzielle Probleme und verdient sich mit Gelegenheitsjobs ihren Lebensunterhalt. Mal als Schweißerin, mal als Malerin. Zwischendurch war sie Verkäuferin in einem Baumarkt. Und 2003 versuchte sie es sogar mit einer Boxerkarriere. Doch jedes Mal wenn sie in den Ring stieg, wurde sie gnadenlos ausgebuht.

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