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Sport im Alter: Wissenschaftler fordert: Alte müssen ins Fitnessstudio

Sport im Alter

Wissenschaftler fordert: Alte müssen ins Fitnessstudio

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    Um den Muskelabbau zu verlangsamen, sollten ältere Menschen Krafttraining machen.
    Um den Muskelabbau zu verlangsamen, sollten ältere Menschen Krafttraining machen. Foto: Oliver Berg, dpa

    Guten Morgen Herr Halle, haben Sie heute schon Sport gemacht?

    Martin Halle: Ja, ich war 15 Minuten auf meinem Fahrrad-Ergometer zu Hause und bin dann, wie immer, mit dem Rad zur Arbeit gefahren. 

    Ist es der Schlüssel zum Erfolg, regelmäßig Sport zu machen, auch wenn die einzelnen Einheiten nicht allzu lang sind?

    Halle: Ja. Bei 15 Minuten würden viele sagen, dass das gar nichts bringt. Aber das ist Quatsch. Es ist absolut so, dass die kleinen Einheiten viel für die Gesundheit bringen. Aber dann muss es natürlich regelmäßig sein, also jeden Tag – das ist auch klar. 

    Gibt es eine Altersgrenze für Sport?

    Halle: Nein. Wir haben hier bei uns eine Studie laufen, die heißt „Bestform – Sport kennt kein Alter“ mit Fitness-Training in Altenheimen, und damit ist die Frage auch schon beantwortet. Ich glaube, dass es unbedingt einen Paradigmenwechsel braucht. Wir haben es jetzt mit einer zunehmend älter werdenden Generation zu tun, also immer mehr Menschen über 80 Jahre, die keine Fitnessstudios kennen und früher bestenfalls Übungen von Turnvater Jahn gemacht haben. Da müssen wir ein Verständnis schaffen, dass genau diese Menschen ins Fitnessstudio gehören. 

    Warum?

    Halle: Weil das im Alter von größter Bedeutung ist. Vor allem, um Stürze zu vermeiden. Und selbst wenn man stürzt, kann sich ein Trainierter besser abfangen. Außerdem wirkt Krafttraining Osteoporose entgegen. Ähnlich wie bei der Muskulatur, muss auch Druck und Zug auf die Knochen kommen, damit dieser keinen Kalk verliert und sich stabilisiert. Das sind entscheidende Aspekte, die gerade im Alter von Bedeutung sind. Deswegen ist mein Dogma: Alte müssen ins Fitnessstudio. 

    Gemeinerweise beginnt der Körper schon relativ früh damit, Muskulatur abzubauen. Wann setzt dieser Prozess ein?

    Halle: Im Prinzip kann man sagen, dass das zwischen dem 40. und 45. Lebensjahr beginnt. Das verläuft schleichend und man merkt dies in den ersten 10, 15 Jahren noch nicht. Aber wer dann 60 geworden ist, der weiß ganz genau, dass die Muskulatur nicht mehr die ist, die sie noch mit dem 40. oder 45. Lebensjahr war. Die gute Nachricht ist: Man kann auch jenseits der 60 noch Muskulatur aufbauen. Entscheidender ist aber, sie zwischen 45 und 60 so gut wie möglich zu erhalten. Wir alle haben zwar immer einen kleinen Abbau über die Zeit, auch wenn man trainiert, aber die Ausgangslage ist eine sehr viel bessere. 

    Also selbst wenn ich mein Leben lang keinen Sport getrieben habe, ist es nie zu spät, noch damit anzufangen?

    Halle: Ganz genau. Natürlich muss man langsam beginnen und niedrige Gewichte auflegen. Ich spreche da von Krafttraining. Die Kombination aus Kraft, Koordination und Ausdauer ist wichtig. Im Prinzip lässt sich aber sagen: Je älter man wird, desto mehr gewinnt das Krafttraining wegen des Muskelabbaus an Bedeutung. Oft wird empfohlen, möglichst jeden Tag 10.000 Schritte zu tun. Aber wo steht in den Empfehlungen etwas zum Koordinationstraining? Und wie schaut es mit Krafttraining aus? Das sind genau die zwei Komponenten, die dazugehören. Das gilt auch für mich. 15 Minuten auf dem Fahrrad, schön und gut. Aber ich bin jetzt 61 und muss auch Krafttraining machen. Eben kam schon einer meiner Mitarbeiter rein, den ich dazu „verdonnert“ habe, einmal am Tag mit mir Krafttraining zu machen, weil es so entscheidend ist. 

    Stimmt der Ausspruch: Ausdauer-Training verlängert das Leben, Krafttraining steigert die Lebensqualität?

    Halle: So einfach kann man das nicht runterbrechen. Das Hauptproblem im höheren Alter sind einfach die Stürze. Die Leute brechen sich den Oberschenkelhals, kommen in die Klinik, holen sich eine Lungenentzündung und versterben. Das kommt leider sehr häufig vor. Im mittleren Alter bis vielleicht 65 Jahre würde ich zustimmen, dass Ausdauertraining absolut sinnvoll ist. Aber dann, wenn wir Richtung 75 plus kommen, bin ich der Meinung, dass es um mehr geht. Lebensqualität ist dann, dass ich zum Bäcker gehen kann. Zum Bäcker muss ich ein paar Treppen steigen und die Tüte tragen. Da brauche ich Kraft und kein Ausdauertraining. 

    Wenn jetzt jemand also entscheidet, er oder sie möchte Krafttraining beginnen: Wie konkret kann das aussehen?

    Halle: Wenn wir von älteren Menschen sprechen, geht es darum, dass man mit ganz einfachen Körpergewichtsübungen beginnt. Der Fokus liegt auf der Oberschenkelmuskulatur. 

    Haben Sie Vorschläge?

    Halle: Ja, zwei Übungen. Die erste sind Kniebeugen. Ich stehe schulterbreit und gehe ganz klassisch mit dem Gesäß nach unten. Das aktiviert die Muskulatur. Wenn ich dann alle zwei Stunden fünf davon mache, ist das für ältere Menschen schon ausreichend. Manche schaffen zum Beispiel auch nur zwei, aber das macht nichts. Erst einmal gilt es zu schauen: Wo stehe ich eigentlich? Jede Basis ist okay. Wenn ich in der ersten Woche dreimal am Tag zwei Kniebeugen schaffe, mache ich in der nächsten Woche vielleicht schon viermal zwei. Am Anfang bekomme ich vielleicht Muskelkater, aber ich habe angefangen und kann dann steigern. 

    Und wie sieht die zweite Übung aus?

    Halle: Man sitzt mit dem Rücken im 90-Grad-Winkel an der Wand. Das ist eine isometrische Belastung – also ohne Gelenkbewegung, nur die Muskulatur wird aktiviert. Dies ist gerade für Menschen mit Knieproblemen gut. Ältere schaffen manchmal gar keine 90 Grad, dann mache ich eben 100 oder 110 Grad, also weniger tief sitzend an der Wand, und schaue erst einmal, wie das geht. Damit habe ich zwei sehr gute Übungen und ich empfehle meinen Patienten immer, dass sie die vor dem Frühstück, Mittag- und Abendessen machen. Mann muss das Training in den Alltag integrieren und sich eine Regelmäßigkeit geben. Keine Gabel in die Hand, bevor ich meinen Körper nicht aktiviert habe. 

    Wie kann ich den Oberkörper aktivieren?

    Halle: Da empfehle ich Wandliegestütze. Wenn ich einen halben Meter oder Meter von der Wand entfernt stehe, sind die relativ einfach. Wenn ich eineinhalb Meter weg bin, ist es schon schwieriger. Auch das ist eine Übung, die sehr variabel, für den Einzelnen modifizierbar und damit leicht umsetzbar ist. Damit belaste ich übrigens nicht nur Muskeln der Arme und im Schulterbereich, sondern habe auch eine Aktivierung der Rumpfmuskulatur. Denn die Übung funktioniert nur, wenn ich den Rumpf anspanne. Das gilt auch für die anderen beiden Übungen. Für die Koordination insgesamt ist es entscheidend, den Rumpf zu stabilisieren. Das gilt für jung und alt. 

    Wie geht es dann weiter?

    Halle: Diese Übungen sind die Basis. Wenn man daran Spaß gefunden hat und weitermachen will, dann ist der Weg in ein angeleitetes Training sinnvoll. Ein solches gibt es inzwischen sehr oft in Physiotherapie-Einrichtungen. Wichtig ist dabei in meinen Augen, dass man durchaus auch im höheren Alter irgendwann schwerere Gewichte mit weniger Wiederholungen bewegt. Weil man eben weiß, dass der Muskel belastet werden muss, wenn er aktiviert werden und wachsen soll. 

    Ein weiteres Stichwort war Koordination. Was würden Sie da empfehlen?

    Halle: Eine Übung wäre, dass ich auf einem Bein an der Wand stehe und mich mit der ganzen Hand oder nur ein paar Fingern abstütze. Dadurch habe ich eine unterschiedliche Kontrolle, wenn ich mit dem anderen Bein beispielsweise eine Acht in die Luft male. Es geht darum, das Gleichgewicht zu halten und vielleicht schaffe ich es, die Hand ganz von der Wand zu nehmen. 

    Wie wichtig ist es, dass man Fortschritte und Trainingserfolge sieht?

    Halle: Das ist total wichtig. Gerade am Anfang sieht man relativ schnell Erfolge, weil viele Leute auf einem niedrigen Koordinations- und Fitnessniveau starten. Das Sitzen an der Wand können sie erst einmal 25 Sekunden lang durchhalten. Die Woche drauf sind es dann schon 35 Sekunden. Ich rate immer, das auch aufzuschreiben. Die Erfolge motivieren und das ist in den ersten sechs Wochen entscheidend. Die Menschen müssen erst reinkommen in eine Routine. Nach sechs Wochen können sie dann gar nicht mehr anders. Dann ist es zur Regel geworden, vor dem Essen die Übungen zu machen. 

    Gibt es beim Thema Sport Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

    Halle: Es gibt auf jeden Fall unterschiedliche Typen. Es gibt sehr schlanke Frauen, die im Alter noch schlanker werden, noch mal mehr Muskulatur verlieren und häufig ausgeprägte Osteoporose haben. Da sind die etwas Fülligeren eher gefeit. Als Übergewichtiger schleppe ich ja eine ganze Menge zusätzliches Gewicht mit mir herum und habe damit weniger Osteoporose und immer auch eine Muskelaktivierung. Bei Männern ist das genauso. Festmachen würde ich das immer daran, wie die Beine aussehen. Wenn die Beine „Stecken“ sind, dann sind das Menschen, die das Krafttraining unbedingt brauchen. Insgesamt sind Frauen meistens disziplinierter, was das Training angeht. 

    Viele Sportler nehmen Nahrungsergänzungsmittel. Brauchen das ältere Menschen auch, beispielsweise Eiweiß?

    Halle: Für die Aktivierung brauchen sie kein Eiweiß. Trotzdem ist es sinnvoll, mehr Muskelmasse zu haben und das geht natürlich besser mit Eiweiß. Das heißt, dass man im Alter durchaus Eiweiß zuführen sollte. Ob man das jetzt morgens mit einem Quark macht oder Supplemente nimmt, lasse ich dahingestellt. Allerdings steht fest, dass die Eiweißzufuhr im Alter meistens nicht ausreichend ist. Aber umgekehrt bringt es nichts, nur Eiweiß zuzuführen. Das allein bewirkt keinen Muskelaufbau. Man muss dies schon mit Training kombinieren.

    Zur Person: Prof. Martin Halle, 61, ist ärztlicher Direktor des Lehrstuhls für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin an der TU München. Als einer der weltweit führenden Wissenschaftler forscht er zum Thema Prävention und Rehabilitation von Herzkreislauf- und Krebserkrankungen durch Änderungen im Lebensstil. 

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