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Wimbledon: Julia Görges ist plötzlich Geheimfavoritin

Wimbledon

Julia Görges ist plötzlich Geheimfavoritin

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    Julia Görges bestreitet heute das Halbfinale in Wimbledon. Damit war vor einem Jahr noch gar nicht zu rechnen gewesen.
    Julia Görges bestreitet heute das Halbfinale in Wimbledon. Damit war vor einem Jahr noch gar nicht zu rechnen gewesen. Foto: Nigel French/PA Wire, dpa

    Als das Jahr 2017 begann, war im deutschen Frauentennis noch alles klar geregelt. Erst kam die Nummer 1 der Weltrangliste, die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber – dahinter eine gefühlte Ewigkeit lang nichts. Auch Julia Görges war eine dieser Schattenfrauen, sie stand damals auf Platz 54 der Tennis-Charts. Keine Position, die zum Träumen einlud.

    Als die Saison 2017 dann endete, war nichts weniger als die Neuvermessung der Tenniswelt passiert. Weltweit. Und in Deutschland. Und Görges, die lange Zeit so Unscheinbare, spielte eine wesentliche Rolle in dieser aufregenden Machtverschiebung: „Es war unfassbar, wie sich da in ein paar Monaten alles verändert hat für mich. Das war traumhaft“, sagt die 29-Jährige.

    Julia Görges ist der Überraschungsgast im Halbfinale von Wimbledon

    Kerber steckte damals in der Krise, Görges rückte immer weiter in der Hackordnung nach oben. Dann kam die B-WM zum Saisonabschluss: Kerber schied früh aus und Görges stand als strahlende Siegerin im Konfettiregen. Sie kletterte auf Platz 14 der Weltrangliste, war plötzlich sogar die neue Nummer eins in Deutschland.

    Nun aber sind sie beide vereint stark, stehen beide im All England Lawn Tennis and Croquet Club im Halbfinale – im richtigen Moment auf der richtigen Bühne. In Wimbledon, diesem beinahe mythischen Ort. Dort, wo ein Pokaltriumph die sportliche Unsterblichkeit bedeutet.

    Wimbledonsiegerin, diesen Titel darf man stolz ein ganzes Leben lang vor sich hertragen. Kerber ist fast schon ein Stammgast in den zugespitzten Turnierrunden. Sie spielt am heutigen Donnerstag ihr drittes Wimbledon-Halbfinale, diesmal gegen Jelena Ostapenko. Einmal stand sie im Finale, 2016 war das. Serena Williams gewann damals, war aber nur eine Spur stärker als Kerber.

    Görges indes ist der Überraschungsgast unter den letzten Vier, für sie ist das Halbfinale gegen die siebenmalige Championesse Williams wie eine Belohnung für den goldenen Herbst ihrer Karriere, für den Dreh, den sie spät, aber noch rechtzeitig gefunden hat, um zur Weltklassespielerin im Wanderzirkus aufzusteigen. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich mehr aus meiner Karriere machen muss“, sagt Görges, „deshalb habe ich vor drei Jahren alles infrage gestellt und dann neu geordnet.“

    2011 hatte Görges als erste Spielerin aus der Generation des „neuen deutschen Fräuleinwunders“ (The Times) ein großes Turnier gewonnen – in Stuttgart gegen die damalige Weltranglistenerste Caroline Wozniacki (Dänemark). Doch es blieb erst einmal nur eine schöne Momentaufnahme. Görges war zu schwankend in ihrem Spiel. Sie machte nicht das Unmögliche möglich, sondern das Mögliche unmöglich. „Ich war oft enttäuscht, dass ich meine eigenen Ansprüche nicht erfüllen konnte“, sagt Görges, „da kommt man dann in so einen Strudel der negativen Emotionen.“

    Frustriert erlebte Görges, wie andere Deutsche an ihr vorbeizogen. Ihre Freundin Andrea Petkovic. Später dann mächtig und unaufhaltsam vor allem Kerber.

    Doch 2015 wagte Görges dann jenen radikalen Schritt. Die gebürtige Bad Oldesloerin brach ihre Zelte in Norddeutschland ab, siedelte nach Regensburg um und versuchte einen Neustart mit anderen Köpfen und Ideen. Michael Geserer, ein ruhiger und besonnener Mann, wurde Cheftrainer. Und Florian Zitzelsberger, Görges’ neuer Freund, kümmerte sich als Physiotherapeut und Athletiktrainer um die Fitness. „Eine Supertruppe“ sei das, sagt Görges, „da stimmt einfach alles. Wir sind wie eine kleine Familie.“

    Görges' Spiel passt nicht zu ihrem kühlen Intellekt

    Görges machte genau wie ihr Team nicht den Fehler, auf den schnellen Erfolg zu setzen. Sie verstand ihre persönliche Karrierereform als Langzeitprojekt. Und fand im unaufgeregten Geserer einen Partner im Geiste: „Im Tennis wird zu oft hektisch hin und her geschwankt. Mit Personen und Strategien. Das wollten wir nicht.“

    Görges’ immer wieder zu gefühlsbetontes, schwankungsreiches Spiel passte in der Vergangenheit eigentlich wenig zu ihrem kühlen Intellekt, zu ihrer Qualität auch, Probleme messerscharf zu analysieren. „Die Erfahrungen der letzten Jahre, auch die bitteren Erfahrungen, haben sie reifen lassen“, sagt Geserer. „Ich glaube, sie kann das Tennis jetzt zum ersten Mal so richtig genießen.“ Sie sei dankbarer für ihr Leben auf der Tour, habe nun das „gesunde Maß“ gefunden, sagt Görges selbst: „Ich bin so weit, Siege und Niederlagen richtig einordnen zu können. Es ist einfacher, wenn man sich nicht dauernd Druck macht.“

    Mit dem Selbstbewusstsein aus den jüngsten Erfolgsmonaten ging Görges in ihre Wimbledon-Mission. Dort, wo sie kaum je bleibenden Eindruck hinterlassen hatte, holte sie sich ihr bisher wertvollstes Karriereergebnis: die Mitgliedschaft im exklusiven Klub der letzten vier.

    Und wie geht Görges in das große Abenteuer der letzten Wimbledon-Tage, in dem plötzlich alle auch hier auf sie blicken, auf die verblüffende Aufsteigerin und plötzliche Geheimfavoritin auch im Grand-Slam-Titelrennen? Mit gesunder Zuversicht und frischem Optimismus: „Jedes Spiel ist eine Chance.“

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