Mit diesen Genen hatte Felix Neureuther keine andere Wahl, er musste einfach Skifahrer werden. Die Eltern des 29-Jährigen sind Rosi Mittermaier, besser bekannt als Gold-Rosi, und Christian Neureuther. Die Mutter gewann zweimal olympisches Gold (1976 in Innsbruck) und drei WM-Titel (ebenfalls 1976 und ebenfalls in Innsbruck), der Vater brachte es auf immerhin sechs Weltcupsiege. Nun schickt sich der Sohn an, nach dem Vater, den er mit inzwischen acht Weltcupsiegen hinter sich hat, auch die Mutter zu überholen.
Bei den Olympischen Spielen in Sotschi ist er im Slalom zusammen mit dem Österreicher Marcel Hirscher der Topfavorit auf Gold. Aber auch im Riesenslalom mauserte er sich jüngst zum ernsthaften Medaillenkandidaten. Beim Weltcup in Bormio stand er als erster Deutscher seit über 40 Jahren ganz oben auf dem Podest.
Diese Erfolge haben allerdings den Nachteil, dass die Erwartungen hierzulande enorm sind. Eine Situation, an der Neureuther bei der WM 2011 in seiner Heimat Garmisch-Partenkirchen noch gescheitert war und leer ausging. Zwei Jahre später, in Schladming, hielt er dem Druck stand und holte WM-Silber - nur geschlagen von dem österreichischen Nationalhelden Hirscher. In Sotschi werden die beiden wieder aufeinander treffen. Es wird einer der Höhepunkte der Spiele werden.
Dass Sie ein ausgezeichneter Slalomfahrer sind, wussten alle. Dass Sie aber auch im Riesenslalom einen Weltcup gewinnen könnten, galt lange als ausgeschlossen. Dann kam der Riesenslalom von Bormio und plötzlich stand Felix Neureuther ganz oben auf dem Podest. Wie wichtig ist es für einen Slalomspezialisten, auch im Riesenslalom erfolgreich zu sein?
Neureuther: Ich habe lang genug gekämpft, mir ein zweites Standbein aufzubauen. Der Riesenslalom hilft mir auch für den Slalom. Es sind ähnliche Bewegungsmuster. Die Fehler, die man im Slalom macht, kann man auch im Riesenslalom machen. So gesehen habe ich zwei Möglichkeiten, an meinen Fehlern zu arbeiten und das wirkt sich natürlich auf meinen Slalom aus. Mir tut der Riesenslalom einfach gut.
Durch Ihre jüngsten Erfolge im Weltcup gehören Sie in Sotschi zum engsten Favoritenkreis im Kampf um Gold. Die Erwartungshaltung ist groß und dadurch auch der Druck. Wie gehen Sie damit um?
Neureuther: Umso mehr Druck, umso besser ist es und umso emotionaler wird es. Solche Herausforderungen sucht jeder Sportler. Ohne Druck würde es nicht emotional werden und unser Sport lebt von Emotionen. Daher ist es die größtmögliche Herausforderung für uns, wenn der Druck am größten ist - und man ihn bewältigen kann. Das macht Spaß, aber das musste ich auch lernen. Genau diese Erkenntnis hat mich sehr viel weiter gebracht. Was wäre Fußball ohne Elfmeterschießen, wo die Drucksituation am größten ist? Druck ist die größte Herausforderung für einen Sportler. Genau so etwas will man haben.
Sport ist kein Hollywood-Streifen
In Sotschi wird der Druck maximal sein. Gibt es ein spezielles Rezept, wie Sie damit in den olympischen Rennen umgehen?
Neureuther: Im Endeffekt kann ich eh nur das machen, was ich kann. Wenn man in so einer Situation etwas besonderes machen will, geht sich das nur in den seltensten Fällen aus. Vielleicht in irgendwelchen Hollywood-Filmen, aber relativ selten im Sport. Ich konzentriere mich auf das, was ich kann und will das umsetzen. Und wenn ich das schaffe, wird es für die anderen einfach schwierig, mich zu schlagen. Genau so gehe ich in die Rennen bei den Olympischen Spielen. Besondere Sachen wollte ich früher machen - jetzt mache ich das, was ich kann und damit fahre ich besser.
Sie haben gerade das zweite Standbein Riesenslalom angesprochen. Inzwischen geistert aber auch schon das Thema Super-G durch die Zeitungen. Wird das Ihr drittes Standbein?
Neureuther: Nein, ich habe nur einmal gesagt: Man weiß nie, was kommt. Es kann alles passieren. Vielleicht fahre ich nächstes Jahr in Kitzbühel nur die Abfahrt (lacht). Ich weiß es nicht. Zuerst aber muss ich mich auf das konzentrieren, was ich kann. Über alles andere mache ich mir nach der Saison Gedanken.
Sie haben inzwischen schon einige Großereignisse erlebt. Wie ist Ihre Stimmungslage jetzt?
Neureuther: Mir geht’s gut. Ich mache nicht mehr und nichts anderes als letztes Jahr. Und da hat es gut funktioniert. Ich funktionier’ am besten, wenn ich Sachen genießen kann. Das ist nicht ganz einfach, aber ich versuche auch in Sotschi, die Olympischen Spiele einfach zu genießen. Ich versuche, den ganzen Flair und die ganzen Eindrücke mitzunehmen. Aus der WM im vergangenen Jahr habe ich sehr viel gelernt und mitgenommen. Vorhin haben wir über Druck gesprochen. Sehr viel größer als in Schladming kann der Druck gar nicht mehr sein. Daher freue ich mich sehr auf die Olympischen Spiele, die ich genießen werde. Dann passt das schon …
Im Slalom war es klar, dass Sie in Sotschi ein Medaillenkandidat sind. Gilt das jetzt auch für den Riesenslalom?
Neureuther: Bei meinem Sieg hat viel zusammengepasst. Für mich sind Ligety, Hirscher und Pinturault die drei absoluten Favoriten. Diese drei Jungs gilt es zu schlagen. Aber wenn alles passt, kann auch das gelingen. Trotzdem ist die Ausgangssituation für mich im Slalom eine andere als im Riesenslalom. Ich weiß, dass es passen kann, aber es muss schon sehr viel mehr zusammen kommen, als im Slalom. Es ist aber eine sehr schöne Situation, bei Olympischen Spielen zwei Möglichkeiten für eine Medaille zu haben.
Wird es im Slalom wieder das Duell Neureuther gegen Hirscher hinaus laufen?
Neureuther: Es gibt so viele mehr, die sehr sehr schnell sein können. Dass es zuletzt häufiger dieses Duell zwischen Marcel und mir um den Sieg gab, ist für Marcel und mich gut. Aber die anderen schlafen nicht und es gibt viele Jungs, die definitiv ein Wörtchen mitreden können.
Vor allem der 22-jährige Alexis Pinturault hat diese Saison auf sich aufmerksam gemacht. Wie schätzen Sie den Franzosen ein?
Neureuther: Das ist ein junger extrem guter Skifahrer mit brutal viel Energie. Er kann sehr, sehr schnell fahren und es geht definitiv nicht nur um Marcel und mich. Er ist der Mann, dem die Zukunft gehört.
Sie hatten den ganzen Sommer mit einer hartnäckigen Verletzung am Knöchel zu kämpfen und trotzdem gewinnen Sie nicht nur Slaloms, sondern auch einen Riesenslalom. Haben Sie schon eine Erklärung dafür?
Neureuther: Ich bin unerklärlich (lacht). Im Ernst, ich habe keine Ahnung. Wenn man eine Verletzung hat, die sich so lange hinzieht, muss man trotzdem versuchen, das Bestmögliche daraus herauszuholen. Ich verlerne deswegen ja nicht das Skifahren. Aber was schon ein Problem ist, dass die ganzen Bewegungsabläufe nicht mehr so selbstverständlich sind, wie sie es vorher waren. Trotzdem können gute Resultate zufällig passieren. Dass man diese aber konstant abrufen kann, ist schon was anderes. Wir hatten ein wirklich überragendes Training, die Trainer und Betreuer haben das sensationell gemacht. Wir konnten uns immer optimal vorbereiten und ich hatte inzwischen auch Zeit, zu trainieren. Und dann merkt man, wie man schneller und schneller wird. Für mich war immer klar, dass meine Saison erst im Januar beginnt. Und so gesehen, ist mir der Saisonstart ganz gut gelungen.
Neureuther optimistisch vor Olympia-Slalom
Trotzdem ist es doch erstaunlich, dass Sie trotz eines gewaltigen Trainingsrückstandes so gut wie nie unterwegs sind …
Neureuther: Aber das ist doch auch das Schöne an unserer Sportart. Es ist nicht so wie beim Ausdauersport, dass alles ganz genau und detailliert ablaufen muss. Bei uns spielen so viele Faktoren eine Rolle, so viele Wege können die richtigen sein. Das ist das Spannende bei uns und das macht auch das Skifahren aus.
Wie würden Sie den Zustand der deutschen Mannschaft vor Sotschi beschreiben?
Neureuther: Wir stehen absolut gut da. Ich habe ein paar Rennen gewonnen, Stefan Luitz ist schon aufs Podium gefahren, Fritz Dopfer wird immer besser. Ich denke, wir sind absolut im Soll und werden in Sotschi mit Sicherheit eine schlagkräftige Mannschaft haben.
Im Speedbereich dagegen sieht es nach der erneuten Verletzung von Tobias Stechert eher düster aus. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Neureuther: Da bin ich eigentlich zu weit weg. Aber man muss schon sagen, dass Tobi Stechert das Team richtig nach oben hätte ziehen können. Er hat aber sehr viel mit Verletzungen zu kämpfen. Es ist einfach das Hauptproblem, dass da keiner ist, der konstant vorne dabei ist und von dem sich die anderen mitziehen lassen können.
Sie haben im Vorfeld der Winterspiele in Sotschi deutliche Kritik am IOC geübt. Mit welchen Gefühlen fahren Sie nach Russland?
Neureuther: Ich probiere, mich einfach auf den Sport zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Das sind Olympische Spiele, das Größte für uns Sportler. Ich werde mich absolut fokussieren und daneben auch versuchen, das alles zu genießen. Ich habe meine Bedenken geäußert und dazu stehe ich auch. Aber ich kann nur funktionieren, wenn ich bei dem, was ich mache, Freude habe. Deswegen freue ich mich sehr auf die Olympischen Spiele.