Anthony Joshuas Jugendtrainer Sean Murphy staunt. Vor seiner Trainingshalle steht eine brandneue Limousine, auf deren Nummernschild sein Name steht. Es ist ein Geschenk seines ehemaligen Schützlings Joshua.
"Das ist dein Auto", versichert ihm der IBF-Weltmeister im Schwergewicht und lacht: "Laut Vertrag kannst du es in den ersten sechs Wochen nicht verkaufen." Murphy kann es immer noch nicht fassen: "Nicht zu glauben. Der ist einfach zu nett."
Zu sehen ist die Szene in einer Reportage des Senders BBC. "Anthony Joshua: The Road To Klitschko" begleitet den Schwergewichts-Boxer in den Jahren vor seinem bisher größten Kampf, der in Großbritannien mit Spannung erwartet wird. Der Fight gegen Wladimir Klitschko findet am Samstag im Wembley Stadion vor 90 000 Menschen statt. Etwa so viele Einwohner hat Joshuas Heimatstadt Watford im Nordwesten von London. Dort lebt der Sohn nigerianischer Einwanderer immer noch relativ bescheiden in der Wohnung seiner Mutter.
Seine Kindheit in Watford verlief nicht ganz reibungslos. Hätte sein Cousin Ben Ileyemi ihn nicht zum Boxen gebracht, Joshua wäre womöglich auf die schiefe Bahn geraten. "Ich hab häufig Ärger gehabt, auch mit dem Gesetz", räumt der 27-Jährige mit dem strahlenden Lächeln heute ein. "Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen soll, dann hab ich das Boxen für mich entdeckt." Ileyemi, der selbst Boxer ist, zählt bis heute zu Joshuas engstem Vertrautenkreis. Das Team aus alten Freunden ist immer dabei, wenn AJ, wie er von den meisten genannt wird, unterwegs ist.
Die wilden Zeiten sind für Joshua lange vorbei. "Heute bin ich ein ganz anderer Mensch", sagt der Olympiasieger von 2012. Er gilt als ruhig, besonnen und hochprofessionell und ist damit das absolute Gegenteil seines Landsmannes Tyson Fury. Der fiel nach seinem Sieg im November 2015 gegen Klitschko nur durch mutmaßliche Verstöße gegen Anti-Doping-Regeln und diverse andere Eskapaden auf und verlor sogar seine Boxlizenz. Dass Fury Joshua trotz dessen 18 K.o.-Siegen in Serie auf Twitter beleidigt, ärgert Joshua nur kurz. Er spricht später von einer "fünfminütigen Ablenkung vor dem Training".
Mit Gegner Klitschko gibt es keine Wortgefechte. Fast zurückhaltend äußerten sich die beiden vor dem Kampf. Statt einander verbal anzugreifen, plauderten sie nach den gemeinsamen Pressekonferenzen munter miteinander und klatschten ab. Mehrfach sprach Klitschko in höchsten Tönen von seinem Gegner. "Wir sind nicht die allerbesten Freunde", stellte Joshua klar. "Aber wir haben gegenseitigen Respekt davor, was er erreicht hat und was ich erreichen will."
2014 besuchte der Brite den Ukrainer im Trainingscamp und gab während Klitschkos Vorbereitung auf den Kampf mit Kubrat Pulev sogar den Sparringspartner. "Ich habe Klitschko sehr genau bei seinem Training beobachtet", erzählt Joshua im RTL-Interview, "wie er schlägt, wie er ausweicht und wie er sich verteidigt. Wenn ich gegen ihn antreten muss, weiß ich nun, wie genau ich mich verhalten muss."
Der 27-Jährige ist sich sicher, dass der 41 Jahre alte Klitschko für ihn die bisher größte Herausforderung ist. Doch er gibt sich zuversichtlich. Wenn Joshua am Samstag im Wembley Stadion im Ring steht, wird der "British Golden Boy" (BBC) wohl nicht zu nett sein und sicher auch keine Geschenke verteilen.